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OSTTIROLER
NUMMER 9/2006
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HEIMATBLÄTTER
des Hauses hat sich Kaspar Khreds,
„Haus-
vater dises Armen Siechenhaus“,
datiert mit
1612, ein Denkmal gesetzt. Das Werk des
Lienzer Malers Erasmus Hämmerl zeigt be-
zeichnenderweise die Auferweckung des
Lazarus, denn Lazarus ist der Patron der
Aussätzigen und der Leprosenhäuser.
Inventare und Abrechnungen zeugen
davon, dass der ganze Betrieb einen wesent-
lich kleineren Umfang hatte als das Bürger-
spital, aber auch davon, dass das Siechen-
haus bis in die zweite Hälfte des 18. Jahr-
hunderts benützt wurde. Im Jahr 1807 wurde
es aufgelassen und von der Stadt verkauft.
Lienzer Bader und Chirurgen
Die Stadt als Inhaberin des Bürger- oder
Heiliggeistspitals kümmerte sich natürlich
auch um die medizinische Versorgung. Mit
„Binden“, „Schröpfen“ und dem Verabrei-
chen verschiedener Arzneien war die Kunst
der Bader und Wundärzte meistens er-
schöpft. Nur die kühnsten wagten sich ans
„Star stechen“ und führten Operationen mit
gänzlich unsicherem Ausgang durch. Die
darauf spezialisierten Bader nannte man
daher auch „Chirurgen“, „Operateure“,
„Schneidärzte“ usw. Dass ein Bader übri-
gens auch Haare schneiden konnte, ist nicht
mehr unbedingt der ärztlichen Kunst zuzu-
rechnen. Die Ausbildung der Bader erfolgte
bei einem Meister, wie überhaupt die ganze
Organisation dieser Berufsgruppe zunft-
mäßig geordnet war.
Seit der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts
häufen sich die Nachrichten über Lienzer
Bader. Von den Aufgaben eines Stadtbaders
erfahren wir aus einem Vertrag der Stadt
Lienz mit dem aus Steinfeld in Kärnten zu-
gezogenen Badermeister Christoph Püchler.
Mit 19. Jänner 1565 pachtete er das städti-
sche Badhaus (Mühlgasse Nr. 11), nach
einem früheren Besitzer „Fail-Bad“ ge-
nannt. Zu seinen ärztlichen Verpflichtungen
zählte es, beim Auftreten von Seuchen
Armen und Reichen, Jungen und Alten
jederzeit, bei Tag und Nacht, beizustehen,
vor allen anderen Bürgern und Inwohnern
aber den Ratsbürgern! Für seine Arbeit
sollte er eine städtische Entschädigung er-
halten. Seine
„Mitwerchgenossen“,
also
Berufskollegen, mussten ihm immer hel-
fend zur Seite stehen, wofür ihnen eine Be-
lohnung zugesichert wurde. Seinen Sitz
hatte der Stadtbader im Badhaus, das er nur
zum Zweck von Krankenbesuchen verlas-
sen durfte. Arme und kranke Personen im
Spital hatte er unentgeltlich zu behandeln
und bekam nur die Arzneikosten ersetzt.
Ein besonders kühner Lienzer Bader des
17. Jahrhunderts war Michael Zwerger,
Bürgerbarbier, Wund- und Schneidarzt, der
1660 einem Lienzer Knaben die Hoden
operierte, die ihm bis zu den Knien reichten.
Über den Ausgang dieses gewagten Ein-
griffs ist nichts bekannt.
Vielfach blieb das Badergewerbe, wie bei
anderen Berufen, durch Jahrzehnte in der
selben Familie. Von der Mitte des 17. bis
zum Ende des 18. Jahrhunderts sind in
Lienz die Leibniger (Leibinger) tätig. Aus
dem Jahr 1753 (4. Februar) ist ein Vertrag
zwischen dem Lienzer
„Bruchschneider“
Balthasar Silvester Leibniger, wohnhaft im
sog. Büchsenschifterhäusl, und Mathes Nie-
derwieser in Bannberg überliefert. Der Ver-
trag drückt einiges von den damaligen Prak-
tiken der Bader und dem Risiko der Patien-
ten aus: Niederwieser sollte beim Anraser
Wirt ein eigenes, heizbares Zimmer bezie-
hen und dort verpflegt werden. Er musste
„Schnitthemd“, „Leilach“,
Leinenverband-
zeug und Butter mitnehmen, die Medika-
mente wollte Leibniger beistellen, der sich
verpflichtete, mit
„aller niechtern Vorsicht“
zu Werke zu gehen. Bei glücklichem Aus-
gang von Schnitt und
„Chur“
würde Leib-
niger als Arztlohn 15 Gulden, das
„gebräu-
chige Schnittmalele“
für sich und seine Hel-
fer und dazu 2 Gulden Trinkgeld erhalten.
Bei schlechtem Ausgang sollte der Bader
nur 2 Gulden, sozusagen als Spesenersatz,
bekommen. Leibniger wurde verpflichtet,
Speisen und Getränke vorzuschreiben und
darüber zu wachen, dass dem Patienten
nichts Unrechtes geschehe, damit nicht etwa
bei schlechtem Ausgang Leibniger – ande-
rer Ärzte allgemeine Gewohnheit – alle
Schuld auf den Patienten schiebe und den
vollen Lohn beanspruche!
Eine Frau konnte natürlich nicht der
Zunft angehören, Praxeda Piendlin betätigte
sich aber als „Heilpraktikerin“, hatte eine
„natürliche Arznei“ gegen Kropfleiden
entwickelt, damit beachtliche Erfolge erzielt
und erhielt 1665 darüber vom Stadtrichter
sogar ein Zeugnis ausgestellt.
Frauen wirkten vor allem als Hebammen,
die in Lienz seit dem Ende des 16. Jahrhun-
derts aufscheinen. 1581 erhielt Anna Wör-
lin, gleichsam städtische Hebamme, den
Auftrag, auch andere Bürgersfrauen ein-
schlägig zu unterweisen. In der zweiten
Hälfte des 18. Jahrhunderts mussten die
künftigen Hebammen der Herrschaft Lienz
vor der Medizinischen Fakultät der Univer-
sität Innsbruck ein Examen ablegen.
Mit Bernhardinus Guana ist nach der bis-
herigen Quellenlage für das Jahr 1602 erst-
mals ein in Lienz ansässiger „Doktor“ nach-
zuweisen, also ein Arzt mit studienmäßiger
Ausbildung. Die Reihe dieser Art von Me-
dizinern reißt nun nicht mehr ab. Neben
dem „Stadtbader“ gab es nun also auch den
„Stadtphysicus“, der meistens zugleich auch
Spitalsarzt war und für seine diesbezügliche
Tätigkeit ein jährliches „Wartgeld“ erhielt.
Bader und Doktoren brauten zwar auch
selbst ihre Arzneien, doch bildete sich dafür
ein eigener Berufsstand aus, der Apotheker.
Pangratz Mayr dürfte der erste Lienzer Apo-
theker gewesen sein, der 1572 aufscheint.
Später waren in mehreren Generationen die
Familien der Verzi (ca. 1635 bis 1716) und
der Vest (1706 bis 1861) in dieser Branche
tätig. Mehrmals waren Vest auch Verwalter
des Bürgerspitals. Auf die Vest folgte – nach
kurzer Unterbrechung – die Familie Erlach.
Um- und Neubauten im Barock
Umfangreiche Bautätigkeit am Lienzer
Spitalskomplex ist für die spätgotische Zeit
nachzuweisen. Im Jahr 1474 erlaubte der
Bischof von Brixen, dass zur Erbauung
eines größeren Spitals im ganzen Pustertal
gesammelt werden dürfe. 1475/80 hat die
Anlage mit Kirche das Aussehen erlangt,
wie sie es durch Jahrhunderte mehr oder
weniger bewahrt hat. Ein spätgotischer
Neubau der Heilig-Geist-Kirche ist aber
unterblieben.
Ein schwarzer Tag in der Geschichte des
Lienzer Heiliggeist-Spitals war der 8.
April 1609, als in einem katastrophalen
Stadtbrand der ganze Komplex mit Kirche
in Flammen aufging. Die bittere Not und
das Elend der alten und vielfach kranken
Leute spiegelt sich auch im Bericht des von
der Regierung in Innsbruck entsandten Mat-
thias Burgklechner wider. Spitalsgebäude
und Kirche wurden wieder einigermaßen
hergestellt, wobei zur Ausschmückung der
Kirche zum Heiligen Geist angesehene
Künstler wie der Bildhauer Adam Baldauf
aus Brixen und der Lienzer Maler Blasy
Hittaler herangezogen wurden.
In Bezug auf das Bauwesen waren die
Zechpröpste federführend, ja, sie selbst er-
griffen die Initiative. Entsprechend der Zu-
nahme der Bevölkerung und der materiellen
Mittel wurde der Spitalskomplex immer
wieder von der Stadt saniert und erweitert.
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts begann
der Stadtrichter und Spitalkirchpropst
Kaspar Melchior Kammerlander die bau-
fällige Spitalsbehausung nach und nach ab-
zureißen und zu erneuern. Die folgenden
Pröpste setzten das Werk fort, das 1707 be-
gonnen worden war. Bernhard Unterhuber
aus Lienz und Niklas Ströhner aus Vellach
in Kärnten legten dem Rat der Stadt einen
Entwurf
(„Riss“)
vor, wie die
„Vorlaben“
und das Gewölbe im Haus aussehen sollten.
1723 war dieser Ausbau abgeschlossen. Die
Bauarbeiten an den Spitalsgebäuden konn-
ten 1726/27 beendet werden.
Eine schwierige Aufgabe stand mit der
Erneuerung der Kirche bevor. Nach dem
Wappen zweier Lienzer „Mediziner“, des Dr.
med. Johann Michael Schedler, langjähriger
Stadtphysikus († 1792), rechts, und des
„Chyrurgen“ Johannes Scheitz († 1766).
(Museum der Stadt Lienz Schloss Bruck)
Fotos: Silvia Ebner
Der Komplex des Lienzer Bürgerspitals
nach dem Stadtbrand vom 8. April 1609;
Federzeichnung von Matthias Burgklech-
ner.(Tiroler Landesmuseum Ferdinan-
deum)
Foto: M. Pizzinini