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OSTTIROLER
NUMMER 9/2006
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HEIMATBLÄTTER
Elisabeth-Altar in der Spitalskirche und eine
Messe in St. Michael am Rindermarkt zu
lesen. Zur Versorgung des Kaplans wurden
eine Behausung am unteren Platz (heute
Hauptplatz Nr. 6) und verschiedene Grund-
stücke gestiftet. Das Patronat, d. h., das
Recht, einen bestimmten Kaplan einzuset-
zen, sollte nach des Lüenzers Tod an das
Haus Görz übergehen und nach seinemAus-
sterben an den Pfarrer von St. Andrä, dem
der jeweilige Spitalkaplan unterstellt war.
Ein Himmel voll heiliger Helfer
Das alte Heiliggeist- oder Bürgerspital
hatte in den ersten Jahrhunderten nach seiner
Gründung wenig mit einem Krankenhaus im
heutigen Sinn zu tun, denn die medizinische
Versorgung war – entsprechend dem Wis-
sensstand der damaligen Zeit – völlig unzu-
reichend. Das Spital der früheren Zeit ist
mehr dem modernen Altenheim vergleich-
bar. Es ist eine biologische Gegebenheit,
dass der menschliche Körper mit zunehmen-
dem Alter für Krankheiten anfälliger und
damit pflegebedürftig wird. Natürlich haben
die „Wärterinnen“ die bekannten Hausmittel
zur Linderung der Leiden angewandt, von
einer medizinischen Versorgung im eigent-
lichen Sinn konnte lange Zeit keine Rede
sein. Beim allgemein niedrigen Wissens-
stand der Medizin war das Anrufen überirdi-
scher Mächte voll verständlich, ja geradezu
notwendig. Die Verquickung von Medizin
mit Religion und selbst Magie in früherer
Zeit ist durchaus nicht als lächerlich abzutun.
Der Wert der „religiösen Heilkunde“ liegt
nicht zuletzt in der psychologischen Wir-
kung, die nicht zu unterschätzen ist.
Man wusste um die vielen Heiligen,
deren überirdische Kräfte man in Anspruch
nehmen wollte. Vielfach waren es alltäg-
liche Leiden, bei deren Auftreten man den
„richtigen“ Heiligen anrief. – Bereits unter
den 14 Nothelfern befinden sich einige, an
die man sich besonders vertrauensvoll
wandte. Bedingt durch die Pestseuchen und
sozialen Nöte des 14. Jahrhunderts hatte
sich ihr Kult vor allem in Süddeutschland
verstärkt verbreitet und im 15. Jahrhundert
u. a. auch in den Alpenländern. Das Volk hat
die Nothelfer schon deshalb gerne verehrt,
da sie für mehr oder weniger alle alltägli-
chen Nöte und Anliegen „zuständig“
waren. Einige dieser prominenten Reihe
von Heiligen war auf die Bekämpfung kör-
perlicher Leiden geradezu „spezialisiert“:
St. Achaz – Patron bei schweren Krank-
heiten und Todesangst;
St. Barbara – Patronin gegen Fieber, Pest,
gegen einen jähen Tod und für eine gute
Sterbestunde;
St. Blasius – Patron gegen Halsleiden,
Blähungen, Husten, Kinderkrankheiten,
Kropfleiden und Pest;
St. Christophorus – Patron gegen einen
plötzlichen und unbußfertigen Tod, Patron
der schwangeren Frauen;
St. Dionysius – Patron gegen Kopfweh
und Tollwut;
St. Erasmus – Patron bei Unterleibslei-
den, Koliken und Krämpfen;
St. Georg – Patron gegen Fieber, Ge-
schlechtskrankheiten, Pest, Schlangenbisse;
St. Katharina von Alexandrien – Patronin
bei Migräne und Zungenkrankheiten;
St. Margareta von Antiochien – Patronin
der unfruchtbaren Ehefrauen, Gebärenden
und bei Gesichtskrankheiten und Wunden;
St. Pantaleon – Patron bei Kopfweh und
Auszehrung, Patron der Ärzte und Hebam-
men;
St. Vitus – Patron gegen Bettnässen, Be-
sessenheit, Blindheit, Fallsucht, Freisen,
Tollwut, Veitstanz (Muskelunruhe), Augen-
krankheit, Patron der Krüppel, Stummen
und Tauben.
Natürlich wurden auch viele andere Hei-
lige bei körperlichen Leiden angerufen, z. B.
Apollonia bei Zahnweh, Lucia bei Augen-
leiden, Blindheit, Blutfluss, Ruhr und anste-
ckenden Krankheiten, Ottilia bei Augen-,
Ohren- und Kopfleiden. St. Wolfgang gilt als
Patron speziell bei Fußleiden, Gicht, Kreuz-
weh und Lähmungen. Die Reihe der bei
körperlichen Leiden hilfreichen Heiligen
ließe sich noch lange fortsetzen.
In allen Kirchen und Kapellen des heuti-
gen Bezirks Lienz finden sich Darstellun-
gen von Heiligen, die in früherer Zeit si-
cherlich noch weit mehr als heute angerufen
worden sind. Der älteste Nothelferzyklus in
unserer Gegend befindet sich in der Kapelle
von Schloss Bruck, gemalt von Simon von
Taisten in den Jahren um 1490/1496. Bei-
spiele aus dem Barockzeitalter bieten die
Kirchen St. Peter und Paul in Lavant (1. H.
17. Jh.), Zum leidenden Heiland in Arnbach
in der Marktgemeinde Sillian (1693) oder
St. Nikolaus in Thurn (Anf. 18. Jh.).
Das Siechenhaus für Pestkranke
und Aussätzige
Wie in den meisten Städten gab es auch in
Lienz seit dem Mittelalter neben dem Bür-
gerspital ein Siechenhaus oder Leprosen-
haus genannt, eine weitere Sozialeinrich-
tung der Stadt. Bereits 1334 ist ein Acker
„vor den Siechen“
erwähnt, 1365 der Acker
„vor den Aussezigen“,
1471
„vor den Sun-
der [=Sonder] Siechen“.
Das tatsächliche
Gründungsjahr, das eventuell noch in das
13. Jahrhundert fällt, ist nicht bekannt.
Neben dem Haus, heute Kärntner Straße
Nr. 39, befindet sich ein bemalter Bildstock
aus der Zeit um 1400.
Im Siechenhaus wurden – auch gegen den
eigenen Willen – Personen mit bösen anste-
ckenden Krankheiten untergebracht und be-
treut. Man muss nicht bloß an die Pest des
Jahres 1348 denken, immer wieder tauchten
Seuchen auf, und selbst die Lepra war durch
Jahrhunderte nicht auszurotten. Eine Heilung
der Aussätzigen war nicht möglich, sie muss-
ten daher abgesondert leben, was auch die
ursprüngliche Lage als Einzelhaus mitten in
den Feldern, weitab von der Stadt, erklärt.
Die Aussätzigen lebten unter der Leitung
eines Siechenhausvaters. Einige Namen sind
bekannt. Mit einem Fresko an der Südseite
Das ehe-
malige
Lienzer
Siechen-
haus,
ebenfalls
eine städ-
tische
Sozialein-
richtung,
deren
Gründung
vermut-
lich auch
noch in
das 13.
Jahrhun-
dert fällt.
Foto: M.
Pizzinini
Heilige als überirdische Helfer: St. Barbara,
Patronin gegen Fieber, Pest und jähen Tod
(Lienz, St. Andrä, Plastik um 1430) – St.
Pantaleon, Patron bei Kopfweh und Auszeh-
rung (Fresko des Simon von Taisten in der
Kapelle von Schloss Bruck, um 1490/96) –
St. Erasmus, Patron bei Unterleibsleiden,
Koliken und Krämpfen (Ausschnitt aus
einem Altar eines unbekannten Künstlers von
1496, aus der Filialkirche St. Nikolaus in
Thurn stammend, heute Tiroler Landesmu-
seum Ferdinandeum). Fotos: M. Pizzinini