Seite 3 - H_2007_08

Basic HTML-Version

im Hinblick auf Michael Pacher tatsächlich
ignoriert werden kann.
Charakteristisch ist hier die genaue Be-
stimmung der Raumdaten, die nicht nur den
jeweiligen Standort der Personen genau an-
zugeben, sondern auch das heute stark frag-
mentierte Gemälde zu rekonstruieren er-
laubt. Die klug zwischen Symmetrie der
Bildfläche und Raumsog abwägende Kom-
position dürfte von einer Skizze Jacopo
Bellinis angeregt worden sein, welche die
gleichnamige Szene ebenfalls in einem ge-
wölbten Raum spielen, das Totenbett aber
der Hauptfluchtlinie, die zugleich Symme-
trieachse ist, folgen lässt (Abb. 6). Die Auf-
stellung und zum Teil auch die Körperhal-
tungen der Apostel zu beiden Seiten des
Bettes entsprechen den flankierenden Grup-
pen Mantegnas, die Horizontale aber wird
nicht durch die bildparallele Reihung, son-
dern durch die räumliche Flucht der Köpfe
betont, die in Augenhöhe des Betrachters
eben eine Waagrechte bildet. In einer ande-
ren Zeichnung Bellinis, die sich der seltener
dargestellten Beerdigung Mariae annimmt,
ist die von den Aposteln geschulterte Bahre
über die Augenhöhe gehoben und damit wie
in Pachers Altartafel von unten gesehen.
Artur Rosenauer, dem wir den Hinweis
auf die Skizzenbücher Bellinis im Zusam-
menhang mit Michael Pacher verdanken,
scheint zum Marientod von St. Wolfgang
keine Verbindung zu sehen.
10
Dass Bellinis
Schüler und Schwiegersohn Andrea Man-
tegna von der um 1450 notierten Idee
Kenntnis besaß und sie selbstständig wei-
ter entwickelte, ist dennoch wahrschein-
lich. Sein Raumtrichter ist nicht mehr vom
Torbogen eines von außen eingesehenen
Gebäudes begrenzt, das vom Bildfeld ge-
forderte Fenster nicht weiter durch eine
Fassade verstellt. Mantegna gelingt die
Verschränkung von Innen und Außen auch
dadurch, dass er die Archivolten nicht nur
als Einblick, sondern als Durch- und Aus-
blick auf die Stadt Mantua mit der Brücke
über den Mincio gestaltet.
Damit sind die wichtigsten Voraussetzun-
gen abgesteckt um zu sehen, wie Simon von
Taisten, mehr als ein halbes Jahrhundert
nach dem Altar von St. Sigmund, aber be-
stimmt nicht sehr lange nach Pachers
St. Wolfgang-Altar, den Paradigmenwech-
sel in der Behandlung des Themas bewäl-
tigt. Das Sterbelager Mariae ist in eine am
Ende durch ein Stadttor abgeschlossene
Gasse gestellt und fluchtet gegen einen in
der Mitte des Bildes gelegenen Punkt.
Rechts sind fünf der Apostel entlang der
Bettkante in die Tiefe gereiht. Die Traufe
des linken Gebäudes und jene des rechten
Torturmes bestätigen den Zusammenfall
von Bildzentrum und Fluchtpunkt, von dem
aber auch eine markante Diagonale aus-
strahlt, die nicht als Raum projizierende
Linie gemeint ist: Sie verläuft über den
Rückenkontur des im vorderen Bildeck
knienden Apostels, den wir zusammen mit
seinem ins selbe Buch vertieften Gefährten
als Zitat aus Pachers Laurentius-Altar wieder
erkennen. Auch die bildparallele Reihung
der links vom Bett Stehenden entspricht der
früheren Darstellung Pachers, hinterlässt
aber nun durch die Drehung des Lagers aus
der Horizontalen einen Leerraum, den der
etwas zu klein geratene, seinen Finger in den
Weihwasserkessel tauchende Apostel nur
notdürftig zu schließen vermag.
Der Wille zur Zentrierung der Komposi-
tion und Gestaltung der Fläche ist jenem
zur Tiefenerschließung mindestens eben-
bürtig, die Entscheidung zwischen bild-
parallel oder bildeinwärts gerichtetem Bett
aber durch ein tertium comparationis ent-
schärft, das als ikonografische wie formale
Variante des Themas bisher unerwähnt
blieb. Neben der Koimesis, dem Entschla-
fen der Jungfrau, setzt in Tirol sich um
1430 eine Darstellung durch, die Maria ihr
letztes Gebet im Kreis der Apostel verrich-
ten lässt.
11
Die pyramidale Komposition
folgt hier nicht einer gegen die Mitte
fluchtenden Bettstatt, sondern der knien-
den, meist von Johannes an den Armen ge-
stützten Hauptfigur. Simon hat auch diese
OSTTIROLER
NUMMER 8/2007
3
HEIMATBLÄTTER
Abb. 5: Andrea Mantegna, Marientod, um
1460, Madrid, Museo del Prado Aus: Nike
Bätzner, Andrea Mantegna, Köln 1998.
Abb. 7:
Simon von
Taisten,
Marientod,
Innsbruck,
TLM
Ferdinan-
deum.
Foto:
Tiroler
Landes-
museum
Ferdinan-
deum
Abb. 6: Jacopo Bellini (Skizzenbuch),
Marientod, um 1450.
Aus: Alison Cole, Perspektive, Stuttgart –
Zürich 1993