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OSTTIROLER
NUMMER 8/2007
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HEIMATBLÄTTER
Dieses wird im Altar von St. Wolfgang
völlig neu interpretiert (Abb. 4). Das Bett
ist bildeinwärts gerichtet und von den
Aposteln an beiden Seiten – im Bildsinn
von links und rechts anstatt oben und
unten – flankiert. Zwei Figuren in Rücken-
ansicht folgen dem Sog in die Tiefe, wäh-
rend der die Glut im Rauchfass anblasende
Apostel ganz links nicht nur aus der
Gruppe der Trauernden, sondern auch aus
dem Bildraum zu treten scheint. Die
ursprünglich passiven Genremotive sind
also gezielt zur Aktivierung der Raumillu-
sion eingesetzt. Der Sinn dieses Über-
schreitens der durch den steinernen Bogen
ausdrücklich ausgewiesenen Grenze zwi-
schen Bild- und Realraum ist klar: Der Be-
trachter soll ins Bild mitgenommen und
selbst ins Geschehen gebunden werden.
Vielleicht ist in der Preisgabe der ästhe-
tischen Grenze die eigentliche Erfindung
Pachers zu suchen und auch nur dann zu
entdecken, wenn man die Formgelegenheit
nicht außer Acht lässt. Sie versinnbildlicht
die spezifische Raumbewegung der Flügel
des Wandelaltares, die Pacher nicht nur für
die Drehung der plastischen Schreinwäch-
ter
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, sondern, nicht zuletzt durch die Dreh-
bewegung des linken, in nächster Nähe
zum Scharnier platzierten Apostels, ebenso
für die Bildtafel beansprucht. Fokussiert
man aber allein auf die Orientierung und
perspektivische Verkürzung des vormals
bildparallel angeordneten Bettes, so ist der
Bruch mit der bis ins 10. Jahrhundert zu-
rück reichenden Tradition nicht mehr neu
und kann nicht bloß nach Michael Pacher
(Dürer, Brueghel, Rembrandt), sondern
schon vor ihm auf seine Wirkungsge-
schichte verweisen.
Als Pioniere sind Martin Schongauer
und Hugo van der Goes bekannt. Für
Pacher hat man allerdings ein Vorbild be-
müht, das wir nur noch aus einem „späte-
ren Nachhall“ und aus einer Beschreibung
kennen.
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Dass dieses in Italien beheimatet
ist, ist verständlich, da Pacher nur dort sich
seine ebenso kühnen wie exakten Perspek-
tivkonstruktionen aneignen konnte. Aller-
dings scheidet Andrea Mantegna, von dem
in dieser Hinsicht am meisten zu lernen
war, aus: Sein „cristo in scurto“, jener
extrem verkürzt dargestellte Leichnam
Christi, der die Maler noch bis Egger-
Lienz inspirierte, wurde erst später gemalt,
und seine einzig bekannte Version des Ma-
rientodes gibt das Sterbebett in traditionel-
ler Weise bildparallel wieder (Abb. 5).
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Dieses ist weit gegen das Ende der Halle
geschoben, an deren Seiten je drei Apostel
eine Gasse bilden, um den Blick auf das Ge-
schehen in die Tiefe zu ziehen. Der Betrach-
ter ist aufgefordert, der kräftig ausschreiten-
den Rückenfigur mit dem Rauchfass zu fol-
gen. Es fragt sich gerade angesichts dieses
Motivs, ob Mantegnas Marientod als Ver-
mittler zwischen Tradition und Erneuerung
Abb. 3.:
Michael
Pacher,
Marien-
tod, um
1465,
München,
Alte Pina-
kothek.
Foto:
Bayer &
Mitko
ARTO-
THEK
Abb. 2:
Meister
von
St. Sig-
mund,
Marien-
tod, um
1430,
St. Sig-
mund i. P.
Fotoar-
chiv des
Landes-
denkmal-
amtes
Bozen
Abb. 4:
Michael
Pacher,
Marien-
tod, 1481,
St. Wolf-
gang am
Abersee
Foto:
Bundes-
denkmal-
amt, Wien