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OSTTIROLER
NUMMER 8/2007
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HEIMATBLÄTTER
Alternative erprobt und in der heute im
Tiroler Landesmuseum verwahrten Tafel
ein Bildmuster erzeugt, das trotz oder ge-
rade wegen der Betonung der Fläche und
der damit einher gehenden Entwertung des
Raumes frappante Ähnlichkeiten mit dem
Obermaurer Marientod aufweist (Abb. 7).
Dass Petrus – mit Aspergill und Buch –
und Johannes in Haltung und Positionie-
rung als Doppelgänger der gleichnamigen
Akteure des Freskos auftreten, mag sich
auch aus der liturgischen Handlung erklä-
ren. Sie assistieren jedoch einem Mittel-
motiv, dessen Silhouette mit jener in Ober-
mauern, bei allem Unterschied in der
Bedeutung, fast deckungsgleich ist. Provo-
kant formuliert: Simon musste die kniende
Muttergottes nur bis zum Hals in die „viel
zu steifen Falten der Bettdecke“ kleiden,
um das Thema modern zu interpretieren.
Trotzdem: So altertümlich die Tafel im
Vergleich zu den vorhin entwickelten Er-
rungenschaften auch scheint, setzt auch sie
schon Pachers Marientod von St. Wolf-
gang voraus. Zwar ist der Kniende im
rechten Bildeck nicht in die Tiefe, sondern
zur Seite gewandt und überschreitet der
Apostel mit dem Rauchfass nicht die vor-
dere sondern die seitliche Grenze des
Bildes, beide paraphrasieren – um nicht zu
sagen pervertieren – jedoch die bekannten
Motive Michael Pachers. Das gilt in ge-
wisser Weise auch für das monumentale
Fresko in der Kapelle von Schloss Bruck,
wo Simon, wenigstens in der Gruppierung
um das exakt perspektivisch verkürzte
Sterbebett, die größte Annäherung an
St. Wolfgang gelingt. Anstelle des Knien-
den wird hier die Rückenfigur mit dem
Weihwasserkessel ins Profil gedreht und
mit der Fläche verzahnt (Abb. 8).
Die Reihenfolge der genannten Interpre-
tationen des Themas durch Simon von
Taisten braucht uns hier nicht zu küm-
mern. In Bezug auf Obermauern und
Schloss Bruck wurden die Datierungen
ausführlich und durchaus kontrovers dis-
kutiert, doch ist hier – wie eigentlich
immer bei lebendiger Forschung – das
letzte Wort nicht gesprochen.
12
Auf jeden
Fall war Simon Pachers Erfindung ver-
traut, da wir aber nicht annehmen, dass er
St. Wolfgang besuchte, konnte er sie
eigentlich nur in der Brunecker Werkstatt
des Meisters kennen gelernt haben. Dazu
blieb ihm bis 1481, dem Datum, an dem
der Altar seinen Bestimmungsort erreicht
hatte, Zeit. Bei aller Anlehnung an
Michael Pacher erweist Simon sich aber
nicht als dessen gelehriger Schüler, viel-
mehr als einer, der sein Vorbild eigenen,
konservativeren Vorstellungen anpasst.
In einem aber wagt Simon sich über den
Meister hinaus. Mit der neuen Raumauffas-
sung geht auch das Ausscheiden von Chris-
tus aus der Trauergemeinde einher, wird die
Aufnahme der Seele Mariens neu interpre-
tiert. Bei Mantegna nimmt Christus, auf
Wolken thronend, hoch über den Köpfen der
Apostel die Seele in Empfang, Bellini voll-
zieht die räumliche Trennung, indem er auf
die irdische Etage der Palastarchitektur eine
himmlische setzt. Die Profanierung der
Historie verweist das Wunder in eine geson-
derte Sphäre. Als „Figurentraube …, die wie
ein kostbares Juwel vom Bogen herab-
hängt“, deutet Rosenauer die Himmelfahrts-
gruppe in Pachers Gemälde, „räumlich in-
different“ bleibt sie hingegen „trotz kühner
Flugbewegungen der Engel“ für Manfred
Koller.
13
Grund für die unterschiedliche Wer-
tung ist wohl die Positionierung des Motivs
am Übergang von Bild- und Realraum.
Während Pacher damit die ästhetische
Grenze einfach negiert, respektiert Simon
sie als unüberwindbare Hürde. Beim Ver-
such aber, aus einem geschlossenen Innen-
raum nach oben zu entweichen, hätte im
Fresko von Obermauern die Jungfrau sich
früher oder später an der Decke gestoßen.
Einer derart deutlichen Betonung von Kör-
perlichkeit blieb somit nur die Verlegung
des Vorgangs ins Freie. Dieser Logik
widerspricht weder die traditionelle
„asumptio animulae“ (Aufnahme des
„Seelchens“) in der Innsbrucker Tafel,
noch der Verzicht auf die Himmelfahrt auf
Schloss Bruck. Der Freiraum wurde nur in
Obermauern zur Unterstützung einer spe-
ziellen Bildaussage genutzt. Dort, über den
Dächern der Stadt, wird der Himmelfahrts-
gruppe, die sich in vereinfachter Form und
bei Verzicht auf die komplizierten Bewe-
gungen auf Pachers Vorbild beruft, reich-
lich Raum – oder nennen wir es ruhig: Flä-
che! – zugemessen. Die Figurengröße
übersteigt jene der irdischen Szene, als
deren logische Fortsetzung sie die obere
Bildhälfte füllt, und die Maße der Jung-
frau, wenngleich in kindlicher Proportio-
nierung, sind denen ihres Sohnes gleich-
wertig. Erstmals in der Tiroler Kunst stellt
Simon von Taisten die Himmelfahrt Mari-
ens konsequent als „assumptio corporis“
dar.
14
Damit ist auch die ikonografische
Forderung des oben zitierten Textes über-
boten:
„Und yn dem nam ir liber sun ir
heilige sel von irem reinen keuschen leib
und furt sie mit grossen freuden und mit
englischem gesang und mit gelaidt alles
himelischen hers auf in das ewig leben
uber all kor der engel.“
15
Anmerkungen:
1 Josef Weingartner, Das Burgfräulein von Rabenstein, 3.
Aufl. Innsbruck – Wien – München, 1961, S. 48.
2 Ebd., S. 47.
3 Peter Burke, Die Renaissance in Italien. Sozialge-
schichte einer Kultur zwischen Tradition und Erneue-
rung, Berlin 1984, S. 129.
4Weingartner, wie Anm. 3.
5 Zit. nach Hardo Hilg, Das ‚Marienleben’ des Heinrich
von St. Gallen. Text und Untersuchung, in: Münchener
Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des
Mittelalters, Bd. 75, München und Zürich 1981, S. 315.
6 Otto Pächt, Österreichische Tafelmalerei der Gotik,
Augsburg – Wien 1929, S. 42.
7 Otto Pächt, Die historische Aufgabe Michael Pachers, in:
Methodisches zur kunsthistorischen Praxis, 3. Aufl.,
München 1995, S. 85 ff.
Vgl. auch Lukas Madersbacher, Michael Pacher, in: Mi-
chael Pacher und sein Kreis. Ein Tiroler Maler der euro-
päischen Spätgotik. Ausst. Kat. Neustift 1998, S. 173 -
179.
8 Artur Rosenauer, Michael Pacher und Italien. Beobach-
tungen zu einigen seiner Bildkompositonen, in: Wiener
Jahrbuch für Kunstgeschichte, Bd. L, 1997, S. 129 f.
9 Ebd., S. 129.
10 Artur Rosenauer, Zur Frage der europäischen Bedeutung
Michael Pachers, in: Michael Pacher und sein Kreis. Ein
Tiroler Maler der europäischen Spätgotik. Ausst. Kat.
Neustift 1998, S. 37 - 47.
11 Leo Andergassen, Tiroler Kunst vor Pacher. Hans v. Juden-
burg, in: Michael Pacher und sein Kreis, wie Anm. 7, S. 107.
12 Franckenstein datiert, unter Berufung auf ein Foto Sem-
pers (1905) und „wiederholte eingehende Überprüfun-
gen des Originals“, das Fresko von Obermauern 1495,
jenes im Schloss Bruck „1496 im Todesjahr Paolas“.
Josef Franckenstein, Simon von Taisten. Ein Beitrag zur
Kunstgeschichte der Spätgotik im Pustertal. Phil. Diss.,
Innsbruck 1976, S. 68 u. 77. Dass Simon seine Spitzen-
leistungen v. a. imAuftrag des Hauses Görz/Gonzaga er-
brachte, lässt Andergassen nicht gelten. Er stützt seine
Theorie, die der größtenteils erst nach dem Aussterben
der Görzer freskierten Schlosskapelle lediglich Memo-
rialcharakter bescheinigt, auf Argumente, denen zuletzt
Pizzinini widersprochen hat. Vgl. Leo Andergassen,
Simon von Taisten – Hofmaler des Grafen Leonhard von
Görz, in: circa 1500. Katalog zur Landesausstellung
2000, Innsbruck – Bozen – Trient 2000, S. 41 ff. und
Meinrad Pizzinini, Das „Görzer Haus“ in Lienz – Ein
vergessenes historisches Denkmal, in: Beachten und Be-
wahren. FS zum 60. Geburtstag von Franz Caramelle,
Innsbruck 2005, S. 238 u. Anm. 25. Meine eigenen
„wiederholten Überprüfungen des Originals“ bestätigen
Waschglers Interpretation der inschriftlichen Datierung
von Obermauern: „anno domini m° cccc lxxx v jar“,
womit der stilistischen Entwicklung zwischen den bei-
den Versionen des Marientodes die Parforce innerhalb
eines einzigen Jahres erspart bliebe.
13 Rosenauer, wie Anm. 8, S. 128; Manfred Koller, Der
Flügelaltar von Michael Pacher in St. Wolfgang, Wien –
Köln – Weimar 1998, S. 48.
14 Vgl. Leo Andergassen, Simon von Taisten als Fresken-
maler, in: Louis Oberwalder/Peter T. Ruggentaler, Die
Kirche zu Unserer Lieben Frau Maria Schnee, Innsbruck
– Bozen 2003, S. 115 (hier als „assumptio animulae“ ge-
deutet).
15 Hilg, Marienleben; wie Anm. 5.
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren
verantwortlich.
Anschrift des Autors dieser Nummer: Mag.
Rudolf Ingruber, Ruefenfeldweg 2 b, A-9900
Lienz.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimatblät-
ter“ sind einzusenden an die Redaktion des
„Osttiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad Pizzinini,
A-6176 Völs, Albertistraße 2 a.
Abb. 8: Simon von Taisten, Marientod, Schloss Bruck.
Foto: Silvia Ebner