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Die Lienzer Stadtpfarrkirche zum hl.
Apostel Andreas besitzt eine weit zurück
reichende Tradition.
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Auf einen spätrömi-
schen bzw. frühchristlichen Bau des 5.
Jahrhunderts folgte eine Erweiterung in
karolingischer Zeit, im 10. Jahrhundert.
War dieses Gotteshaus zu klein oder zu
baufällig geworden, nach mehr als 200
Jahren schritt man an die Errichtung eines
wesentlich größeren Baus, wobei nur die
nördliche Außenmauer beibehalten wor-
den ist. Der Raum wurde nach Westen und
Süden hin ausgedehnt, wenn er auch – wie
die bisherigen Anlagen – einschiffig
blieb. Dieser romanische Bau von St.
Andrä wurde am 4. März 1204 eingeweiht.
Es vergingen rund 230 Jahre bis man an
die „Modernisierung“ der Lienzer Stadt-
pfarrkirche dachte. Nicht nur, dass nun der
gotische Stil aktuell war, dieses Gotteshaus
genoss auch bei der landesfürstlichen
Familie, den Grafen von Görz-Tirol eine
besondere Wertschätzung. Vor allem durch
die Stiftungen der Görzer und des Adels
galt St. Andrä als eine sehr reiche Pfarre.
Wenn vorerst die Familienmitglieder der
Grafen von Görz hauptsächlich in der Be-
nediktinerabtei Rosazzo in der Nähe von
Cormons bzw. Cividale in Friaul bestattet
wurden, galt St. Andrä doch als die
„Hauptkirche“ in den vorderen Landen
nördlich des Plöckenpasses. Hier hatten sie
auch den St. Katharina-Altar mit Jahrtags-
messe („Görzer Jahrtag“) gestiftet.
Der Baubeginn ist in der ausgehenden
Hochgotik, um 1430, anzusetzen. Aus
einer Urkunde vom 27. März 1431
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erfährt
man, dass die Zechmeister von St. Andrä
„aus Notdurft“ wegen des Kirchenbaus
einen Zehent zu Oblas und ein Gut zu Köt-
schach an das Lienzer Bürgerspital ver-
kauften. Die Zustimmung hiezu hatte der
Landesfürst, Graf Heinrich IV. von Görz-
Tirol, gegeben, was auf das Naheverhältnis
zwischen den Görzern und ihrer „Hof-
kirche“ schließen lässt.
Die Baufortschritte an diesem großen
Bau dürften flott voran gegangen sein, heißt
es doch in einer im Pfarrarchiv St. Andrä
erhaltenen Urkunde, ausgestellt am 18.
November 1447 in Wien durch Kardinal-
diakon Johannes Sancti Angeli, Legat des
Apostolischen Stuhls in Deutschland, dass
er der Kirche St. Andrä in Lienz, „que de
novo precioso apparatu constructa est“, die
nun „mit großer Pracht neu errichtet wor-
den ist“, einen Ablass
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gewähre. – Die
Weihe der Pfarrkirche St. Andrä erfolgte
erst zehn Jahre später, am 9. Oktober 1457.
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Die Ausführung des Baus muss in den
Händen der Görzer Bauhütte gelegen sein,
vielleicht bei Meister Martin von Lienz,
dessen Name in dieser Zeit überliefert ist.
Neben der Wallfahrtskirche von Obermau-
ern ist St. Andrä ein frühes Werk dieser
Bauhütte. – Unverständlicher Weise wird
die Existenz dieser Bauhütte, die bereits
vor Jahrzehnten nachgewiesen werden
konnte
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, im neu erschienenen Band LVII
der Österreichischen Kunsttopographie
(„Osttirol“) nicht zur Kenntnis genom-
men.
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– Innerhalb der Organisation der
Wiener Haupthütte, abgeschlossen um
1460, bestanden mehrere Oberhütten oder
Bruderschaften, darunter auch für den
Bereich Tirols, andererseits für Steiermark,
Kärnten und Krain. Für die dazwischen
liegenden Lande der Grafen von Görz,
freier Reichsfürsten, musste sich zwangs-
läufig eine eigene (Ober-)Bauhütte er-
geben. Eine Bestätigung war mit der Ent-
deckung bzw. Publikation der Genehmi-
gung der Bruderschaft und Ordnung der
Steinmetzen und Maurer durch den Lan-
desfürsten Graf Leonhard vom 26. Juli
1476 gegeben. Die Ordnung sollte „in
allen seiner gnaden lannden, herrschafften
und gebieten allzeit ...“ gelten.
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Das Fehlen
eines beigelegten Verzeichnisses der Mei-
ster und Gesellen wird durch zahlreiche
überlieferte Namen wettgemacht.
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Es ist
durchaus berechtigt, ja notwendig, den Be-
griff der Görzer Bauhütte beizubehalten,
besonders da auch im Bereich ihrer Bau-
tätigkeit, im Pustertal, in Oberkärnten und
spurenweise auch in Friaul eigene Stil-
elemente festzustellen sind.
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Der gotische Neubau übernahm vom ro-
manischen Vorgängerbau bloß den Turm
bzw. sein Fundament und die Westwand,
die jedoch wesentlich verbreitert werden
musste. Der Neubau ging nämlich von der
bisherigen einschiffigen Anlage ab und
zeigte nun eine dreischiffige Basilika, eine
eher seltene Architekturform der Gotik. Im
gesamten Bereich Alt-Tirols besitzen le-
diglich die Pfarrkirchen von Lienz und
Landeck die Anlage einer Basilika. Als Ar-
chitekturform wird die Basilika als Lang-
bau mit mehreren Schiffen, mit hohem
Mittelschiff und seitlich symmetrisch an-
schließenden Seitenschiffen mit Pultdä-
chern definiert. Das mittlere Schiff ist so
weit über die Seitenschiffe erhöht, dass es
durch eine Reihe von Fenstern (Lichtga-
den) von oben her beleuchtet werden kann.
Der Außenbau von St. Andrä umfasst das
Langhaus mit abgesetztem Polygonalchor
mit Tuffsteinsockel und einfach getreppten
Strebepfeilern. Die Westfassade zeigt die
für die Basilika typische Erhöhung des Mit-
telschiffs. Bezeichnender Weise besitzt das
OSTTIROLER
NUMMER 9-10/2007
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HEIMATBLÄTTER
Meinrad Pizzinini
Der gotische Neubau von St. Andrä in Lienz
Wappen der landesfürstlichen Familie der
Grafen von Görz an einem Schlussstein
des Hauptschiffgewölbes von St. Andrä,
um 1450.
Foto: M. Pizzinini
Älteste Abbildung von St. Andrä, Ausschnitt aus der Lienz-Ansicht
von 1606/1608 als Beilage zum Geschichtswerk „Tiroler Adler“
von M. Burgklechner.
(Wien, HHStA, Kartensammlung)
Foto: Dr. Claudia Sporer-Heis
Grundriss des gotischen Neubaus von St. Andrä mit Eintragung
der Gewölbestruktur.
(Abbildung in Meinrad Pizzinini, Osttirol. Der Bezirk Lienz,
Salzburg 1974, S. 68) Zeichnung: Peter Sölder