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allemal tröstlicher als der Glaube, wegen
seiner Sünden im Fegefeuer schmoren zu
müssen, es sei denn ein Ablass komme
einem zu Hilfe.
Das war durchaus möglich. Schwankten
noch um 1400 Theologen, Prediger und
Lehrer des Kirchenrechts unschlüssig hin
und her, ob man den Ablass Verstorbenen
zuwenden könne oder nicht, beantwortete
man die Frage im Laufe des 15. Jahrhun-
derts mehr und mehr, trotz ständiger Ge-
genstimmen, positiv, auch an der Kurie.
Um 1500 herrschte eindeutig die Auffas-
sung vor, der Papst, der über den Gnaden-
schatz der Kirche verfüge, könne daraus
hilfsweise (
per modum suffragii
) den Ab-
lass den Seelen im Fegefeuer zukommen
lassen. Da die Verstorbenen ein gutes
Werk, das für den Ablass vorgeschrieben
sei, nicht mehr verrichten könnten, dürften
das Lebende für sie tun. Den Seelen
komme der Ablass, der ein vollkommener
war und nur vom Papst bewilligt wurde,
sicher und in vollem Umfang zu. Letzteres
bezweifelten allerdings einige Theologen.
Luther, der später wie alle Reformatoren
die Existenz des Fegefeuers leugnete und
es erlöschen ließ, bestritt in seinen 95 The-
sen von 1517 energisch die Wirksamkeit
des Ablasses für die Seelen im Fegefeuer.
Dass der päpstliche Kollektor Raimund
Peraudi 1476 erklärte, Ablässe für die armen
Seelen erforderten keine reumütige Beichte,
es genüge die vorgeschriebene Geldspende,
diese Behauptung wurde 1482 von der Sor-
bonne als unwahr und gefährlich fürs Volk
verworfen. Trotzdem verkündeten sie verant-
wortungslose Prediger auf der Kanzel, was
dann zum berüchtigten, bitterbösen Spruch
führte: „Sobald das Geld im Kasten klingt,
die Seele aus dem Fegfeuer springt“. Die-
selbe Wirkung sollte übrigens nach Ansicht
mancher auch eine Seelenmesse haben.
Jeder Gläubige nimmt an, dass so gut wie
kein Mensch nach dem Tod direkt in den
Himmel auffährt, sondern sich einige Zeit
im Fegefeuer von seinen Sünden reinigen
muss, wie lange, hängt von der Zahl und
Schwere der Sünden ab. Ständig hörte oder
las man von armen Seelen verstorbener El-
tern, Kinder, Ehepartner, Blutsverwandten,
Freunde, die den Hinterbliebenen erschienen
und um Erlösung flehten. Wer wollte da so
hartgesotten sein, nicht zu helfen? Betrüger
machten sich diese Hilfsbereitschaft zunutze
und zogen den Geprellten mit vorgetäusch-
ten Seelenmessen und falschen Ablässen für
Verstorbene das Geld aus der Tasche.
Anmerkungen:
1 Alle Abkürzungen wurden aufgelöst, Ergänzungen sind
in eckige Klammern gesetzt.
2 Riss im Pergament, nach der parallelen, gleich lautenden
Ablassurkunde für St. Johannes ergänzt.
3 Versehentlich vom Schreiber ausgelassen, nach der Ur-
kunde für St. Johannes ergänzt.
4 Allgemeine redensartliche Begründung für die Urkunden-
ausstellung, steht nach dem Namen des Ausstellers und
Empfängers und vor dem eigentlichen Recht schaffenden
Text.
5 Beglaubigung einer älteren, oft schon beschädigten Ur-
kunde, hier durch einen öffentlichen Notar. In die neue
Urkunde wurde in der Regel der volle Wortlaut der vor-
gelegten Urkunde eingerückt. Der im Transsumpt beglau-
bigte Ablassbrief von 1284 für St. Andreas ist nach einem
Formular verfasst, dessen Arenga mit „Licet is, de cuius
munere venit“ einsetzt. Stotter (Nr. 37) hat daraus ein un-
verständliches „Licet ei, de cuius minime venit“ gemacht.
6 Nach einem Vergleich der Unterschriftszeilen im Trans-
sumpt mit dem Ablassbrief für St. Johannes könnte der
Notar höchstens diesen geschrieben haben. Es gibt ge-
wisse Übereinstimmungen in der Schrift, allerdings auch
Abweichungen.
7 Verwalter des Kirchenguts.
Literatur:
Arnold ANGENENDT, Geschichte der Religiosität im
Mittelalter. Darmstadt 1997.
Robert BÜCHNER, Bauen zum Lobe Gottes und zum
Heil der Seele. Der Neubau der St. Johanneskirche
zu Lienz im 15. Jh. ... (MediumAevum Quotidianum, Son-
derbd. 17). Krems 2006.
Jacques LE GOFF, Die Geburt des Fegefeuers. Vom
Wandel des Weltbildes im Mittelalter (dtv 4532). München
1990.
Georg Christoph LICHTENBERG, Sudelbücher. Wies-
baden 2006.
Nikolaus PAULUS, Der Ablass im Mittelalter als Kul-
turfaktor (Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft
im katholischen Deutschland. Vereinsschrift 1920, 1). Köln
1920.
Nikolaus PAULUS, Geschichte des Ablasses am Aus-
gang des Mittelalters. 2. unveränd. Auflage. Darmstadt
2000 (1. Aufl.: 1923).
Simone ROVA u.a., Ablass, in: Himmel, Hölle, Fege-
feuer. Das Jenseits im Mittelalter. Eine Ausstellung des
Schweizer. Landesmuseums. Katalog von Peter Jezler, Zü-
rich 1994, 234-247.
Markus STOTTER, Die ältesten Urkunden des Pfarr-
archivs Lienz (1204-1498). Dipl. Arb. Innsbruck 2004.
Nr. 35-37: (fehlerhafte) Textwiedergabe des Transsumpts
und der beiden Ablassbriefe für St. Andreas und St. Johan-
nes aus dem Jahr 1457.
Franz STUBENVOLL, Benedikt Siebenhirter, Hof-
bischof, Abt von Ossiach, * um 1415, † 1458, Carinthia I
177 (1987) 207-218.
OSTTIROLER
NUMMER 9-10/2007
6
HEIMATBLÄTTER
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzi-
nini. Für den Inhalt der Beiträge sind die Au-
toren verantwortlich.
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Ao. Univ.-Prof. Dr. Robert Büchner, A-6020
Innsbruck, Tschiggfreystraße 27, – Meinrad
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blätter“ sind einzusenden an die Redaktion
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Blick in die spätgotischen Gewölbe des Hauptschiffs und der angrenzenden Seitenschiffe im hinteren Teil von St. Andrä.
Foto: M. Pizzinini