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OSTTIROLER
NUMMER 9-10/2006
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HEIMATBLÄTTER
Mauerstück zwischen den beiden Seiten-
portalen keinen Sockel, da es ja vom roma-
nischen Bau übernommen worden ist. Die
Westfassade wird gegliedert durch einen
einstöckigen Portalvorbau und zwei Seiten-
eingänge mit darüber liegenden Rund-
fenstern. Alle drei Eingänge in die Kirche
sind mehrfach gekehlt, spitzbogig und besit-
zen einen eingeblendeten, tympanonartigen
Rundbogen, typisches Merkmal der Görzer
Bauhütte. Das Gewände des Hauptportals
weist eine Reihe von Steinmetzzeichen auf,
die durch das Fehlen eines Verzeichnisses
von Meistern und Gesellen nicht einzelnen
Personen zugeordnet werden können.
Der Innenraum überrascht durch seine
Weite. Er besitzt sieben unregelmäßig
breite Joche in allen drei Schiffen. Das
mittlere Schiff weist an der Südseite eine
hoch angesetzte Reihe von Fenstern auf,
die den Raum erhellen. Das einfache Rip-
pengewölbe mit runden Schlusssteinen ruht
in allen drei Schiffen auf Wanddiensten mit
dem Querschnitt einer Dreiviertelsäule mit
oben abschließenden Halbkapitellen bzw.
auf Konsolen. Die gemalten Wappen der
sieben Schlusssteine des Mittelschiffs
geben Aufschluss über die Fertigstellung
des Gewölbes:
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Die Abfolge beginnt mit
dem Lamm Gottes mit Fahne, daraufhin er-
scheinen die Wappen der Grafen von Görz
und Tirol, der Katharina Gara (Garai), Ge-
mahlin Heinrichs IV. bzw. Mutter Graf
Leonhards, der Burggrafen von Lienz, dann
des Stadtpfarrers Georg Staudacher
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und
schließlich der Lienzer Bürgerschaft. Die
Amtszeit Staudachers fällt in die Jahre
1440 bis ca. 1460, was also eindeutig auf
die Fertigstellung in diesen Jahren weist.
Der Bereich um die Schlusssteine, aber
auch die Felder in den Zwickeln zwischen
den Gewölberippen, um die Entlüftungs-
löcher, das Heiliggeistloch usw. sind mit
pflanzlichen Rankenmalereien versehen.
Eine Kuriosität sind die gemalten Figuren
unter den Konsolen, die sinnbildhaft das
Gewölbe stützen.
Zu den architektonischen Eigenheiten
von St. Andrä gehören die kapellenartigen
Räume in den beiden Seitenschiffen, um-
grenzt durch die im Westen unvermittelt
auftretenden Fronbögen und gegen das
Mittelschiff die weit herabgezogenen
Wände, durchbrochen von jeweils zwei
eher niedrigen, spitzbogigen Arkaden-
bögen. Die Bögen im linken Seitenschiff
waren mit Gittern abgesperrt; hier befand
sich die „Kapelle“ der Grafen von Görz
mit dem von ihnen gestifteten St. Katha-
rina-Altar. Später sollte hier vor dem Ma-
rienaltar das Hochgrab für den letzten Gör-
zer, Graf Leonhard, errichtet werden.
Durch die sehr hoch angesetzten Spitz-
bögen im hinteren Teil der Kirche ergibt
sich nahezu der Eindruck eines Quer-
schiffs. – Die Empore, ein unterwölbter
Einbau, der sich in drei Bögen zu den Kir-
chenschiffen hin öffnet, ist durch zwei seit-
liche Treppen zu erreichen. Der weit her-
abgezogene spitzbogige Triumphbogen
trennt das Hauptschiff vom Presbyterium,
das um 1760 barockisiert worden ist,
wobei jedoch die gotische Anlage mit vier
schmalen Jochen und
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-Schluss erhalten
geblieben ist. – Bei der Anlage des goti-
schen Gotteshauses war der Einbau einer
Krypta, Unterkirche, neu. Der Zentralraum
mit Mittelsäule, Sternrippengewölbe und
runden Schlusssteinen folgt im Prinzip
dem darüber liegenden Chor.
Der Wandschmuck mit Freskomalereien
war zum Zeitpunkt der Kirchenweihe im
Jahr 1457 zum größten Teil noch nicht fer-
tig. Während die älteren, aus der romani-
schen Kirche stammenden Malereien si-
cherlich übertüncht waren, sah man nun
mit Sicherheit nur „Christus als Welten-
richter“ („1446“) am Triumphbogen und
die „Werke der Barmherzigkeit“ (1454) im
südlichen Seitenschiff. – Die Ausstattung
wurde noch um mehrere Wandmalereien
ergänzt, darunter um eine Fastenmahnung
und die „Anbetung der Könige“. Auch von
der plastischen Ausstattung sind einige
Werke erhalten geblieben und geben uns
Einblick in den künstlerischen Schmuck,
der damals aber in erster Linie der Erbau-
ung und der Belehrung des Volkes diente.
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Anmerkungen:
1 Siehe v.a. Liselotte Zemmer-Plank, Die Ausgrabungen
in der Pfarrkirche St. Andreas in Lienz, in: Veröffentli-
chungen des Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Jg.
1974, Bd. 54, S. 251-285 – Zusammenfassende Darstel-
lung bei Meinrad Pizzinini, Stadtpfarrkirche St. Andreas
in Lienz 1204 bis 2004, in: Osttiroler Heimatblätter, 72.
Jg., 2/2004, unpag. [S. 1–4].
2 Museum der Stadt Lienz Schloss Bruck, Urkundenreihe
– Archiv-Berichte aus Tirol, hg. von Emil von Ottenthal
und Oswald Redlich (= Mitteilungen der dritten (Ar-
chiv-) Sektion der k. k. Central-Commission zur Erfor-
schung und Erhaltung der Kunst- und historischen
Denkmale), VII. Band, Wien 1912, S. 54, Nr. 264.
3 Siehe Anm. 2: Archiv-Berichte aus Tirol, S. 24, Nr. 94.
– Markus Stotter, Die ältesten Urkunden des Pfarrar-
chivs Lienz (1204-1498), Diplomarbeit, MS, Innsbruck
2004, S. 69 f., Nr. 33.
4 Siehe Beitrag von Robert Büchner in dieser Nummer
der OHBl.
5 Erich Egg, Aus der Geschichte des Bauhandwerks in
Tirol (= Tiroler Wirtschaftsstudien, Bd. 4), Innsbruck
1957, S. 31, 37, 40; durch die Einteilung der
(Ober)Hütten innerhalb der Wiener Haupthütte ergibt
sich zwangsläufig für die Görzer Lande, in denen die
Grafen von Görz als Landes- und Reichsfürsten die
volle Landeshoheit ausgebildet hatten, die Existenz
einer eigenen Bruderschaft oder Bauhütte, da der Be-
reich des Pustertals mit Oberkärnten nachweislich nicht
der angrenzenden Tiroler Bauhütte und auch nicht der
kärntnerischen untergeordnet war.
6 Martha Fingernagel-Grüll, Zu den Sakralbauten und
ihrer Ausstattung, in: Die Kunstdenkmäler des politi-
schen Bezirkes Lienz (= Österreichische Kunsttopogra-
phie, hg. vom Bundesdenkmalamt, Bd. LVII), Horn
2007, Beiband, S. 56. – Im Zusammenhang mit der
Baugeschichte von St. Andrä geschieht ebenfalls keine
Erwähnung der Görzer Bauhütte (Teil I, S. 3).
7 Erich Egg, Die Görzer Bauhütte in Lienz, in: Franz Ca-
ramelle (Hg.), Festschrift für Landeskonservator Dr. Jo-
hanna Gritsch anlässlich der Vollendung des 60. Le-
bensjahres (= Schlern-Schriften 264), Innsbruck-Mün-
chen 1973, S. 77-98.
8 Neben zahlreichen bei E. Egg (siehe Anm. 7) angeführ-
ten Namen eine Auflistung von Mitgliedern in der zwei-
ten Hälfte des 15. Jahrhunderts bei Robert Büchner,
Bauen zum Lobe Gottes und zum Heil der Seele. Der
Neubau der St. Johanneskirche zu Lienz im 15. Jahrhun-
dert (= MEDIUMAEVUM QUOTIDIANUM, Sonder-
band XVII), Krems 2006, S. 3-150, hier S. 41 f.
9 Siehe E. Egg, Görzer Bauhütte (Anm. 7), weiters Mein-
rad Pizzinini, Osttirol. Der Bezirk Lienz (= Österrei-
chische Kunstmonographie, Bd. VII), Salzburg 1974, S.
66-69. – Selbst M. Fingernagel-Grüll (siehe Anm. 6, S.
56) stellt die Existenz eigener Stilmerkmale fest: „Im
15. Jahrhundert bilden sich im Bereich der Architektur
charakteristische Stilmerkmale einer Kunstlandschaft
aus, die im Görzer Herrschaftsgebiet im Pustertaler
Raum bis in das Möll- und Drautal sowie im Friaul
greifbar sind.“
10 Meinrad Pizzinini, Das Hauptschiffgewölbe der Stadt-
pfarrkirche St. Andrä, in: Osttiroler Heimatblätter, 36.
Jg., 12/1968, unpag. [S. 1-5].
11 Josef Stadlhuber, Geschichte der Pfarre Lienz, in: Ost-
tiroler Heimatblätter, 20. Jg., 5/1952, unpag. [S. 4-5].
12 Über den gotische Neubau und seine Ausstattung siehe
u.a. Meinrad Pizzinini, Pfarrkirche St. Andrä in Lienz.
Filialkirchen St. Michael und St. Nikolaus-Thurn
(= PEDA Kunstführer Nr. 572/2004), Passau 2004.
Blick in das Polygon der Gruft, die in der Zeit der Gotik eingebaut worden ist.
Fotos: M. Pizzinini
Blick von der nördlichen Emporenstiege
in den weiten, dreischiffigen Kirchenraum.