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OSTTIROLER
NUMMER 9-10/2007
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HEIMATBLÄTTER
tus IV. Bern auf zehn Tage eine
„Romfahrt“, wie man den großen
Ablass nannte, für den Neubau
des Münsters gewährt hatte, ließ
der Berner Rat 1476 über tau-
send Exemplare der Ablassbulle
drucken und weithin, bis Köln
versenden, um genügend Pilger
anzulocken. Und die Gläubigen
kamen zu einem solchen Er-
eignis in Massen, da das Volk
Ablässe hoch schätzte. Zum
Münchner Jubelablass von 1392
sollen 40.000 bis 60.000 Pilger
gezogen sein. Der Neubau des
durch einen Brand stark beschä-
digten Speyrer Doms wurde
1451 durch einen vollkommenen
Ablass gefördert, der von Papst
Nikolaus V. auf fünf Monate
gewährt und in den Diözesen
Speyer, Worms, Straßburg und
Basel verkündet wurde. Nach
einem zeitgenössischen Chronis-
ten hörten oft hundert Priester in Speyer die
Beichte, während der Fastenzeit fünfzig.
Wichtig war, dass man einen gewandten
Ablassprediger fand, der das Volk mitzu-
reißen wusste. Dabei half ihm das beein-
druckende Ritual, dass bei der Einführung
eines Ablasses abrollte. Unter Glockenge-
läut holte man den Ablassverkünder und
seine Gehilfen ein, in einer Eröffnungs-
feier wurde der Ablass verlesen und er-
klärt, wie man ihn erwerben konnte, häu-
fig wurde ein Kreuz errichtet und in einer
Prozession den Gläubigen der Brief oder
die Bulle gezeigt, und zuletzt stellte man
die berühmt-berüchtigte Ablasskiste auf, in
die man die Geldspenden legte. Sie war
seit Mitte des 12. Jahrhunderts in Ge-
brauch, wurde mehrfach verschlossen,
meist dreimal, die Schlüssel dazu hatten
verschiedene Personen, einen nicht selten
der Landesfürst, in dessen Gebiet man den
Ablass verkündete. Um Unterschlagungen
zu erschweren, öffnete man die Geldtruhe
nur in der Gegenwart aller Schlüsselin-
haber und eines öffentlichen Notars, der
über den Vorgang ein Protokoll verfasste.
Nach der Predigt des Ablassverkünders
folgten Gottesdienst und Beichte, danach
konnte der Ablass gewonnen werden. Am
Ende der bewilligten Zeit wurde der Ab-
lass feierlich ausgeläutet.
Während bei einem teilweisen Ablass
keine Geldsumme vorgeschrieben war,
sollte man unter Bonifaz IX. bei einem
vollkommenen Ablass jenen Betrag ent-
richten, den man für eine Romreise aufge-
wendet hätte. Die Höhe lag im Ermessen
jedes Einzelnen, konnte auch mit dem
Kollektor abgesprochen werden. Im Laufe
der Zeit begnügte man sich mit der Hälfte
oder einem Viertel des Aufwands für eine
Romfahrt, Arme sollten die Geldspende
durch ein Gebet ersetzen. Es kam auch
vor, dass man von den Reichen als Spende
den Arbeitslohn für 30 Tage, von weniger
Bemittelten den für 15 Tage forderte oder
allgemein als Beitrag die Unterhaltskosten
für eine Woche verlangte.
Zu Beginn des 16. Jahrhunderts war es
üblich, die Summen für einen vollkomme-
nen Ablass nach Stand und Vermögen zu
staffeln. Weltliche und geistliche Fürsten
hauptet, das Jubeljahr 1451 in
Augsburg habe 20.000 Gulden an
Ablassgeldern eingetragen. Der
Bischof der Stadt lieferte aber der
Kurie, für welche die Hälfte aus-
gemacht war, nur 1.600 Gulden
ab. Das Münchner Jubiläum in
den Fastenzeiten 1480 bis 1482
zog 123.700 auswärtige Pilger
an. In den drei Jahren wurden
aber lediglich 15.232 Gulden für
den Ablass aufgebracht, obwohl
jeder nach Reue und Beichte den
Lebensunterhalt für eine Woche
spenden sollte. Sieht man davon
ab, dass auch viele Einheimische
die Gnade erworben haben, und
legt den Gesamtbetrag allein auf
die Auswärtigen um, hätte jeder
von ihnen durchschnittlich nur
7,4 Kreuzer (= ca.
1
8
Gulden)
geopfert, also so viel wie den
Tagesverdienst eines Arbeiters
oder Gesellen.
Eine weitere Möglichkeit, vom Kirchen-
schatz zu profitieren, boten religiöse Ge-
meinschaften, denn nicht wenige der von
den Päpsten, Kardinälen, Legaten und Bi-
schöfen erteilten Kirchen- und Almosenab-
lässe fielen auf Orden oder ähnliche Institu-
tionen. Herausgegriffen seien die Antoniter,
ein Krankenpflegeorden, der regelmäßig
auch im Bistum Brixen sammelte. Unter
Schellenklang und Glockengeläut wurden
die Antonius-Boten eingeholt. Es folgten
feierliche Messe, Predigt und eine eindring-
liche Ansprache des leitenden Geistlichen
an die Gläubigen, sich in die Bruderschaft
des hl. Antonius einzuschreiben, wodurch
sie die Teilhabe an den Gebeten, guten
Werken und an allen Gnaden des Ordens
erlangen würden. Und das war nicht wenig,
konnten doch die Antoniter um 1480 zahl-
lose Ablässe des Ordens und seiner 364
Klöster anbieten. Um dem Volk den Eintritt
schmackhaft zu machen, wurden von den
Kollektoren reichlich Geschenke wie
Glöckchen, Handschuhe, Messer, Gürtel,
Devotionalien (Kreuze, Bilder, Reliquien),
ja sogar Pfeffer und Ingwer verteilt.
Unter den Almosenbettlern, Questiona-
rier genannt, gab es viele Missbräuche
wodurch das Ablasswesen in Verruf geriet.
Ungeschult und übereifrig wie sie waren,
wurde ihr marktschreierisches Auftreten,
wobei sie es mit den Verheißungen nicht so
genau nahmen, einfach zum Ärgernis.
Schon Albert der Große ereiferte sich im
13. Jahrhundert über „Almosenprediger, die
lügnerisch den Ablass von 100 Tagen gegen
einen Pfennig tauschen“. Noch schlimmer
als solche Pfennigprediger waren falsche
Almosensammler, die vorgaben, für Kir-
chen und Kapellen zu sammeln, die es gar
nicht gab, oder die falsche Ablassbriefe und
Reliquien, wozu Knochen von Hingerichte-
ten dienten, vorwiesen und damit das Volk
betrogen. In der Gaunersprache hießen sie
Stirnenstößer. Im Spätmittelalter gab es
keine Kirchweih, keinen Jahrmarkt, keine
Volksversammlung, auf denen nicht Reli-
quienkrämer erschienen, um das Heilsver-
langen der Menschen zu stillen. Die Statio-
nierer oder Heiltumsführer, wie man die
Reliquienkrämer auch nannte, wurden
durch ihr massenhaftes Auftreten so uner-
träglich, dass sich der Reichstag von 1500
und Fürstinnen, von König und Königin
bis zu Erzbischof und Bischof sollten nach
der Mainzer Ablassinstruktion (1517) 25
rheinische Goldgulden zahlen, Äbte,
höhere Prälaten, Grafen, Barone und an-
dere höhere Adlige 10, geringere Prälaten,
alle anderen Edelleute und alle, die ein
Jahreseinkommen von 200 Gulden hatten
6, Bürger, Kaufleute und Handwerker
1 oder
1
2
Gulden.
Über die Summen, die aus Jubiläums-
ablässen erzielt wurden, kursierten maßlose
Übertreibungen. So soll Bonifaz IX. schon
aus einem Königreich, ja nur aus einer Pro-
vinz 100.000 Gulden, Alexander VI. vom
Jahr 1500 mehr als 300.000 Dukaten,
davon wenigstens 100.000 aus Deutsch-
land, eingenommen haben. Der Papst er-
hielt nie das meiste Geld, in der Regel nur
ein Drittel, bei Kreuzzugsablässen über-
haupt nichts. Der Kardinal Raimund
Peraudi ließ von 1501 bis 1503 in Deutsch-
land und Skandinavien einen vollkomme-
nen Ablass für einen Kreuzzug gegen die
Türken predigen. Es kamen hohe Summen
zusammen.
1
3
davon bekam Peraudi zur
Deckung der beträchtlichen Kosten,
2
3
gin-
gen an Maximilian zur ausschließlichen Ver-
wendung für den Türkenkrieg. Der Papst
erhielt nichts. Zu dieser Zeit hatte sich sonst
schon im Allgemeinen die Drittelung der
Einnahmen durchgesetzt. Pius II. (1464-
1471) gestand den weltlichen Fürsten
1
6
,
dann
1
5
,
1
4
, schließlich
1
3
der Ablassgelder
zu, ein weiteres Drittel sollte die Kosten
(Entlohnung aller Mitwirkenden wie Kom-
missäre, Prediger, Beichtväter, Taxen usw.)
abdecken, lediglich das letzte Drittel fiel an
die Kurie, und das auch nicht immer oder
nicht immer in voller Höhe. Denn geist-
liche und weltliche Obrigkeiten wollten
dabei nicht leer ausgehen, andernfalls ge-
statteten sie die Verkündigung des Ablasses
nicht. Viele hohe Herren bekamen den Hals
nicht voll. 1458 forderte Kurfürst Friedrich
von Sachsen, 1472 König Christian von
Dänemark die Hälfte der Ablassgelder, und
der Papst musste zustimmen. Nicht selten
behielt der Landesherr alles.
Was von den Phantasiesummen, die Ge-
schichtsschreiber immer wieder anführen,
zu halten ist, zeigen zwei Beispiele. Der
Augsburger Chronist Hektor Mülich be-
Ablasskiste mit drei Schlössern; Eichenholz mit Eisenbeschlägen,
16. Jahrhundert.
(Archiv Robert Büchner)