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OSTTIROLER
NUMMER 3-4/2011
5
HEIMATBLÄTTER
tung es ebenso aufnimmt wie jene des rea-
len Betrachters. Infolge der auf den Kir-
chenbesucher berechneten Untersicht lässt
das Motiv Wirklichkeit und Illusion mitei-
nander verschwimmen, eine Wirkungsab-
sicht, die durch scheinbar über die Raum-
grenze hängende Einzelheiten am untersten
Bildrand bestätigt wird.
Das Engelskonzert über dem Chor ent-
spricht schließlich bis in Details einer Kom-
position, die Paul Troger im Brixner Dom
variiert, aber wenige Jahre zuvor bereits für
ein gleichnamiges Fresko der Jesuitenkirche
in Györ (Ungarn) entworfen hat (Abb. 14).
Auch in diesem Fall erstreckt sich das Vor-
bild bis hin zum Rahmendekor, sodass man
Valtiner und Waginger ein Urheberrecht nur
sehr eingeschränkt zusprechen kann.
Der Stil
Die Frage, inwieweit mehr oder minder
exakt übernommene Bild- und Figurenerfn-
dungen noch Rückschlüsse auf den indivi-
duellen Stil des „Plagiators“ (den wir als
rezenten Begriff nur in Gänsefüßchen an-
führen) erlauben, wird wenigstens teilweise
mit dessen Vorlieben, zum anderen Teil aber
mit der Verfügbarkeit des Vorbildes zu be-
antworten sein. Sicherlich zählte zur Zeit der
Entstehung der Lavanter Deckengemälde der
Kreis um Paul Troger noch immer zum
Aktuellsten, das einem Maler in der Provinz
zu Gebote stand, und man wird die Verzö-
gerung, mit der er hier seine Wirkung ent-
faltet, kaum einer retardierten Haltung an-
lasten. Abgesehen von Martin Knollers De-
koration der Anraser St. Stephanus-Kirche
(1754), die Trogers Fresken im Brixner Dom
sich ohne großen Aufschub aneignet, gibt es
im Pustertal und im Lienzer Raum vorerst
nämlich keine Berührung. Josef Adam
Mölk (1714 bis 1794) und Anton Zoller
(1695 bis 1768), die hier zur Hauptsache
tätig sind, zeigen sich mehr dem Beispiel
Andrea Pozzos (1642 bis 1709) und Cosmas
Damian Asams (1686 bis 1739), also den
Generationen vor Troger, verpfichtet.
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Neben der Druckgrafk war die Ölskizze
das wichtigste Medium zur Verbreitung
neuer Gedanken. Sie wurde zunächst dem
Auftraggeber zur Anschauung überlassen
und verblieb in einem weiteren Exemplar
im Besitz des Künstlers. Von Paul Troger
wissen wir, dass er mit ihrer Veröffent-
lichung äußerst vorsichtig umging und sie
meist erst nach Auftragserteilung freigab.
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Dass trotzdem in etlichen Fällen mehr als
die beiden vertraglich festgelegten, genau
übereinstimmenden Stücke vorhanden sind,
hat wohl damit zu tun, dass Paul Troger
über zahlreiche begabte Schüler verfügte,
die seine Bozzetti auch zu Studienzwecken
kopierten. Wahrscheinlich saß Waginger
durch seinen Bruder näher an dieser
Quelle als Thomas Valtiner, dessen Wiener
Erfahrungen lange vor den Brixner Fresken
datieren.
Im Vergleich mit dem ortsabhängigen
Fresko wird der Bozzetto nicht selten als
„überlegenere und konzentriertere Fassung
hinsichtlich der Unmittelbarkeit der Bewe-
gung, des Pinselstrichs und vielleicht auch
der Farbigkeit“
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angesehen. Die Maler der
Lavanter Fresken mussten allein deshalb in
Rückstand geraten, weil sie die Erfahrung
jener „ersten Erregtheit der Inspiration“
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nur
aus zweiter Hand kannten, und doch scheint
eine spontane Geste, „die von dem großen
und endgültigen Werk nie mehr übertroffen
wird“
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, auch ihnen nicht fremd. Grundsätz-
lich wenden sie zwei verschiedene Weisen
der Durcharbeitung in den Bozzetti vielfach
nur angedeuteter Formen an. Körper werden
in ein vereinfachtes anatomisches Schema
gegliedert und jedes Segment mittels Eigen-
schatten, denen eine sehr helle Kontur an der
dem Licht zugewandten Seite entspricht,
plastisch gerundet. Ähnliches gilt auch noch
für das kompositorisch bedeutsame Wolken-
motiv, das aufgrund dieser Vorgehensweise
Abb. 8: Josef Ignaz Mildorfer, Mariae Himmelfahrt, Fresko der Kapelle in Schloss
Milotice (Ausschnitt).
Foto: baroque_ceiling.udu.cas.cz
Abb. 11: Aufnahme Mariae in den Himmel, Replik des Bozzettos für Paul Trogers Fresko
im Brixner Dom, Bayerisches Nationalmuseum, Slg. Reuschel.
Foto: L. Andergassen (Hrsg.), Paul Troger & Brixen, AK Brixen 1998