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OSTTIROLER
NUMMER 3-4/2011
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HEIMATBLÄTTER
tische Eigenheiten des Lavanter Freskos zu
fltern.
Das von der Gattung selber gestellte Pro-
blem, alle Kompositionselemente auf ein
strahlendes Zentrum zu richten, war hin-
sichtlich der perspektivischen Konstruktion
schon gelöst und ist weder Valtiner noch
Waginger gutzuschreiben. Im Einsatz des
Kolorits jedoch sind, bei aller Übereinstim-
mung der Farbwahl, grundlegende Auffas-
sungsunterschiede bemerkbar. Mildorfer
stuft das Helldunkel von den stark beschat-
teten Rändern hin zu dem nahezu alle Farbe
verzehrenden Glorienschein nuancenreich
ab, und doch sind die Gegenstandsgrenzen
aufgrund virtuos mit der Fernsicht kalku-
lierender Informationen überall klar. Der
Maler des Lavanter Freskos, der dem asso-
ziativen Empfnden seiner Betrachter weni-
ger zutraut, beschreitet den gegenteiligen
Weg: Umrisse werden geschärft, durch
Licht und Schatten Volumina modelliert, um
jedes Motiv, auch um den Preis einer durch-
gängigen Farb- und Beleuchtungsregie, aus
seiner Umgebung herauszuheben und deut-
lich zu machen. Folglich ist auch die Glorie
keine hell erleuchtete Öffnung des Himmels
in unauslotbare Höhen, sondern ein genau-
estens abgezirkelter Strahlenkranz, den kon-
zentrisch angeordnete Engelsköpfchen
nochmals betonen.
Eine Möglichkeit des Vergleichs ganz
anderer Art bietet der weit links stehende
Apostel mit dem verschleierten Haupt
(Abb. 9). Seine Physiognomie bleibt in Mil-
dorfers Skizze weitgehend unbestimmt und
ihre kantige, ins Karikaturhafte gesteigerte
Ausführung hat mit jener in Lavant fast
nichts mehr gemein. Aufgrund seiner grö-
ßeren Nähe lässt aber der Kopf eines Schrift-
gelehrten, der den linken Bildrand der ersten
Station aus Valtiners Kreuzweg von Gwabl
besetzt (Abb. 10), die Unterschiede zum
Lavanter Fresko deutlicher werden: Sein
feckiger Vortrag mit kräftigen Schatten und
Höhungen an den wulstigen Lippen und der
knolligen Nase erreicht ein viel stärkeres
Maß an Plastizität als die Durchführung
seines Pendants, dessen weich gezeichnete
Züge mit dem kalligraphisch gekräuselten
Bart und den als Refex der himmlischen
Vision auf die Augäpfel getupften Lichtern
einem hl. Josef verwandt sind, den Wagin-
gers Bruder Sebastian gemalt hat.
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Viel-
leicht ist hierin schon ein – wenn auch noch
schwaches – Indiz für die Hand des Kuf-
steiner Malers zu sehen.
Die Aufgabe, Mildorfers querovales Kon-
zept in das Lavanter Kuppelrund einzu-
schreiben, blieb, abgesehen von einer Klä-
rung durch die stärkere Isolierung der Ein-
zelmotive, für das irdische Publikum
nahezu ohne Folgen. In der Vertikalachse
ergab sich dadurch jedoch automatisch
mehr Raum und damit die Notwendigkeit,
die Verbindung zur himmlischen Sphäre
neu zu gestalten. Mildorfer hält den hoch
dramatischen Augenblick fest, in welchem
Maria sich auf einer Wolke in die Lüfte
erhebt und ein steil von unten gesehener
Engel, von ihrer Bewegung erfasst, gerade
dabei ist, dem Sarg zu entsteigen. Das
Lavanter Fresko zeigt das Ensemble bereits
in weite Ferne entrückt und die Gebärde
Mariens entschieden auf das in Gestalt ihres
Sohnes präzisierte Ziel orientiert. Nicht die
Ascensio, der Aufstieg, sondern die As-
sumptio, die Aufnahme der Gottesmutter
durch Christus, ist nunmehr das Thema. Die
neue Anordnung der Motive im geänderten
Bildfeld geschieht aus dem Blickwinkel
einer geänderten Ikonologie.
Dazu tauschen die Maler (oder einer der
beiden?) besagten Engel gegen ein Vorbild,
das dieses Anliegen besser bedient. Was zu-
nächst nur wie eine spiegelbildliche Varia-
tion des Mildorfer-Motivs aussieht, ent-
stammt in Wahrheit Paul Trogers Apsis-
fresko im Dom zu Brixen (1748), das
ebenfalls den Empfang Mariae im Himmel
vorstellt. In seiner Zurücknahme der per-
spektivischen Verkürzung und der helleren
Farbigkeit erinnert das Lavanter Fresko je-
doch weniger an Trogers originalen Entwurf
als an eine im Bayerischen Nationalmuseum
in München verwahrte Replik (Abb. 11).
Größeren Einfuss als auf die Himmel-
fahrt übte die Vorlage auf das Lavanter
Chorfresko aus, welches außer dem schein-
architektonischen Rahmenmotiv auch Gott-
vater samt Assistenzfguren sowie den
Engel, der bei Troger Mariens Mantel auf-
fängt, nahezu wörtlich zitiert. Denselben
Dienst erweist dieser dem Lavanter Gna-
denbild, das einer Vorlage von fremder
Hand nicht bedurfte, da es am Hauptaltar in
Gestalt der barock eingekleideten gotischen
Holzskulptur zu direkter Anschauung bereit
stand und außerdem in Form von gedruck-
ten Andachtsbildchen erhältlich war. Auf
Paul Troger können sich auch der Rauchfass
schwingende Engel und sein Gefährte mit
dem Schiffchen berufen (Abb. 12, 13), die
wie die Brixner Himmelfahrt durch zwei
Ölbilder im Tiroler Landesmuseum und im
Bayerischen Nationalmuseum bis zum
heutigen Tag überliefert sind.
Ein großräumig um die Marienerschei-
nung geschlungener Wolkenbogen bindet
am Himmel die disparaten Motive zusam-
men, unter denen der Engel aus Mildorfers
Himmelfahrt als Vermittler eine doppelte
Rolle spielt. Sein genau die Vertikalachse
markierendes Bein verringert den Abstand
zur irdischen Statisterie, deren Blickrich-
Abb. 7: Josef Ignaz Mildorfer, Mariae Himmelfahrt, Bozzetto zum Fresko der Kapelle in
Schloss Milotice, Bayerisches Nationalmuseum, Slg. Reuschel.
Foto: Wilhelm Reuschel, Die Sammlung Wilhelm Reuschel –
Ein Beitrag zur Geschichte der Barockmalerei, München 1963
Abb. 10: Thomas Valtiner, 1. Station des
Kreuzwegs in der Wallfahrtskirche Mariae
Himmelfahrt in Gwabl (Ausschnitt).
Abb. 9: Mariae Himmelfahrt, Pfarrkirche
St. Ulrich in Lavant, Ausschnitt.
Fotos: Rudolf Ingruber