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OSTTIROLER
NUMMER 7/2011
3
HEIMATBLÄTTER
Die Überschneidungen der Verbin-
dungslinien zwischen den geweihten Bau-
ten, die bis auf eine Ausnahme die Zahl 3
als Symbol zeigen, deuten das Andreas-
kreuz an, das als Monogramm Christi
„Chi“ in der altchristlichen Kunst genannt
wird.
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Das System, nach dem die Kirchen im
mittelalterlichen Lienz geordnet wurden,
unterlag einer anderen Form.
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Durch die Verbindungen der ursprüng-
lichen Chorschlüsse, wobei für ein ge-
naues Messen der jeweilige Standort des
romanischen Altartisches mit seiner Reli-
quie notwendig wäre, entstehen zwei
rechtwinklige Dreiecke mit geraden Win-
kelzahlen (Abb. 2).
Die Kirche von Mariä Heimsuchung
(Klösterle), St. Marien und St. Andrä bil-
den mit den Winkeln von 90°, 30° und 60°
die Eckpunkte, um sich mit dem zweiten
rechtwinkligen Dreieck St. Andrä,
St. Johannes und St. Michael, welches die
Winkel von 50°, 90° und 40° aufweist, zu
verschränken.
Ein drittes rechtwinkliges Dreieck mit
den Kirchen St. Marien, dem romanischen
Vorgängerbau der Spitalskirche und der
von der Liebburg verbauten Parzelle zeigt
die Rekonstruktion (Abb. 3). Es dürfte
innerhalb der Stadtmauer im Mittelalter zu-
mindest die Planung für ein sakrales Bau-
vorhaben an dieser Stelle gegeben haben.
Eine weitere Form bei der Errichtung
von Gotteshäusern, die im 11. und 12.
Jahrhundert in mittelalterlichen Städten
mehrmals in Erscheinung tritt, findet sich
durch die kreuzförmige Verbindung der
Klosterkirche St. Marien mit der Spitals-
kirche zum Hl. Geist und der Gemeinde-
kirche St. Michael (Abb. 4).
Die Nord-Südachse teilt die Querachse
symmetrisch imWinkel von 90° und mün-
det in dem heute verbauten Areal der mit-
telalterlichen Stadtburg. Für die Erstellung
dieser Kirchenordnung, die das Kreuz
symbolisiert, war die Himmelsrichtung
ausschlaggebend.
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Die achsiale Anordnung der Kirchen-
bauten im Talboden und die dreieckigen
und kreuzförmigen Figurationen in der
Stadt erinnern an die Idealbilder des Kos-
mos und sind als Gesamtheit aufzufassen.
Sie sind durch ihre Zahlensymbolik ein
Zeichen der Weltharmonie und tragen
bestimmte magische und religiöse Bedeu-
tungen.
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Das durchdachte System, nach
dem diese Bauten errichtet sind, weist
mystische Symbole auf, die verstanden
wurden.
Der Inhalt eines weiteren mittelalter-
lichen Gedankengutes, das die Lage der
Bauten bei ihrer Errichtung beeinflusste,
führt zur Kirchenfamilie. Mit ihr stellte
man einen Zusammenhang für deren Ver-
wendung her.
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Bereits im hohen Mittel-
alter wurden mehrere Kirchen mit unter-
schiedlicher liturgischer Bedeutung vor
allem für den Prozessionsgottesdienst
ausgerichtet.
In Lienz findet sich der Typus der Kir-
chenfamilie in der räumlichen Anordnung
von der Klosterkirche St. Marien, der
Spitalskirche und der Gemeindekirche
St. Michael durch ihren unterschiedlichen
Anlass bei der Errichtung.
Neben dem System, das bei der Errich-
tung der Architektur zu finden ist, war es
Aufgabe der Zahlenmystik mit ihren
Symbolen, der Mensa einen entsprechen-
den Stellenwert zu geben.
Die Zahlenmystik, die hier mit Hilfe der
mathematischen Verbindungen in Erschei-
nung tritt, verbindet Architektur und
Liturgie untrennbar und muss liturgisch
gedeutet werden.
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Die Zahl fand als Sym-
bol ihren Ausdruck, wobei für 30, 40, 50,
60 und 90 der jeweils einfache Zahlenwert
heranzuziehen ist.
Die christliche Symbolik bestimmter
Zahlen leitet sich sowohl aus der antiken
Philosophie, besonders aber von der Bibel
ab.
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Es verknüpften sich Naturbeobach-
tungen und Zahlentheorie mit Aberglauben
und theologischen, wie philosophischen
Spekulationen. In vielen Zusammenhän-
gen, besonders in der Architektur und
ihren Erscheinungsformen sind Zahlen-
verhältnisse ein maßgebliches Element. In
Lienz kamen insbesonders die Zahlen Drei
bis Neun mit ihren Symbolen zur Anwen-
dung.
Werden Vergleichsbeispiele gesucht,
die ähnliche Strukturen wie im Talboden
beinhalten, findet sich zunächst in Matrei
eine Achse, die von St. Nikolaus über die
Pfarrkirche St. Alban hinausführt.
In Salzburg bildet der Virgildom (Weihe
774) das für die Ausrichtung maßgebliche
Zentrum.
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Der frühe Bischofssitz aus dem
8. Jahrhundert ist Mittelpunkt, von dem
ausgehend in einer strahlenförmigen Ord-
nung zahlreiche sakrale Einrichtungen
liegen.
Die ältesten Kirchen Wiens, die noch
unter dem Einfluss der Salzburger Bischöfe
standen, waren St. Peter, St. Ruprecht und
eine Marienkapelle, die der Vorgängerbau
von Maria am Gestade gewesen sein
dürfte.
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Diese Kirchen wurden in einer zu-
sammenhängenden Baugruppe errichtet,
wie in Lienz St. Marien, die Spitalskirche
und St. Michael, um den achsialen Zu-
sammenhang mit der Stadtburg zu bilden
(Abb. 4).
Dadurch, dass im Talboden eine Konti-
nuität zur spätrömischen Architektur be-
steht, scheint es von Interesse, ob Zusam-
menhänge mit den Wahrnehmungen zur
Errichtung der Kirchen im Mittelalter vor-
handen sind. Die spätrömischen Sakral-
bauten, die etwa zwischen 350 und 550 in
Österreich entstanden, stehen in der Bau-
tradition der Spätantike. Die Errichtung
der 1912 ausgegrabenen Friedhofskirche
in Aguntum, mit ihrer Priesterbank und
den Chorschranken unterliegt im Grund-
riss den spätrömischen Gegebenheiten,
wie sie Albrecht Kottmann nachgewiesen
hat.
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Dasselbe betrifft die Grabkapelle von
Aguntum und die Bischofskirche am
Lavanter Kirchbichl.
Die Bemessung, es handelt sich hiebei
um das Abstecken des Grundrisses in der
Natur, wurde kontinuierlich von der
romanischen und später nach einigen Ab-
änderungen in der Methode, von der goti-
schen Bauweise übernommen. Trotz der
Weiterentwicklung in der Architektur ist
ein Miteinbeziehen der spätrömischen Kir-
chen ohne Folgebauten in das System des
Talbodens nicht festzustellen.
Bei der Suche nach dem Ursprung des
Systems, nach dem die Sakralarchitektur
entstand, ist Ausgangspunkt das Denken
des Menschen im hohen Mittelalter, der
über Natur und Kosmos Bescheid wusste,
und bemüht war, die christliche Glau-
benslehre zu einer Einheit zu formen.
Symbole füllten jede sakrale Handlung
und jeden kirchlichen Gegenstand mit
göttlichen Zeichen und Geheimnissen.
Ungefähr bis zum Jahr 1000 bestanden
unterschiedliche Inhalte in der christlichen
Lehre, die sich in den Steinkirchen und
den Holzkirchen ausdrückten. Erstere
repräsentierten das Papsttum durch die
Missionstätigkeit, die von Aquileia aus-
ging und bis zur Drau reichte. Jenseits der
Drau fruchtete die Missionierung der iri-
schen Kirche. Sie war nach der Synode
von Whytly (664) zu römischen Gepflo-
genheiten übergegangen, hielt sich aber bei
bestimmten Elementen an die eigene Tra-
dition.
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In den schmucklosen Holzkirchen
wurde die Volksfrömmigkeit, die heidni-
sche Wurzeln zum Inhalt hatte, aufge-
nommen.
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Es wäre falsch, in dem ver-
gänglichen Material nur eine einfache
künstlerische Aussage zu sehen. Die
Bischöfe waren deshalb bemüht, in ihren
Abb. 3: Rekonstruktion eines möglichen Vorgängerbaus der Liebburg.