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Tempel, der Kathedralen, weil man ein
Haus für einen Toten baute, der gar kein
Haus mehr brauchte“
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, im Unterschied
zur technischen Architektur, die zu benüt-
zen ist. Seine Bauwerke atmen den Geist
archaischer Monumentalbauten, scheinen
wie Vorposten mythischer Tiefen, die in
das Reich der Menschen hereinragen. Man
meint Zeichen zu lesen, die einen unaus-
gesprochenen Wert darstellen, als Mittler
zwischen der erkennbaren Realität und
einem mystischen, unsichtbaren Reich der
Philosophie und der Magie:
Zu gegebener Stunde fällt beim
Monu-
ment for the Absence of the Painting Guer-
nica
ein Sonnenstrahl in einen Raum im
Untergrund, wo auf einer rechteckig ge-
kennzeichneten Mauerstelle das berühmte
Antikriegsgemälde von Pablo Picasso
hängen sollte.
Der von Abraham geprägte Begriff der
„Kollision“ als dialektisches Prinzip und
ontologische Basis aller Architektur –
„Jede
architektonische Schöpfung ist ein Zusam-
menstoß mit dem jeweiligen Ort“ –
ist ein
zentraler Bestandteil seiner Architektur-
theorie. Bei den 1979 entstandenen zehn
Projekten für eine ideale Umwandlung
Venedigs „
wird der unbewusst entstandene
Gegensatz zwischen Altstadt und Industrie-
viertel zum artistischen Programm seiner
Gestaltung gemacht, als Zusammenstoß der
amorphen Struktur Venedigs mit der ratio-
nalen Ordnung der Geometrie.“
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Analog
dazu steht bei seinen imaginären Hausent-
würfen das Zusammenprallen der gewach-
senen Landschaft mit den abstrakten Grund-
formen ideal gedachter Architektur:
In Lienz sind es die topographischen
Gegensätze von Urgestein im Norden und
OSTTIROLER
NUMMER 1-2/2011
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HEIMATBLÄTTER
Eine Architekturvision für das berühmte Antikriegsbild von Pablo Picasso, Monument for
the Absence of the Painting Guernica, 1981.
Architektur als Antwort auf die Bergumgebung, Hypo-Haus Lienz, 1993/96, Modell.
jäh aufragenden Dolomiten im Süden, die,
projiziert auf das
Hypo-Haus
, in dement-
sprechend zweigestaltiger Form aufein-
andertreffen und an der „Talsohle“ durch
eine „Brücke“ verbunden werden. Die
weiße Wand der Hauptplatzfront, wie ein
vorgehaltener Schutzschild, aus deren Seh-
schlitz eine „Nase“ vortritt, die sich als
vertikale Stütze über die gesamte Höhe des
Gebäudes bis in die gepanzerte Stirn des
Dachkörpers hinaufzieht und diesen dann
bandartig an den unteren Körper bindet.
Ein querlagernder, auf Kante gestellter
Glasquader, der wachsam aus seiner
Augenhöhle lugt.
Steht man hier vor dem Motiv der äuße-
ren Befestigungsmauer für eine dahinter-
liegende schützenswerte Wertanlage? Der
Eindruck bestätigt sich noch einmal im
Inneren, dort in der Eingangsschlucht, wo
man entdeckt, dass die Hauptplatzfront der
eigentlichen Bürofassade vorgesetzt ist,
mit einem großzügigen Luftraum da-
zwischen.
Drinnen das „Haus im Haus“, das sich
wie die Cella der Eingeweihten beim grie-
chischen Tempel von der äußeren Bauhülle
distanziert. Die seitlichen Schluchten lassen
Tageslicht von oben herab bis in die Schal-
terhalle im Erdgeschoß sinken und schaffen
eine luftig offene Atmosphäre in dem im-
merhin nur 7,6 Meter schmalen Gebäude.
Die als Durchgangsraum angelegte Schal-
terhalle ist wohl die passende architektoni-
sche Antwort auf einen ständig in Fluss
bleibenden Parteienverkehr. Die Büros
sind ihren Funktionen entsprechend ver-
schieden angelegt: Offen für den Empfang
oder als kabinenartig eingestellte Arbeits-
zellen oder als sichere Refugien, loggien-
artig zur Eingangsschlucht sich öffnend,
mit Ausblicken auf das Theater der alltäg-
lichen Geschäftigkeit.
„Die Architektur
muss abstrakt genug sein, um die physische
Benützbarkeit einzubeziehen, aber sie muss
reine Architektur bleiben.“
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Ein Grundsatz,
der beim realisierten Baukunstwerk Hypo-
Haus in Lienz seinen gebauten Ausdruck
findet. Ein Bau, der sich vom trivialen Bür-
gerhaus gleichermaßen abhebt, wie es von
gotischen und barocken Sakralbauten oder
von profanen Monumentalbauten her ver-
traut ist, also Anlagen, die eng mit Kult und
Machtrepräsentation in Verbindung stehen:
So betrachtet, scheint es selbstverständlich,
dass Finanzinstitute als entscheidende
Machtträger der gegenwärtigen Gesell-
schaft die „alte“ Rolle des Mäzens aufgrei-
fen, um ihre Position in entsprechenden
Glanzbauten zu repräsentieren, und sich
nicht mit einem architektonischen Tarn-
kleid bescheiden. Städtebaulich betrachtet
wurde mit diesem Bauwerk keine idyllisie-
rende Stadtreparatur betrieben, sondern ein
wichtiges urbanes Zeichen gesetzt, das Mut
zur Größe hat.
Ein weiterer interessanter Aspekt des
Lienzer Hypo-Hauses ist die architektur-
verwandtschaftliche Beziehung zum Bau
des Österreichischen Kulturinstituts in
NewYork, das vielfach als Hauptwerk von
Raimund Abraham angesehen wird. Es
misst dieselbe Breite von 7,6 Meter und
zeigt eine ähnliche Materialwahl und
maskenartige Frontfassade wie das Bank-
haus in Lienz.