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Pfleger möge sich dieser Verrichtung halber
in Kals nicht blicken lassen.“ – Über das
Gericht Virgen – Prägraten, Virgen und Be-
reiche der heutigen Gemeinden St. Jakob
und St. Veit – sagt der Generalkataster von
1782 (Theresianischer Kataster), es „hätte
bei mittelmäßigen Jahren genugsam Ge-
treide, wenn es nicht so viel Naturalprästatio-
nen (Abgaben) entrichten müßte“. Apropos:
Virgen und Prägraten hatten damals zusam-
men 2.400 Einwohner, im Jahr 2001 insge-
samt 3.421, Virgen 2.140, Prägraten 1.281.
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Im Juli 1788 verfasste dann Ignaz von
Hörmann, der damalige staatliche Verwal-
ter des Damenstiftsfonds, einen „Bericht
über die mit übermäßigen Abgaben be-
schwerten Freistiftgüter in der Herrschaft
Lienz“. Er empfahl die Umwandlung der
Freistifts- in Erbrechtsgüter, die Herabset-
zung der Gebühren und jährlichen Abga-
ben und eine spürbare Abschreibung der
Rückstände. Die Eingabe bewirkte ein
Hofdekret vom 7. Mai 1789, erlassen von
Kaiser Josef II. (1780-1790); es wurden
zwei Drittel aller rückständigen Abgaben
in der Herrschaft Lienz getilgt. Der Tod des
Regenten hinderte leider weitere Reform-
schritte. Es folgten von 1796 bis 1814 die
für Tirol harten und leidvollen Jahre der
Franzosenkriege und der Bayerischen
Fremdherrschaft (die zwar allzuviel ändern
wollte, aber das brennende Problem des
Freistifts nicht an der Wurzel anfasste).
Nach der Rückkehr Tirols zur Habsburger
Monarchie kümmerte sich dann der in
Bruneck von 1820 bis 1843 amtierende
Kreishauptmann Josef Theodor von Kern
(1785-1859) außerordentlich um die wirt-
schaftliche und besitzrechtliche Wendung
zum Besseren für die Iseltaler Bauernfami-
lien. Dort im Landgericht Windisch-Ma-
trei, das Kern unterstand, bedrängte sie das
Freistift ja von jeher am ärgsten. Der Tiro-
ler Dichter Hermann von Gilm (1812-
1864) besang in seinem „Sonettenkranz“
1843 die Meriten dieses edlen Staatsdie-
ners, eines gebürtigen Schwaben; Kern war
in Bruneck von Mitte Jänner bis Ende April
1843 Gilms wohlwollender Vorgesetzter.
Auch bei den Wiener Zentralstellen
wirkte noch der Geist des aufgeklärten
Wohlfahrtsstaates, den Josef II. angestrebt
hatte. Damals stand in einem Gutachten des
Hofkammerprokurators zur Begründung,
die Freistift abzuschaffen: „um die Hinder-
nisse der Produktion hinwegzuräumen und
den Untertanen durch Aufhebung eines ent-
mutigenden Zwanges zur lebendigen Ent-
wicklung seiner Kräfte anzuregen“. Nach
1815 erstarkten aber wieder die Kräfte der
Restauration und der Politik, die dem Staat
nicht zubilligte, die alten Rechte der Grund-
herren gegen deren Willen abzuändern.
Reformatorische Eingriffe gelangen nur
gegen hinhaltenden Widerstand. So ver-
fügte zunächst ein Hofkammerdekret von
1835 die Umwandlung aller staatlichen
Freistiftrechte im Pustertal zur Erbleihe und
Aufhebung der mit dem Freistift verbunde-
nen Ehrungen. Die jährlich bedrückenden
Grundzinse freilich wurden nicht abge-
schafft. Deren Moderierung, d. h. Ermäßi-
gung, ca. auf die Hälfte des bisherigen Be-
trages, wurde im Landgericht Windisch-
Matrei 1843/44 verfügt (darauf bezieht sich
das zitierte Sonett von Gilm).
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Erst die sogenannte Grundentlastung,
1848 in Österreich gemäß Reichsgesetz
durchgeführt, hob die grundherrlichen Ei-
gentums- und Zinsbezugsrechte auf. –
Hans Kudlich (1823-1917), ein schlesi-
scher Bauernsohn, Medizinstudent in
Wien und damals jüngster Abgeordneter
im österreichischen Reichstag, brachte am
25. Juli 1848 den Antrag ein, das „Unter-
tänigkeitsverhältniß“ abzuschaffen. (Als
einer der Führer des Volksaufstandes von
1848 zum Tod verurteilt, gelang ihm die
Flucht in die USA, wo er als Arzt und
Schriftsteller zu Wohlstand und Ansehen
kam.) Der Kaiser erhob diesen Beschluss
mit Patent vom 7. September zum Gesetz.
Kudlich ging dann als „Bauernbefreier“ in
die Geschichte ein. Apropos: Bereits am
10./11. Juni 1848 hatte der Tiroler Landtag
die Ablösung der grundherrlichen Lasten
und Zehenten beschlossen (dieser Be-
schluss erhielt nicht die kaiserliche Sank-
tion als Landesgesetz) – die Initiative ging
also nicht allein von Kudlich aus. Die tat-
sächliche Durchführung der Grundentlas-
tung erfolgte aber auch in Tirol nach dem
Gesetz vom 7. September. Der Jurist
Dr. Johann Hasselwanter, der Abgeordne-
ter Tirols imWiener Reichstag war, leistete
dann bis 1853 in der Grundentlastungs-
kommission für Tirol und Vorarlberg die
Hauptarbeit als deren Präsident. – „Im öst-
lichen Pustertal ging mit der Beseitigung
des Freistiftrechts weltlicher und geist-
licher Grundherren überhaupt erst das Mit-
telalter zu Ende. Der bisher in seiner Wirt-
schaftsführung beengte Bauer konnte nun
OSTTIROLER
NUMMER 7/2010
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HEIMATBLÄTTER
Die bunte Blumenpracht erneuert sich durch jede Mahd – wîsnlait im Oberbichla Troug
(Trog für muldenförmiges Gelände; diese Bergwiese reichte bis zur Roten Platte hinauf,
wo die Felspartien zu den Sajat Mädern aufsteigen): Gottlieb Berger, da Berger Gottl
(1912-2000), der begnadete Schnapsbrenner und in der Zeit um 1980 der unerschütterli-
che „Prädinga“ Vorkämpfer für die Rettung der Isel im Umbaltal vor dem Zugriff der
E-Wirtschaft, dahinter seine Frau, di Rendla Klare, und seine Schwester, di Warwe (Bar-
bara), photographiert am 3. August 1977. – Rendla stammt vom Personennamen Randolt
(Silz, 1288), Verkleinerungsform „Rendl“ (rant, in altem Deutsch = Schild, als erstes Glied
des Namens, erweitert mit -olt), Anm. 28 – Finsterwalder. Foto: Wolfgang Retter, Lienz
Windisch-Matrei
Die Erde tragen wir auf unserm Rücken
Auf kahlem Sandstein, daß er uns ernähre,
Wir säen aus, doch fremde Hände pflücken
Des Baumes Frucht und schneiden unsere Aehre.
Die Grundherrschaften und die Priester blicken
In jeden Stall, ob keine Kuh gebähre,
Du sahst den Jammer, sahst des Zehents Schwere,
Das letzte Blut aus unsern Fingern drücken –
Und brachst der ewig hungernden Hyäne,
Die uns zerissen hat, die scharfen Zähne –
Der Landmann sät und pflanzt nicht mehr vergebens.
Die Tat ist in der Krone deines Lebens
Der Diamant; wir nennen sie Enttierung,
Die andern aber „Gabenmoderierung“.
Anmerkung:
Mit dem Begriff
„Ent-Tier-ung“ drückt
Hermann von Gilm die
Befreiung von der
„Hyäne“ Grundherr-
schaft durch Kreis-
hauptmann von Kern
aus.
„Gabenmoderierung“ =
Ermäßigung
der Abgaben.