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„geraderichten; abstecken, Grenzen zie-
hen“; vergleiche Regel. Die alte Vorsilbe
ge
-
drückt eine Sammelbezeichnung aus:
ge-
rigel
= eine Mehrheit (Kollektivum) „von
Aufragendem“, die als Einheit betrachtet
wird; vergleiche Gebirge und Berg. – Seit
alters haben Mäher entlang der benachbar-
ten Wiesen jeweils einen Streifen von etwa
20 Zentimeter Breite mit der Sense nicht an-
gerührt. Deshalb bildet sich dort im Lauf
der Zeit eine Art Schwelle aus verfilztem
Gras und aus Zwergsträuchern, die sich im
Gelände als „Strich“ deutlich abhebt – eine
unverrückbare natürliche Grenze (im Ge-
gensatz zu Grenzsteinen).
29
Der Begriff „Birl“ stammt von indoeuropä-
isch
bher
- „tragen“, er bedeutet also „das Ge-
tragene“, vergleiche Bürde.
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In die „Somin-
gle“ (siehe vorne) wagte man sich nur mit
„Gliedereisen“ (speziellen Steigeisen). Ein
mühseliges Mähen, Ernten und Tragen! – Die
beschwerliche Gehzeit von hier bis zum „ho-
achn Stekkn“ betrug etwa eine halbe Stunde.
Dort wurde die wertvolle Fracht für den win-
terlichen Abtransport in einer „Driste“
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de-
poniert (so heißt ein hoher konischer Heu-
schober, um eine Stange herum im Freien
aufgestellt – auf einem lawinensicheren
Platz! – vergleiche italienisch
drizzare
„auf-
richten, aufstellen“). – War das Seil vereist,
mussten bis zu sechs Schlingen um den
„Stekkn“ gelegt werden, damit der „Lenggler“
das schwere „Fuder“ sicher zum nächsten
„Stekkn“ hinunterlassen konnte. Von Sajat
über die Felspartien hinunter waren fünf
Stangen notwendig: auf den „hoachn Stekkn“
folgten der „obere Plun-Stekkn“, dann der
„untere Plun-Stekkn“ (
plûn
stammt von latei-
nisch
planus
„eben, flach“ – das Gelände ver-
flacht sich hier etwas), der „Rebalas-Stekkn“
(dort „drehte“ sich das Gelände etwas; in
altem Deutsch, um 800,
r
ī
ban
„drehen, wen-
den“, mundartlich
rîb
„Krümmung, Bie-
gung“)
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und der „Klamml-Stekkn“ – von
dort geht es in einem felsigen Graben hinun-
ter zur „Roten Platte“ (kupferhältiges Ge-
stein). Etwas westlich von diesem „Stekkn“
befand sich unter einem überhängenden Fel-
sen die „Soala Pötsch“, dort wurde von den
„Hazere“ (Heuziehern) über Nacht das wert-
volle „Soal“ (Mehrzahl „Soala“) heraufge-
zogen und aufbewahrt, am nächsten Tag
wurde es wieder zum „hoachn Stekkn“
hinaufgetragen.
Der slawische Begriff
pe
č
(gesprochen
petsch) bedeutet „Fels“. Bis ins Spätmittel-
alter (13. Jh.-Ende 15. Jh.) hieß Fels im Slo-
wenischen
pet(r)je
, -
tj-
wurde zu -
č
- (tsch);
pe
č
heißt auch Ofen (in altem Deutsch be-
deutet
oven
„Ofen, Felsenhöhle, Fels“). Das
slowenische
pet(r)je
ist mit griechisch
pé-
tros
„Stein“ und lateinisch
petra
„Fels“ ur-
verwandt. Der Begriff Stein wurde wohl auf
Feuerstelle übertragen. Die doppelte Bedeu-
tung von
pe
č
und
oven
ist also uralt.
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In Prä-
graten heißt der Ausdruck
Pötsch
soviel wie
„Höhle unter Felsen“. Die Höhle wurde
ausgegraben; sie bot, mit Heu ausgepolstert,
Platz für sieben bis acht „Wiesenleute“ – in
Prägraten gibt es nach einem alten Spruch
drei Gattungen von Leuten:
mand
ɛ
rlait
,
waiw
ɛ
rlait
und
wîsnlait
. Im Virgental sind
viele Plätze mit diesem Namen im Sinn von
„überhängender Fels zum Unterstand für
Vieh und Leute“ benannt. Auf Sajat gab es
für die „Wiesenleute“ zum Übernachten
etwa die „Sandlas Pötsch“ („Sandla“ ist ein
Hofname, von „Santele“, Verkleinerung zu
Chrysant; vergleiche die Wallfahrtskirche
St. Chrysanten bei Nikolsdorf
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), oder die
„Zopsen-Pötsch“ – unterhalb vom „Sajat-
Sôttelan“ = „Sattele“ (der kleine Sattel).
Von diesem „Sôttelan“ aus rückt beimAuf-
stieg von Bichl herauf die Sajathütte erst-
mals ins Blickfeld.
Der Verfasser hat von diesem „Lenggln“,
das bis etwa 1955 ausgeübt wurde, 1978
erfahren, die „Petalasbuebm“ Friedl und
Florin Kratzer haben ihm auf Sajat davon
erzählt. Friedl war beim „Lenggln“ als
15-Jähriger anno 1953 noch dabei, sein
Vater Florinus und
da Much
(Michael),
dessen Bruder, banden ihn ans
Fuada foarn
drûn
(vorne dran), weil er ja über die senk-
rechten „Klapf“ (Felsen, Felsstufe im Ge-
lände) hinunter drei bis vier Meter frei in
der Luft hing. Diese lebensgefährliche
Arbeit hörte dann auf, weil ein Drahtseil
gespannt wurde, mit dem die „Fuada“ zutal
gelassen wurden; es wurde aber anfangs
der 60er-Jahre durch eine Lawine demo-
liert und das Bergheuen auf Sajat hörte auf,
dort oben, wo weitum das beste Futter
wuchs, aber auch am schwierigsten herun-
ter zur Hofstelle zu bringen war.
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Der Karsee, das Überbleibsel der letzten
Eiszeit, ist längst verlandet. Geblieben ist
der Name. Geprägt von den bairischen
Bauern, die in dieser Höhe natürliche
Rasen oberhalb des geschlossenen Waldes
vorfanden, um Bergheu zu gewinnen. Die
klimatisch mögliche Waldgrenze liegt hier
bei rund 2.300 m (seit der Eiszeit). Um das
Grasland auszudehnen, wurde Wald gero-
det. Die heutige Waldgrenze – lichte Lär-
chenwälder, immer wieder in kleine Flä-
chen zerlegt – zieht auf der Sonnseite meist
um 1.800 m durchs Gelände, auf der
Schattseite dagegen bei 2.000 m.
36
In Berei-
chen, wo das Vieh in steilem oder felsigem
Gelände nicht weiden konnte (das also für
Almwirtschaft nicht geeignet war), entstan-
den Bergmähder. Sie mussten erst in viel-
hundertjährigem Bemühen aus dem einsti-
gen Waldmantel herauspräpariert werden.
Das notwendige Winterfutter für das Vieh
wurde zum überwiegenden Teil auf der
pergwîse
(Schatz 1993) gewonnen. Die
Matrikeln der Pfarre Prägraten (beginnend
mit 1722) geben immer wieder Kunde von
tödlichen Unfällen bei dieser Arbeit, ohne
den Ort zu nennen. Es hieß nur:
in alpibus
(auf der Alm, im Bergmahd),
in excelso
monte
(auf hohem Berg),
in collectione
foeni
(beim „Sammeln“ von Heu),
in addu-
OSTTIROLER
NUMMER 7/2010
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HEIMATBLÄTTER
Horst eines Goldschwingels, Festuca pani-
culata, von lateinisch festuca „Grashalm“,
panicum „Hirse“ – die gelbbraunen Ris-
pen wurden früher in Zeiten der Not aus-
gedroschen und ins Brotgetreide ge-
mischt.
Foto: Anton Draxl, Lienz
Prädinga wîsnlait – Glücklich und zufrieden am Lebensabend (1978):
Florinus Kratzer (1902-1994), da Petalaspaur (rechts).
Aloisia, geb. Fankhauser (1899-1988), verheiratet mit Florinus; die gebürtige Zillerta-
lerin kam über das Waisenhaus in Brixen (Südtirol) als Adoptivkind mit sechs Jahren
nach Prägraten zum „Oberroana“, Mutter von sieben Töchtern und zwei Söhnen (Friedl
und Florin), die alle noch leben.
Michael Kratzer (1899-1992), da Much, der ledige ältere Bruder von Florinus.
Kratzer ist ein bäuerlicher Tätigkeitsname; „der Chrazz“ (Zillertal, 1350) erhielt den
Namen von einer einzigen Tätigkeit aus seinem vielseitigen Arbeitstag – er übte sie mit
der kr
ą
tze = dreieckige Haue aus. Vergleiche Kraler von krâl = Ackergerät mit rechtwink-
lig gebogenen Zinken, siehe Kralle = „die Gekrümmte“, Anm. 28 – Finsterwalder,
Anm. 1 – Schatz, Anm. 3.
Foto: Friedl Kratzer, Prägraten