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Rund ums Dorf
Seite 15
November 2016
mitgewirkt, Visionäre wie Skeptiker. Der eine mehr
der andere weniger. Nicht alles ist gelungen, aber ein
Gleichgewicht blieb all die Jahre bestehen und es hat sich
allmählich eine Gewinnsituation eingestellt, die nicht
zuletzt einem qualifizierten Tourismus die Tore öffnet.
Natürlich verlangt Tourismus heute gewisse Standards,
aber künstliche Wellnesbereiche, fünf Sterne-Event-
Locations, Schischaukeln und sonstige Erlebniswelten
sind inflationär geworden – entsprechend auch die
mörderische Konkurrenz.
Es gibt noch etwas anderes, was Menschen im Zeitalter
von Lautheit und Stressbelastung suchen, nämlich
Einzigartigkeit, Unverwechselbarkeit, Orte wo Ruhe und
Bewegung, Alt und Jung keinen Wiederspruch darstellen.
Die Zahl jener Suchenden ist nur scheinbar gering, sie ist
ständig wachsend – und allzu viele mögen es hoffentlich
nie werden. Viele Familien, so auch meine, sind genau
aus diesem Grunde seit Jahren wiederkehrende Gäste in
Obertilliach.
Diese Alleinstellungsmerkmal – wie es heut in der coolen
Sprache der Werbestrategen heißt – ist das Segment in
dem sich Obertilliach weiterhin positionieren möge. Dies
sind seine natürlichen Stärken – Standortvorteile, ohne
künstliche Tourismusgespinster erschaffen zu müssen.
Dass dies so bleibt und nachhaltig weiterentwickelt
werden kann, muss neuen Herausforderungen ins Auge
gesehen werden. Damit beschäftigen sich viele. Ich
möchte nur jene des Ortsbildes ansprechen.
Wie geht man etwa mit den leeren, landwirtschaftlich
nicht mehr genutzten Wirtschaftsgebäuden im Ortskern
um? Natürlich liegen Wohn- und touristische Nutzung
nahe, allerdings darf dabei das Wohnhaus daneben das
Maß aller Dinge und damit Vorbild sein. Eigene Wege
müssen gefunden werden, ansonsten wird der Ortskern
in weiteren 25 Jahren ganz anders aussehen und einen
Großteil seines Charmes verloren haben. Möglichkeiten
existieren, man denke etwa an Vergleichbares in der
Schweiz. In Obertilliach fehlen allerdings noch die
wegweisenden Beispiele.
EinThemasindnatürlichdieSolar-undPhotovoltaikanlagen,
auch wenn sich allmählich ein vernünftiger Gebrauch
abzeichnet. Die Nutzung alternativer Energiequellen ist
Gebot der Stunde, aber auf lange Sicht nur in Abwägung
zum Ort im Gesamten erfolgreich. Das vorhandene
Gleichgewicht muss bleiben und Gleichgewicht ist stets
etwas labiles, leicht Verwundbares. Nicht immer ist die
augenscheinlich „beste Lösung“ auch wirklich die einzig
Gute und oft ist die Verkehrung des Guten eine Folge des
„Gutgemeinten“.
Vielleicht noch ein Drittes: Worüber ich immer wieder
staune, ist die Sensibilität der Hauseigentümer und
Handwerker zu allem was aus Holz ist, je älter, umso
liebenswerter. Dem diametral steht das Verhältnis zum
Stein entgegen. Alles was aus Stein oder Mörtel ist, ist
achtlos austauschbar. Obertilliach lebt vom Ebenmaß
beider Elemente. Beides sind Geschwister und begründen
die Familie der Häuser, leider ein Kind geliebt, das andere
vielfach gehasst und und Stiefmütterlich behandelt.
Würden wir etwa mit dieser Haltung die Pfarrkirche
erhalten wollen? Nein, dann gäbe se sie nicht mehr, oder
eben eine ganz andere die niemand haben will.
Natürlich sind mit neuen Anforderungen auch neue
Bürden verbunden. Freude und Bürde sind zumindest
Zwillinge, um bei der Metapher der Familie zu bleiben.
Beide müssen gehegt und gepflegt werden. Es braucht
zu aller erst lernfähige „Eltern“, dann kann eine
entsprechende „Kinderbeihilfe“ die Bürde zum Erfolg
lindern. Nur auf dieser Grundlage können wir gemeinsam
die Häuser weiterentwickeln, ohne dass sie ihre gute
Kinderstube verlieren. In Obertilliach liegt die Wiege der
Zukunft nach wie vor in der Vergangenheit! – die Uhren
der Vergangenheit müssen an diesem Ort langsamer
gehen – und das ist gut so.
Bericht: HR Dipl.-Ing Walter Hauser
Bearbeitung: Bgm. Mattias Scherer
„Stocker“ Haus - Ortsbildpflege in Obertilliach
Foto: Benedikt Scherer