Seite 8 - Gemeindezeitungen

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Leisacher
Gucklöcher
Ander Zanon:
einblicke in das Leisach von gestern
Er gehört zu den wenigen, die schon seit über
90 Jahren in Leisach leben, und wenn man
sich mit ihm unterhält, öffnet sich ein unglaub-
lich lebendiges Guckloch in eine Vergangen-
heit, die anmutet wie ein spannender Film.
Der Müllerhof, in dem Ander 1921 geboren
wurde, steht nicht mehr. Er musste 1934 dem
Bau der Bundesstraße weichen, so wie meh-
rere andere Häuser, die man auf alten
Schwarz-weiß-Ansichtskarten noch sieht und
die einfach versetzt wurden. Ander erinnert
sich noch, wie 1934 das große Wirtschaftsge-
bäude des Leisacher Hofs, der damals Rienz-
ner Hof hieß, abbrannte. Es wurde nicht mehr
aufgebaut, heute befindet sich dort der Park-
platz. Als dann in Gries die ersten Häuser ge-
baut wurden, gab es dort noch keine
Wasserleitung und keinen Stromanschluss.
Das blieb so bis nach dem Zweiten Weltkrieg.
In der Zwischenkriegszeit lebte man in Lei-
sach noch von der Landwirtschaft. Auch in
der Notzeit der Weltwirtschaftskrise musste
niemand hungern, weil mit viel Fleiß jedes
Fleckchen Boden bearbeitet wurde. So
wurde Korn nicht gesät, sondern händisch
ausgesetzt, um den Ertrag zu steigern. Das
wenige, das man dazukaufen musste, gab
es im Tabakladen beim Stöffler oder man
musste zu Fuß nach Lienz gehen. Für grö-
ßere Erledigungen gab es das Fuhrwerk. Erst
in den Dreißigerjahren schuf sich der Unter-
höller-Bauer den ersten Traktor an und kurz
darauf fuhren die Söhne der Familie Kern mit
dem ersten Auto in Leisach auf.
Bei der Berufswahl gab es für die jungen Leisa-
cher nicht viele Möglichkeiten. Man war froh,
wenn man ein Handwerk erlernen konnte. In
Leisach gab es zwei Schuhmacher, einen
Schneider, einen Zimmermeister und einen
Maurermeister, die Lehrlinge ausbildeten.
Einige fanden Arbeit in der Pfannenfabrik Kern
oder bei der Dapra-Säge, andere bei der
Bahn. Auspendeln war kaum möglich, weil die
Verkehrsmittel nicht vorhanden waren. Ge-
scheite Buben wurden von Patres in diverse
Klosterinternate abge-
worben, wo man sie
als Priesternachwuchs
ausbilden wollte.
Ander begann seine
Schneiderlehre in
Ainet, zog aber
dann nach Leisach
zurück, weil er für
die zu gründende
Musikkapelle dringend gebraucht wurde.
Als sich die Ideen des Nationalsozialismus
ausbreiteten, gab es in Leisach viele kritische
Stimmen, aber keinen offenen Widerstand,
weil man um seine Familien fürchten musste.
Auch Kriegsbegeisterung gab es nach dem
Anschluss an Deutschland noch, aber bald
gab es erste Gefallene und die Begeisterung
wich der Sorge. Ander wurde als 19-Jähri-
ger in die Wehrmacht eingezogen und war
von 1940 bis 1945 an der Westfront einge-
setzt. Bei Kriegsende geriet er in amerikani-
sche Gefangenschaft und kam erst im
Frühjahr 1946 zurück. Seine Mutter hatte
nicht mehr mit seiner Heimkehr gerechnet
und seine Kleider bereits an verzweifelte
Kriegsheimkehrer verschenkt. So nähte sich
Ander, der gelernte Schneider, aus der
Wolle einer Matratzenfüllung, die er in Lienz
beim Brugger zu Garn verspinnen und ver-
weben ließ, einen Anzug, damit er nicht in
der verpönten Uniform herumlaufen musste.
Ander hatte Glück, oder – wie er sagt – einen
guten Schutzengel gehabt, dass er unversehrt
aus dem Krieg zurückkam. 30 Leisacher Män-
ner, darunter mehrere Familienväter, hatten
als Soldaten der deutschen Wehrmacht ihr
Leben verloren. Die Heimkehrer versuchten,
wieder Fuß zu fassen und bald machte sich
eine Aufbruchstimmung bemerkbar, die sich
über das Private hinaus auf das gesamte dörf-
liche Leben auswirkte. Ander fand eine liebe
Partnerin, gründete mit ihr eine Familie und
wagte sich an den Bau des Hauses, in dem er
mit seiner Frau Burgl noch heute lebt.
Von ihren sechs Kindern leben zwei in
Leisach und unterstützen ihre Eltern, wenn es
nötig ist. Aber Ander und Burgl sind be-
strebt, ihren Alltag möglichst lange selbst-
ständig bewältigen zu können. Das
Autofahren hat Ander zwar aufgegeben,
aber er fährt fast täglich mit dem Rad in die
Stadt, um einzukaufen und Verschiedenes zu