Seite 27 - Gemeindezeitungen

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Virgen
Aktiv
Virgen im Ersten Weltkrieg
I
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neue Provinz anzugliedern), verurteilten
sämtliche Großmächte, einschließlich
Deutschland, dieses eigenmächtige Vor-
gehen. Dabei spielte Russland die
Hauptrolle, es meinte ja, „Schirmherr
aller Slawen“ zu sein (Panslawismus).
Dortige Zeitungen heizten die Stim-
mung noch zusätzlich mit Schlagworten
wie „Versklavung der slawischen Brüder
in Bosnien“ an. Sie hatten nicht ganz
unrecht: die Bosnier mussten nun
Deutsch lernen (Amtssprache), öster-
reichischen Militärdienst leisten, in
einem für sie als Moslems fremden Kul-
turkreis leben.
Kurz: Der Vielvölkerstaat Österreich
hatte sich durch diese Aktion ein weite-
res Nationalitätenproblem aufgehalst und
zudem halb Europa verärgert. Es be-
durfte einer Menge diplomatischen Ge-
schicks und guten Willens von allen Sei-
ten, dass die Waffen nicht jetzt schon aus
den Arsenalen geholt wurden!
Auf die Frage nach der Schuld am Aus-
bruch des Ersten Weltkriegs gibt es keine
eindeutige Antwort – die meisten Politi-
ker und Generäle der Großmächte woll-
ten den bewaffneten Konflikt oder taten
zumindest nichts, um ihn zu verhindern.
Besonnene und friedliebende Staats-
männer standen diesmal, anders als vor
sechs Jahren, auf verlorenem Posten.
Allerdings hatten die Kriegstreiber „nur“
zeitlich und räumlich begrenzte Ausein-
andersetzungen im Sinn; dass sich diese
zu einemWeltkrieg entwickeln würden,
der ungeahnte Dimensionen erreichte
und epochale Veränderungen nach sich
zog, konnte wohl keiner der Verant-
wortlichen geahnt, noch weniger beab-
sichtigt haben.
Nun die Schulchronik:
1914
Am 28. Juni 1914 wurde zum Leid-
wesen aller österreichischen Untertanen
der erlauchte Thronfolger, der durch-
lauchtigste Erzherzog FRANZ FERDI-
NAND und seine erlauchte Gemahlin
Herzogin SOPHIE HOHENBERG in
Sarajevo von Anarchistenhand getötet!
Diese Tat konnte nicht ungesühnt blei-
ben! Die von Kaiser FRANZ JOSEF I.
gestellten Bedingungen wurden von den
Serben nicht erfüllt und so blieb unserm
geliebten, friedliebenden Monarchen
ten neue Einberufungen zu den Waffen
und als Arbeiter.
Am 10. Dezember 1914 soll Alois
DICHTL, Hubersohn von Obermauern
und Kapellmeister der Virger Musik,
einer feindlichen Kugel in Galizien zum
Opfer gefallen sein. Ferner soll auf Gali-
ziens Boden Hans SCHMIEDER, Eder-
sohn in Göriach, ein braver tüchtiger
Bauer, gefallen sein. Ebenso ein Brun-
nersohn von Gries (Gregor ASSMAIR).
Dieser Krieg brachte viel Not und Elend
über Land und Leute. Aber auch die
Mildtätigkeit der Bevölkerung zeigte sich
im hellen Lichte. Zu Weihnachten 1914
konnten den im Felde stehenden Solda-
ten zirka 90 Paar Socken, Strümpfe und
Pulswärmer – gestrickt von den Schul-
mädchen der III. Klasse hier – die Wolle
dazu wurde ebenfalls von den Mädchen
in Virgen von mildherzigen Leuten er-
bettelt – geschickt werden. Auch noch
reine Wolle und Charpie wurden meh-
rere kg dem roten Kreuze überschickt
und 60 K [Kronen] an Geld.
[Charpie, auch: Scharpie – zerzupfter
Stoff als Verbandsmaterial]
Quelle für den Text der „Vorbemerkun-
gen“ und der beiden Abbildungen ist das
Buch: Österreich im 20. Jahrhundert
(Manfred Scheuch), 1. Auflage, 2000,
Verlag Christian Brandstätter, Wien –
München, ISBN 3-85498-029-9.
Otfried Pawlin
Kriegspropaganda mit Hassparolen und Verspottung des Gegners
nichts anders übrig, als seine getreuen
Völker zu den Waffen zu rufen. Allerorts
folgte man dem Rufe unseres geliebten
Landesvaters.
Der 2. August 1914 bot in ganz Öster-
reich und in Deutschland – dem treuen
Verbündeten – ein eigenartiges Bild:
Einerseits – großartige Begeisterung, an-
dererseits – schwerer, schmerzlicher Ab-
schied. Galt es ja einem übermächtigen
Feinde entgegenzuziehen, denn Serbien
und Rußland hatten Österreich den
Krieg erklärt und Rußland, Frankreich
und England hatte dem deutschen Kai-
ser den Fehdehandschuh vor die Füße
geworfen.
Auch das Iseltal stellte seine Tapfern für
Gott, Kaiser und Vaterland! Von Virgen
waren einige 60 Mann bereit, für das be-
drängte Vaterland Blut und Leben zu
opfern. Auch die nach Amerika ausge-
wanderten Virger – es soll dies zurzeit
eine beträchtliche Zahl sein – hätten
gern für die Befreiung des geliebten
Vaterlandes das Ihrige beigetragen.
Doch sie konnten nicht in die Heimat
zurück, da England und Frankreich die
Schiffe streng beaufsichtigten.
Der Krieg entbrannte auf allen Seiten;
Blut floß in Strömen; manch teures
Menschenleben verblutete. Anfangs
hörte man in Virgen wenig von Gefalle-
nen. Verwundete und Gefangene gab es
mehr, auch vermißt sind einige. Es folg-