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REPORTAGE

PUSTERTALER VOLLTREFFER

JUNI/JULI 2017

43

keine Informationen von außen,

was diesbezüglich richtig oder

falsch ist.“ Gut erinnert sich

Theresa daran, wie oft sie sich

„danach“ übergeben musste.

„So hat es mich gegraust.“ Von

den Schmerzen, körperlich und

seelischen, gar nicht zu reden.

„Einen Arzt sahen wir ja so gut

wie nie. Er hätte sicher Ver-

dacht geschöpft.“

Als Theresa 14 Jahre alt war

musste sie erleben, dass auch

ihre Brüder dazu gezwungen

wurden, sich an ihren Schwes-

tern zu vergehen, um sich als

Männer „zu erproben“. „Das

war ein Schlüsselerlebnis, das

in mir einen unbändigen Wi-

derstand auslöste, der mich mit-

ten in der Nacht aus dem

Wahnsinn flüchten ließ. Ich

packte lediglich ein paar Sa-

chen und Nahrungsmittel zu-

sammen und verschwand.“

Sie trottete tagelang

vor sich hin

Theresa hatte keine Ahnung,

wohin „ihre Reise“ nun gehen

sollte. „Aber ich wusste intuitiv,

dass ich nur durch Flucht meine

Seele retten kann. Ich war

schon lange innerlich erstarrt,

weinte nicht, war nicht traurig,

spürte mich eigentlich gar

nicht.“ Sie trottete tagelang vor

sich hin. Ohne zu wissen, in

ließ sie mich ins Haus. Mir war,

als kannte ich die Frau schon

sehr lange und dass sie nur auf

mich gewartet hätte. Es war

sehr eigenartig.“ Theresa

sprach aber nur wenig. Sie er-

zählte, dass sie alleine auf Wan-

derschaft gegangen und ihr das

Essen nun ausgegangen sei.

„Ich wusste sofort, dass mir die

Frau nicht glaubte. Sie lächelte

nur ein bisschen und bereitete

mir ein Mus zu, das herrlich

schmeckte.“ Theresa durfte

auch die Nacht im Haus ver-

bringen, in dem noch der alte

Vater lebte. Der Ehemann war

im Krieg gefallen. Kinder gab

es keine im Haus. Am nächsten

Morgen – Theresa wollte schon

wieder aufbrechen – holte die

Frau ein Foto aus der Schub-

lade und legte es ihr vor.

Die Tochter des Hauses

„Ich sah auf dem Bild ein

Mädchen, das mir sehr ähnlich

sah. Irgendwie war ich von dem

Anblick schockiert. Mir war so-

fort klar, dass dieses Mädchen

die Tochter des Hauses gewe-

sen sein musste, aber dass sie

vermutlich nicht mehr lebte.

Die Frau sah mich an, als wäre

ihre Tochter in meiner Gestalt

wieder zurückgekehrt. Mir

wurde ganz komisch.“ Die Si-

tuation entspannte sich aber so-

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nhaus war ihre Rettung

welche Richtung sie eigentlich

ging. „Ich ging meistens nur in

der Dämmerung. Untertags ver-

steckte ich mich in Wäldern und

schlief dort auch. Es war mitten

im Sommer und deshalb nicht

kalt.“ Später erfuhr sie, dass

sich die Eltern kaum Mühe ge-

macht hatten, sie zu suchen.

„Nach zwei Tagen gaben sie

auf.“ Als ihre Lebensmittel zu

Ende gingen, war sie regelrecht

gezwungen, sich auf der Suche

nach Nahrung einem Haus zu

nähern. „Ich war durch mein

Aufwachsen sehr menschen-

scheu, und es kostete mich

wahnsinnig viel Überwindung

an die Tür eines kleinen, alten

Bauernhauses zu klopfen, das

auch recht einsam dastand.“

„Als hätte sie auf mich

gewartet“

Theresa wurde von einer

älteren Frau die Tür geöffnet.

„Sie lächelte mich mit einer

solchen Warmherzigkeit an, die

ich bislang nicht gekannt hatte.

Mit einer Selbstverständlichkeit

fort als die Frau ein wenig zu

lachen begann und Theresa so-

fort beruhigte: „Keine Sorge.

Ich sehe keine Geister. Es ist

nur ein unglaublicher Zufall,

dass du wie mein eigenes Kind

aussiehst. Sie starb an einer

Lungenentzündung“, sagte sie.

Theresa fiel ein Stein vom Her-

zen. „Ich musste wohl solch‘

einen desolaten Eindruck ge-

macht haben, dass mir die Frau

dann anbot, doch ein paar Tage

bei ihr zu bleiben. Ich nahm das

Angebot sehr gerne an – zumal

ich in dem Haus eine bislang

unbekannte seelische Wärme

verspürte, die ich aufsog wie

ein Schwamm das Wasser.“

Alles sprudelte aus ihr

heraus

„Ich weiß nicht, wie ich es

schaffte. Aber im Laufe der

Tage erzählte ich der Frau

meine ganze Vergangenheit.

Von den Schlägen, vom Miss-

brauch, von der Kälte und Bru-

talität in meinem Elternhaus. Es

sprudelte alles nur so aus mir

heraus – ich kannte keine

Scham, auch genauere Details

zu erzählen. Denn ich hatte ein

solches Vertrauen in diese Frau,

das ich mir bis heute nicht er-

klären kann. Am Ende meiner

Erzählungen saßen wir bitter-

lich weinend da. Wir weinten

zusammen auch in den Folge-

tagen, teils stundenlang. Ich

hatte das Gefühl, das ich mir

alles Erlebte nun von der Seele

weinen und so den Dreck im

gewaltigen Schwall aus mir

spülen konnte.“

Theresa erlebte auch erst-

mals, wie es sich anfühlte, von

einem Menschen umarmt zu

werden, ohne dass ein Miss-

brauch folgte. „Ich fühlte mich,

als wäre ich in eine völlig neue

Welt eingestiegen“, so Theresa,

die sich bis heute mit dieser

Frau eng verbunden fühlt, ob-

wohl sie schon vor vielen Jah-

ren verstarb.

Sie blieb

„Ich bin damals bei ihr ge-

blieben. Es war die schönste

Zeit in meinem Leben. Die

Frau, die ich heute als meine

Mutter bezeichne, begann sich

sehr um mich zu kümmern,

versuchte mit mir noch lange

meine Erlebnisse zu bespre-

chen, sodass ich den Wahnsinn

Ministück für Ministück emo-

tional aus meinem Gedächtnis

streichen konnte. Sie war zwar

eine einfache Bauersfrau, aber

wirkte auf mich wie die beste

Therapeutin der Welt.“

Die Frau verhalf Theresa

auch zu einer Lehrstelle als Ver-

käuferin. „Letztendlich ent-

deckte ich auch meine Leiden-

schaft, anderen Menschen, die

Opfer von Gewalt und Miss-

brauch waren bzw. sind, zu hel-

fen.“ Theresa nahm Jahre spä-

ter Kontakt zu ihren Geschwis-

tern auf. „Eine Schwester war

Patientin in der Nervenheilan-

stalt in Hall i. T. Die anderen

hatten es teils geschafft, sich

ein eigenes Leben aufzubauen.

Zwei lebten nicht mehr. Meine

Eltern waren in einem Pflege-

heim und sind mittlerweile

verstorben. Auch die Onkel.“

Martina Holzer