REPORTAGE
PUSTERTALER VOLLTREFFER
JUNI/JULI 2017
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keine Informationen von außen,
was diesbezüglich richtig oder
falsch ist.“ Gut erinnert sich
Theresa daran, wie oft sie sich
„danach“ übergeben musste.
„So hat es mich gegraust.“ Von
den Schmerzen, körperlich und
seelischen, gar nicht zu reden.
„Einen Arzt sahen wir ja so gut
wie nie. Er hätte sicher Ver-
dacht geschöpft.“
Als Theresa 14 Jahre alt war
musste sie erleben, dass auch
ihre Brüder dazu gezwungen
wurden, sich an ihren Schwes-
tern zu vergehen, um sich als
Männer „zu erproben“. „Das
war ein Schlüsselerlebnis, das
in mir einen unbändigen Wi-
derstand auslöste, der mich mit-
ten in der Nacht aus dem
Wahnsinn flüchten ließ. Ich
packte lediglich ein paar Sa-
chen und Nahrungsmittel zu-
sammen und verschwand.“
Sie trottete tagelang
vor sich hin
Theresa hatte keine Ahnung,
wohin „ihre Reise“ nun gehen
sollte. „Aber ich wusste intuitiv,
dass ich nur durch Flucht meine
Seele retten kann. Ich war
schon lange innerlich erstarrt,
weinte nicht, war nicht traurig,
spürte mich eigentlich gar
nicht.“ Sie trottete tagelang vor
sich hin. Ohne zu wissen, in
ließ sie mich ins Haus. Mir war,
als kannte ich die Frau schon
sehr lange und dass sie nur auf
mich gewartet hätte. Es war
sehr eigenartig.“ Theresa
sprach aber nur wenig. Sie er-
zählte, dass sie alleine auf Wan-
derschaft gegangen und ihr das
Essen nun ausgegangen sei.
„Ich wusste sofort, dass mir die
Frau nicht glaubte. Sie lächelte
nur ein bisschen und bereitete
mir ein Mus zu, das herrlich
schmeckte.“ Theresa durfte
auch die Nacht im Haus ver-
bringen, in dem noch der alte
Vater lebte. Der Ehemann war
im Krieg gefallen. Kinder gab
es keine im Haus. Am nächsten
Morgen – Theresa wollte schon
wieder aufbrechen – holte die
Frau ein Foto aus der Schub-
lade und legte es ihr vor.
Die Tochter des Hauses
„Ich sah auf dem Bild ein
Mädchen, das mir sehr ähnlich
sah. Irgendwie war ich von dem
Anblick schockiert. Mir war so-
fort klar, dass dieses Mädchen
die Tochter des Hauses gewe-
sen sein musste, aber dass sie
vermutlich nicht mehr lebte.
Die Frau sah mich an, als wäre
ihre Tochter in meiner Gestalt
wieder zurückgekehrt. Mir
wurde ganz komisch.“ Die Si-
tuation entspannte sich aber so-
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www.agetech.atnhaus war ihre Rettung
welche Richtung sie eigentlich
ging. „Ich ging meistens nur in
der Dämmerung. Untertags ver-
steckte ich mich in Wäldern und
schlief dort auch. Es war mitten
im Sommer und deshalb nicht
kalt.“ Später erfuhr sie, dass
sich die Eltern kaum Mühe ge-
macht hatten, sie zu suchen.
„Nach zwei Tagen gaben sie
auf.“ Als ihre Lebensmittel zu
Ende gingen, war sie regelrecht
gezwungen, sich auf der Suche
nach Nahrung einem Haus zu
nähern. „Ich war durch mein
Aufwachsen sehr menschen-
scheu, und es kostete mich
wahnsinnig viel Überwindung
an die Tür eines kleinen, alten
Bauernhauses zu klopfen, das
auch recht einsam dastand.“
„Als hätte sie auf mich
gewartet“
Theresa wurde von einer
älteren Frau die Tür geöffnet.
„Sie lächelte mich mit einer
solchen Warmherzigkeit an, die
ich bislang nicht gekannt hatte.
Mit einer Selbstverständlichkeit
fort als die Frau ein wenig zu
lachen begann und Theresa so-
fort beruhigte: „Keine Sorge.
Ich sehe keine Geister. Es ist
nur ein unglaublicher Zufall,
dass du wie mein eigenes Kind
aussiehst. Sie starb an einer
Lungenentzündung“, sagte sie.
Theresa fiel ein Stein vom Her-
zen. „Ich musste wohl solch‘
einen desolaten Eindruck ge-
macht haben, dass mir die Frau
dann anbot, doch ein paar Tage
bei ihr zu bleiben. Ich nahm das
Angebot sehr gerne an – zumal
ich in dem Haus eine bislang
unbekannte seelische Wärme
verspürte, die ich aufsog wie
ein Schwamm das Wasser.“
Alles sprudelte aus ihr
heraus
„Ich weiß nicht, wie ich es
schaffte. Aber im Laufe der
Tage erzählte ich der Frau
meine ganze Vergangenheit.
Von den Schlägen, vom Miss-
brauch, von der Kälte und Bru-
talität in meinem Elternhaus. Es
sprudelte alles nur so aus mir
heraus – ich kannte keine
Scham, auch genauere Details
zu erzählen. Denn ich hatte ein
solches Vertrauen in diese Frau,
das ich mir bis heute nicht er-
klären kann. Am Ende meiner
Erzählungen saßen wir bitter-
lich weinend da. Wir weinten
zusammen auch in den Folge-
tagen, teils stundenlang. Ich
hatte das Gefühl, das ich mir
alles Erlebte nun von der Seele
weinen und so den Dreck im
gewaltigen Schwall aus mir
spülen konnte.“
Theresa erlebte auch erst-
mals, wie es sich anfühlte, von
einem Menschen umarmt zu
werden, ohne dass ein Miss-
brauch folgte. „Ich fühlte mich,
als wäre ich in eine völlig neue
Welt eingestiegen“, so Theresa,
die sich bis heute mit dieser
Frau eng verbunden fühlt, ob-
wohl sie schon vor vielen Jah-
ren verstarb.
Sie blieb
„Ich bin damals bei ihr ge-
blieben. Es war die schönste
Zeit in meinem Leben. Die
Frau, die ich heute als meine
Mutter bezeichne, begann sich
sehr um mich zu kümmern,
versuchte mit mir noch lange
meine Erlebnisse zu bespre-
chen, sodass ich den Wahnsinn
Ministück für Ministück emo-
tional aus meinem Gedächtnis
streichen konnte. Sie war zwar
eine einfache Bauersfrau, aber
wirkte auf mich wie die beste
Therapeutin der Welt.“
Die Frau verhalf Theresa
auch zu einer Lehrstelle als Ver-
käuferin. „Letztendlich ent-
deckte ich auch meine Leiden-
schaft, anderen Menschen, die
Opfer von Gewalt und Miss-
brauch waren bzw. sind, zu hel-
fen.“ Theresa nahm Jahre spä-
ter Kontakt zu ihren Geschwis-
tern auf. „Eine Schwester war
Patientin in der Nervenheilan-
stalt in Hall i. T. Die anderen
hatten es teils geschafft, sich
ein eigenes Leben aufzubauen.
Zwei lebten nicht mehr. Meine
Eltern waren in einem Pflege-
heim und sind mittlerweile
verstorben. Auch die Onkel.“
Martina Holzer