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nicht die Chance, ältere Gegenstände zu
finden. Die Latrine war nämlich immer
wieder entleert und der Inhalt auf dem
Feld verstreut worden. Im Falle des Wie-
sentheinerhauses erfolgte die Entleerung
wohl im nördlich anschließenden Garten.
Das bedeutet, daß man bei einer Unter-
suchung des Gartens neben Teilen der
Stadtmauer auch viele Bruchstücke von
Gegenständen aus der Latrine finden
würde. Dabei wären höchstwahrscheinlich
nicht nur Teile von Gegenständen des 19.
Jahrhunderts, sondern auch solche, die aus
früheren Zeiten stammen, zu finden.
In der Latrine entdeckte man neben
Tierknochen, aus denen Gebrauchsgegen-
stände, wie zum Beispiel ein gedübelter
Würfel, hergestellt worden waren, auch
Eisenreste und Hafnerware. Durch sie
konnte nun auch an Hand von Funden die
Ausübung des Schlosser- bzw. Hafner-
gewerbes im Hause nachgewiesen werden.
Zu diesen Funden zählen glasierte Nacht-
töpfe, ein Weihwasserkrüglein, Puppen-
geschirr und Apothekenabgabegefäße,
um nur einige zu nennen. Erwähnenswert
scheint auch die „...hohe Anzahl [12
Stücke!] an geborgenen Geräten aus
Silex...“ zu sein. Dies läßt die Möglichkeit
offen, daß im städtischen Bereich der Ge-
brauch von Phosphorzündhölzern äußerst
selten gemacht wurde, da diese Silex-
stücke mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit
Bestandteile von Feuerzeugen sind.
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Der zweite Teil des Raumes war, wie aus
dem schon erwähnten Bauakt des
Jahres 1871 hervorgeht, ein Schweinestall
gewesen. Er schloß im Westen an die La-
trine an (s. Abb. 5). Dieser Stall war aber
keineswegs eine Besonderheit. Beinahe je-
de Bürgerfamilie betrieb neben dem
Handwerk noch eine kleine Landwirtschaft.
In den Stallungen wurde ein geringe Zahl
an Vieh gehalten, und im Garten wurden
Nahrungsmittel zur Selbstversorgung an-
gebaut. Dabei handelte es sich vor allem
um Rüben, Kohl und Kräuter, während
man Obstbäume fast nie anpflanzte, weil
sie zu viel Platz in Anspruch nahmen.
Nicht selten besaßen die Bürger auch
Gründe außerhalb der Stadt. Diese
„Ackerbürger“ betrieben allerdings die
Höfe und Gründe nur als Nebenerwerb,
um den eigenen Bedarf zu decken.
Im Laufe des 16. Jahrhunderts erreichte
das Wiesentheinerhaus sein endgültiges
Bauvolumen. Im Rahmen dieses Umbaus
wurde dem dritten Raum nördlich noch ein
Raum angefügt, die beiden Oberge-
schoße im südlichen Bereich zu Wohn-
zwecken umgebaut und im hinteren Teil
ein Futterhaus errichtet. Etwas später wur-
den im ersten Obergeschoß, im Bereich
des Futterhauses, ein Speisgewölbe und im
zweiten Stockwerk eine „Wohnung“ mit
eigener Küche gebaut.
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Welche Aufgabe der neu hinzugefügte
Raum 4 (s. Abb. 3) erfüllte, ist ziemlich
schwierig festzustellen, da in diesem
Raum keine archäologischen Unter-
suchungen durchgeführt wurden. Wahr-
scheinlich diente er als Wirtschaftsraum
des Hauses, weil er im Norden an den Hof
grenzte und somit für wirtschaftliche
Zwecke am besten geeignet war. In diesem
Raum dürften entweder die erwirtschafte-
ten Produkte oder die zur Landwirtschaft
benötigten Werkzeuge aufbewahrt worden
sein.
Fortsetzung folgt
Anmerkungen:
1 Klotz, Arnold: Entwicklung und Struktur historischer
Stadtkerne in den Tiroler Städten, Wien 1980, S. 91
2 Pizzinini, Meinrad: Lienz, Das große Stadtbuch, im
Selbstverlag der Stadt Lienz, 1982, S. 164
3 Pizzinini, Meinrad: Lienz, Das große Stadtbuch a.a.O.,
S. 165
4 Festschrift 125 Jahre Freiwillige Feuerwehr der Stadt
Lienz 1868 - 1993, S. 13f.
5 Klotz, Arnold: Entwicklung und Struktur historischer
Stadtkerne in den Tiroler Städten a.a.O., S. 101
6 Hauser, Walter: Bauanalytische Untersuchung des Wie-
sentheinerhauses In: Nearchos 1, 1993, S. 66
7 Stadler, Harald: Untersuchungsbereich Wiesentheiner-
haus In: Nearchos 1, 1993, S. 59
8 Festschrift a.a.O., S.15
9 Hauser, Walter: a.a.O., S.66
10 Stadler, Harald: a.a.O., S. 60
11 Stadler, Harald: a.a.O., S. 60
12 Stadler, Harald: a.a.O., S. 62 f.
13 Hauser, Walter: a.a.O., S. 68f.
O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
Nummer 2 — 63. Jahrgang
Abb. 4: Blick (von rechts) auf den ehemaligen Fronkasten, links vom Weg das sogenannte
Görzer Haus und daneben das heute als Wiesentheinerhaus bezeichnete Gebäude in ei-
nem Aquarell von 1608 im Tiroler Landesarchiv.
Repro: M. Pizzinini
Abb. 5: Wiesentheinerhaus: Erdgeschoßgrundriß des Bauaktes von 1871.
Zeichnung U. Wein, Innsbruck
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren
verantwortlich.
Anschrift des Autors dieser Nummer:
Matthias Brugger, 9900 Lienz, Beda-Weber-
Gasse 16 a.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimatblät-
ter“ sind einzusenden an die Redaktion
des „Osttiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad
Pizzinini, A-6176 Völs, Albertistraße 2a.