Seite 3 - H_1995_02

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Nummer 2 — 63. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r
so das Privatleben der Familie beträchtlich
stören müssen.
Daß im Wiesentheinerhaus überhaupt
ein oberes Geschoß schon im 13. Jahr-
hundert vorhanden war, zeigt die bau-
analytische Untersuchung des Hauses
von Walter Hauser: „...Das romanische
Mauergeviert war an der westseitigen Feu-
ermauer bis etwa einen halben Meter über
den Fußboden des ersten Stockwerkes zu
verfolgen...“
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In diesem oberen Geschoß waren die
Küche, die Schlafzimmer und eventuell
eine Stube, was aber auf Grund des gerin-
gen Platzes unwahrscheinlich ist. Das Zen-
trum dieses Stockwerkes war mit größter
Wahrscheinlichkeit die Küche. Dies er-
scheint logisch, wenn man das ungefähre
Aussehen der Schlafzimmer dieser Zeit
kennt. Um sich ein Bild davon zu machen,
darf man auf keinen Fall die Räume unse-
rer Zeit heranziehen. In so einer Kammer
(der Ausdruck „Zimmer“ wurde kaum ver-
wendet) befand sich außer der Schlaf-
stätte und dem Nachttopf fast kein anderer
Gegenstand. Wenn es der Platz erlaubte,
dann stand in diesem Raum eventuell noch
eine Truhe, in der die täglichen Kleider
aufbewahrt wurden. Die Schlafkammer
diente also nur dem Ausruhen, nicht aber
dem gemütlichen Aufenthalt. Aus diesem
Grund wurde sie auch nie beheizt.
So spielte sich das Leben der Familie im
oberen Stockwerk in der Küche ab. Die
Küche dürfte über den eigentlichen Zweck
hinaus auch die Funktion eines Arbeitsrau-
mes für die Frau des Hauses erfüllt haben.
Dort wurden auch Tätigkeiten wie Nähen
und ähnliche Hausarbeiten durchgeführt.
Das Wiesentheinerhaus hatte bis zum
Ende des 14. Jahrhunderts also folgendes
Aussehen. Es war ein schmales, einstöcki-
ges Haus, das im Westen direkt an das
Nachbargebäude angebaut war, im Osten
aber nicht mit dem nächsten Haus verbun-
den war. Auf dieser Seite gab es einen
Durchgang, der vermutlich in den Hof bzw.
Garten des Wiesentheinerhauses führte.
Ende des 14. Jahrhunderts erfolgte dann
die erste größere Umbauphase. Im Zuge
dieser Arbeiten entstanden die Räume 5, 6
und 7 (s. Abb. 3). Im Gegensatz zu ihrer
letzten Verwendung als Räume hatten sie
ursprünglich die Funktion eines Seitenflurs.
Wegen Zeitmangels konnten diese
Räume bei der archäologischen Grabung
von Dr. Harald Stadler nur teilweise
untersucht werden, sodaß die erwünschten
Funde nicht gemacht werden konnten.
Weiters wurden Ende des 14. Jahrhunderts
bzw. Anfang des 15. Jahrhunderts noch die
Räume 2 und 3 und eine Stiege in das
Obergeschoß in der Nordwand des
Raumes 1 errichtet. Der Zubau der beiden
Räume erfolgte nicht in einem Zug.
Daß zwischen der Errichtung des
Raumes 2 und der des Raumes 3 eine Zeit-
spanne von einigen Jahren lag, erklärt sich
durch das „...in die Nordwand eingebaute
originäre Fenster...“
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. Dieses kleine Fen-
ster führte die Blicke auf einen Hof, der
dem Gebäude nördlich angeschlossen
war. Erst mit dem Anbau des dritten
Raumes wurde dieses Fenster überflüssig,
weil kein Licht mehr in den Raum kam. Es
wurde daher auch zugemauert.
In Raum 2 konnten wertvolle Hinweise
auf die Erbauungszeit gefunden werden.
Vor allem der südliche Teil eines goti-
schen Steingewändes mit Anlauf
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, der
sich bis zum Abbruch erhalten hat, weist
darauf hin, daß der Raum im 14. Jahrhun-
dert entstanden sein muß.
Hier fanden sich auch Hinweise auf die
Erbauung der Stiege, die ins Obergeschoß
führte. In dem Hohlraum, der durch den
Anbau des Stiegenkörpers an die Mauer in
die Südwand entstanden war, konnten
Abbruchschutt und Fundmaterial aus
dem 15. Jahrhundert gefunden werden.
Das bedeutet, daß die Stiege, ebenso wie
der dritte Raum nicht zugleich mit dem
Raum 2 dazugebaut worden sind.
Auch wenn die Holzkonstruktion, die
den Raum bis 1992 in einen Holz- bzw.
Kohleschuppen teilte, nicht aus dem
14. Jahrhundert stammte, so hatte der
Raum doch schon damals den Zweck eines
Lagerraumes zu erfüllen. Die in die Süd-
wand eingebaute Türe, die eine Verbin-
dung zum Raum 1 herstellte, weist sehr
deutlich darauf hin, daß in diesem Raum
besonders handwerkliche Gegenstände,
die der damalige Besitzer nicht immer
brauchte, abgestellt wurden.
Von den Funden her am interessantesten
war aber sicherlich der Raum 3. Er war der
kleinste der drei Räume und konnte so am
genauesten untersucht werden.
Schon sehr bald stellte sich heraus, daß
ein Teil dieses Raumes als Latrine des Hau-
ses gedient hatte. Da die Latrine schon zur
damaligen Zeit auch eine Müllhalde für den
Abfall des Haushaltes und der Werkstätte
gewesen war, konnte in diesem untersuch-
ten Abschnitt viel gefunden werden.
Auf Grund eines Bauaktes aus dem Jah-
re 1871 konnte man die Gegenstände aus
der Latrine zeitlich genau zuordnen. Da in
diesem Bauakt von einem neuen Abort an
der Nordwand die Rede ist, wurde nun
klar, daß die Funde aus den Jahren 1871 –
1875 stammen mußten. Dadurch, daß die
Latrine auch eine Müllhalde war, wurden
zwar einerseits die Funde erst ermöglicht,
doch bestand andererseits deshalb auch
Abb. 3: Schnittübersicht des Wiesentheinerhauses.
Zeichnung W. Hauser, Innsbruck