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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
66. Jahrgang –– Nummer 3
habe erzählt, daß 1884/85 „Walsche“ die
Säge betrieben hätten, Tag und Nacht – bei
Petroleumlicht – seien sie am Werk gewe-
sen. Es ist nicht mehr bekannt, wo diese
italienischen „Sagler“ daheim waren. Sie
werden wohl aus dem benachbarten Ca-
dore, dem Gebiet der oberen Piave, ge-
kommen sein. Jedenfalls waren sie unge-
wöhnlich arbeitsam und initiativ, wie man
es der Bevölkerung des Cadore nachsagt.
Das Rundholz hätten sie selber aus dem
„Sauwald“, einem Waldareal hinten im
Arntal, mit Pferdeschlitten herange-
schafft, sogar in der Nacht, wenn es
schneite, damit der Weg „offen“ blieb.
Und damals soll viel Schnee gefallen sein.
Die Bergler aus den Südalpen fanden sich
im winterlichen Villgraten bestens zurecht:
Von einem Unfall oder gar Lawinenun-
glück ist nichts bekannt. Immerhin war die
Rede von 700 Bäumen, die auf einmal ge-
schlägert worden sind. Und die Arbeit mit
Holz ist gefährlich, noch dazu im Winter!
Die Fuhrleute und Pferde waren in Alm-
hütten auf „Unterstalle“ untergebracht. Die
„walschen“ Sagschneider verköstigten
sich vor allem mit „Plente“ (= Polenta), den
sie auf einem Herd im „Kammerle“ (Feil-
kammer) zubereiteten. [Zu „walsch“: Ur-
sprünglich ein keltischer Stammesname, la-
teinisch Volcae, der dann auf die romani-
sierte Bevölkerung in Gallien und Italien
überging; verwandt mit Walnuß = „welsche
Nuß“. – Zu Polenta: Verwandt mit dem la-
teinischen pollen „feines Mehl“, das latei-
nische polenta bedeutet ursprünglich
„Gerstengraupen“ (= geschälte Gerste),
heute Bezeichnung für Maisgericht.]
In diesem kleinen Raum auf der Südsei-
te des Gebäudes befand sich auch eine Lie-
gestatt. Die Sagschneider arbeiteten, wie
Albert Schett sen. berichtet, abwechselnd in
Tag- und Nachtschichten. Das Schnittholz
wurde dann mit Pferdeschlitten zum
Bahnhof nach Sillian transportiert, verladen
und nach Italien exportiert. Die Pustertal-
bahn Villach – Franzensfeste war seit 20.
November 1871 in Betrieb. Diese uner-
müdlichen italienischen Sagschneider, aus
dem Einflußbereich der ehemaligen Me-
tropole Venedig, müssen Spezialisten ge-
wesen sein. Im Winter rinnt ja naturgemäß
wenig Wasser. Da braucht es viel Erfah-
rung und Geschicklichkeit, das Sägewerk
mit „Wasserkraft“ in Betrieb zu halten. Die
„Walschen“ beherrschten diese „Kunst“.
Ein Sprung in unser Jahrhundert! Im
schneereichen Winter 1950/51 wurde die
Säge und die benachbarte, bachabwärts ge-
legene „Stampf“ (= Wassermühle zur Her-
stellung von Loden = grobes Gewebe aus
Schafwolle; die Villgrater sagen auch „Lo-
denwalke“) durch eine Lawine „verführt“,
wie es in der hiesigen Mundart treffend
heißt. Sie hatte auch fünf Bretterstöcke
„über den Haufen“ geworfen. Entsprechend
den Bestimmungen des Protokolls vom
Jahre 1883 wurde das Sägewerk noch im
selben Jahr wieder aufgebaut. Es konnte
noch „viel Altes“ hergenommen werden,
weil das Sägewerk im „Untergeschoß“ nur
wenig beschädigt war.
Das Sägewerk steht heute im Eigentum
von Albert Schett jun., Bauer zu Wege-
late. Sein Onkel Josef hat von 1949 bis
1967 das ganze Jahr über geschnitten, von
früh bis spät ohne Mittagspause, solange
es taghell war und genug Wasser floß.
Anton Lanser vom Gisser, der viel auf an-
deren Sägen gearbeitet hatte, war sein Lehr-
meister. Das Rundholz ist vor allem aus
dem Arntal heraus geliefert worden, jeder
Almbesitzer hatte ja jährlich ein paar Me-
ter Holz zur Verfügung. Bargeld aus Holz-
verkauf war eine existenzsichernde „Zu-
buße“ für die Bergbauernfamilien, damals
wie heute. Pro Tag sind im Vollbetrieb
drei bis vier Festmeter verarbeitet worden
– vier „Musl“ ergeben etwa einen Fest-
meter. Im Frühjahr, wenn der Schnee
schmilzt, gab es reichlich Wasser, in der
kalten Jahreszeit naturgemäß wenig. Im
Winter dauerte es auch bis 11 Uhr, daß die
Sonne auf das Federrad der Wegelate-
Säge schien und das Eis zu schmelzen be-
gann. Es mußte aber immer wieder mit
dem Beil sorgfältig entfernt werden. Bei
extremer Kälte war schließlich „Still-
stand“. Klares Wasser im Winter bedeute-
te wenig Kraft. Erst dann während der
Schneeschmelze – etwa um „Josephi“ (19.
März) –, wenn der Bach trüb wurde, gab
es wieder reichlich „Wasserkraft“. Schon
im Herbst, wenn weniger Wasser floß,
wurde versucht, „den ganzen Bach her-
auszukehren“. Dicke Garben aus Stroh
wurden hinter das Brett beim „Zufluß“
gelegt, um ihn möglichst „dicht“ zu ma-
chen und „jeden Tropfen“ auszunutzen.
Dann mußte der Säge oft nachgeholfen
werden, indem das Gatter mittels der
„Hebetatze“, an einem stufenförmig aus-
geschnittenen Brett in verschiedenen
Höhen aufzustützen, beim Joch gehoben
wurde. Das Gatter kam erst so „in
Schwung“.
Nach 1968 ist die Säge ziemlich verfal-
len, das Inventar wurde im Lauf der Zeit
großteils geplündert. Im Jahr 1986 wurde
der Villgrater Heimatpflegeverein ge-
gründet. Die treibende Kraft war Johannes
E. Trojer, Volksschuldirektor in Innervill-
graten von 1964 bis zu seinem Tod im Jahr
1991, dem die Kultur seiner Heimat ins-
gesamt ein Herzensanliegen war. Damals
wurde schon daran gedacht, die Wegelate-
Säge wieder für den Betrieb herzurichten.
Dann im Jahr 1990 taten sich der Ge-
meindekassier Oswald Fürhapter, der
Tischlermeister Heinrich Lanser, der
Wirt Alois Mühlmann und der Schmiede-
meister Alfons Steidl zusammen und
machten sich ans Werk. Der alte Sag-
schneider Josef Schett von Wegelate stand
mit Rat zur Seite. Um die „Wellebäume“
mit den Wasserrädern kümmerten sich die
Brüder Hermann und Johann Senfter vom
Kohler, die „Wiere“ baute Alois Lanser
vom Egger wieder auf. Gute Hilfsarbeit
leisteten Josef Lanser vom Gisser und Pe-
ter Rainer vom Veider. Für das Wasser-
recht sorgte Josef Schett von Innerwald.
Die „Meister“ der Renovierung waren
Oswald Fürhapter (Finanzen und Organi-
sation), Johann Senfter und Alfons Steidl
(Technik). Es fand sich also eine Mann-
schaft von visionären Idealisten, hart-
näckigen Organisatoren und geschickten
Handwerkern – eine ganz besonders gute
Mischung von Villgrater Talenten! Das
bestens gelungene „Werk“ wurde im Jahr
1992 unter Denkmalschutz gestellt. In fünf
Monaten Bauzeit (1992 und 1993) wurde
die Säge renoviert. Die Handarbeit wurde
fast zur Gänze von Mitgliedern des Hei-
matpflegevereines gratis in freiwilligen
Schichten geleistet. Die Materialkosten be-
liefen sich auf etwa S 350.000,–. Finan-
ziell unterstützt wurde die Renovierung
vom Land Tirol, vom Bund, von der
Gemeinde und vom Tourismusverband
Innervillgraten, aber auch von privaten
Sponsoren. Das Sägewerk ist bis zum Jahr
2010 vom Heimatpflegeverein gepachtet.
Auf ins Villgraten zum „Venezianer“ und
schauen, hören und staunen, wenn er in Be-
trieb ist! (Anfrage beim Tourismusverband
Innervillgraten.) Apropos, eine repräsenta-
tive Broschüre mit allen technischen De-
tails wird für den Druck vorbereitet.
Literatur:
Eva Bakos, Venedig, Köln 1983.
dtv-Etymologisches Wörterbuch des Deutschen,
München 1997.
Etymologie – Herkunftswörterbuch der deutschen
Sprache (Duden), Mannheim-Wien-Zürich 1989.
Günter Engler, Venedig, Bern-Stuttgart 1978.
Heinrich Gohl, Lebende Wälder, Rüschlikon-Zürich
(Text: Oberforstmeister Dr. E. Krebs).
Maria Hornung, Zur Problematik der Ortsnamenfor-
schung in Osttirol, in: Osttiroler Heimatblätter, 44. Jg.
(1976), Nr. 4, 5.
Hansjörg Küster, Geschichte der Landschaft in Mittel-
europa – Von der Eiszeit bis zur Gegenwart, München
1995.
Heinrich Oberrauch, Tirols Wald und Waidwerk,
(= Schlernschriften 88), Innsbruck 1952.
Roman Sandgruber, Ökonomie und Politik – Öster-
reichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur
Gegenwart, Wien 1995.
Heimo Schinnerl, Die Geschichte und Technik der
„Venezianersäge“ im ehemaligen Herrschaftsbezirk
Hollenburg, in: Mitteilungen des Geschichtsvereins für
Kärnten I 181 (1991).
Das Universalinstrument des „Saglers“,
die „Hebetatze“.
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren
verantwortlich.
Anschrift des Autors dieser Nummer:
Dipl.-Ing. Anton Draxl, Landschaftsdienst
der Landesforstdirektion für Osttirol, A-9900
Lienz, Dolomitenstraße 3.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimat-
blätter“ sind einzusenden an die Redaktion
des „Osttiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad Pi-
zzinini, A-6176 Völs, Albertistraße 2a.