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Nummer 10 –– 66. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r
Todesanzeige für Paul Zandanel, der beim italienischen Luftangriff vom 7. September
1918 ums Leben kam; Lienzer Nachrichten 1918 Nr. 72 (13. September).
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren
verantwortlich.
Anschrift der Autoren dieser Nummer:
Mag. Martin Kofler, M.A., A-6020 Innsbruck,
Uferstraße 44; – o. Univ.-Prof. Dr. Elisabeth
Walde, Institut für Klassische Archäologie der
Universität Innsbruck, A-6020 Innsbruck, Inn-
rain 52.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimat-
blätter“ sind einzusenden an die Redaktion
des „Osttiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad Pi-
zzinini, A-6176 Völs, Albertistraße 2a.
Verhalten bei Fliegerangriffen erläuterte.
Tags darauf um 5 Uhr abends folgte eine
erste Probe des Alarms: das Pfeifen der
Lokomotiven und das Schlagen auf die
Eisenbahnschienen
konnte
weitum
gehört werden.
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Der italienische Luftangriff auf Lienz
fand kaum zwei Monate vor Ende des
„Großen Krieges“ statt. Für sich allein ge-
sehen bildete er bloß eine unerwartete Epi-
sode; einen Versuch der Italiener, die
Bahnverbindung zu unterbrechen; eine
Attacke, die der Stadt praktisch keinen
Schaden zufügte, jedoch einen Toten for-
derte. Die Gesamtsicht ermöglicht aber
einen anderen Zugang: Bereits 1915 bis
1917 hatten die italienischen Granat-
attacken der nahen Front den südlichen
und westlichen Teil des Bezirks zum
Kriegsschauplatz verwandelt. Die verbes-
serte Flugzeugtechnik machte schließlich
1918 D‘Annunzios Propagandavorhaben
und Luftschläge gegen Innsbruck möglich.
Nach Juni 1916 sollte Lienz rund zwei
Jahre später erneut zum Operationsort der
italienischen Luftwaffe werden. Der Ter-
minus „Fliegerüberfall“
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in der dortigen
Pfarrchronik ist auf das Überraschungs-
moment, vor allem aber auf die Begriff-
lichkeit der damaligen Zeit zurückzu-
einer neuen Epoche für das völlig isolierte
„Osttirol“. Der Bombenangriff geriet
rasch in Vergessenheit – und die zerstöre-
rischen Luftschläge auf Lienz während des
Zweiten Weltkrieges, denen 13 Menschen
zum Opfer fielen, sollten der Zivilbevölke-
rung weitaus stärker und länger in Erinne-
rung bleiben.
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Anmerkungen:
1 Der Anstoß zu diesem Aufsatz geht auf vier Fotos
dieses italienischen Luftangriffs zurück, die der eben
verstorbene Fritz Peschke dem Verfasser freundlicher-
weise überlassen hat und dem dieser Beitrag posthum
gewidmet ist.
2 Einen breitangelegten Überblick bietet: Wolfgang
Michalka (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg. Wirkung, Wahr-
nehmung, Analyse, München-Zürich 1994; zu Öster-
reich und Tirol besonders: Manfried Rauchensteiner,
Der Tod des Doppeladlers. Österreich-Ungarn und
der Erste Weltkrieg, Graz-Wien-Köln 1993; Klaus
Eisterer/Rolf Steininger (Hrsg.), Tirol und der Erste
Weltkrieg (Innsbrucker Forschungen zur Zeitge-
schichte, Bd. 12), Innsbruck-Wien 1995; die Forschun-
gen zum Bezirk Lienz 1914 bis 1918 stehen noch am
Anfang, siehe als Einstieg allerdings den nützlichen
Überblick in: Meinrad Pizzinini, Lienz. Das große Stadt-
buch, Lienz-Innsbruck 1982, S. 447-453.
3 Der damalige Bezirk Lienz umfaßte auch die fünf im
Westen gelegenen Pustertaler Gemeinden Winnebach,
Vierschach, Innichen, Innichberg und Sexten, die erst
mit der Abtrennung Südtirols 1919 ebenfalls zu Italien
kamen. Danach wurde der Begriff „Osttirol“ für den
Bezirk in seinen neuen Grenzen gebräuchlich. Siehe:
Meinrad Pizzinini, Osttirol. Eine Bezirkskunde, Inns-
bruck-Wien-München-Würzburg 1971, S. 37; Josef
Riedmann, Das Bundesland Tirol (1918 bis 1970)
(Geschichte des Landes Tirol, Bd. 4/II), Bozen-Inns-
bruck-Wien 1988, S. 787.
zehnte später in bemerkenswerter Erinne-
rung: „Für uns war‘s a Sensation!“ Er er-
lebte den Luftangriff am Rindermarkt
beim Spielen im Freien. Demnach verließ
die dortige Bevölkerung schnellstens den
offenen Platz, als der Ruf „A Fliaga!“ er-
schallte. Petutschnigg hingegen sah die
drei Doppeldecker, wie sie niedrig und
langsam in Formation nebeneinander flo-
gen. Hinter jedem Piloten saß eine zweite
Person, welche die Bombe hielt, die wahr-
scheinlich die Farben der italienischen Tri-
colore trug. Offenbar hatten die Italiener
versucht, die Spitalsbrücke zu treffen,
doch gingen die Bomben in die Isel.
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Am 13. September ließ die Lienzer
Stadtgemeinde „rote Zettel“ plakatieren, in
der die k.k. Bezirkshauptmannschaft das
führen, die vom „Verrat durch den wal-
schen Feind“ o. ä. sprach. Aufgrund des
baldigen Kriegsendes blieb die bis Früh-
jahr 1919 beabsichtigte Zuweisung eines
M.G.-Zuges für Lienz ebenso aus wie die
Bereitstellung einer 6-Flugzeuge-Staffel
auf dem fertiggestellten Innsbrucker
Flughafen.
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Der Erste Weltkrieg mündete auch im
Bezirk in chaotische Zustände. Der Anfang
November 1918 ins Leben gerufene „Lien-
zer Nationalrat“ unter Heinrich Suske und
Josef Anton Rohracher versuchte, den mas-
senhaften Truppenrückzug in geordnete
Bahnen zu lenken sowie die Plünderungen
und die katastrophale Ernährungslage zu
bekämpfen. Der Einmarsch der Italiener in
Sillian am 8. November zeugte vom Beginn
4 Walther Schaumann, Die Bahnen zwischen Ortler und
Isonzo 1914-1918. Vom Friedensfahrplan zur Kriegs-
fahrordnung, Wien 1991, S. 92, 97-102; zu den Schäden
durch Granateneinschläge 1915/16 in Innichen, Sexten
und Toblach etwa: Ernst Eigentler, Tirol im Inneren
während des Ersten Weltkrieges von 1914-1918, phil.
Diss., Innsbruck 1954, S. 446f.
5 Osttirol. Festschrift, herausgegeben anläßlich der Ein-
weihung des Bezirks-Kriegerdenkmales in Lienz, Lienz
1925, S. 68f.
6 Viktor Schemfil, Die Kämpfe am Kreuzberg in Sexten
1915-1917 (Schlern-Schriften 177), Innsbruck 1957,
S. 16-29.
7 Osttirol. Festschrift, S. 69.
8 Hiezu etwa: Meinrad Pizzinini, Der Erste Weltkrieg und
das Ende Alt-Tirols, in: Meinrad Pizzinini (Hrsg.),
Zeitgeschichte Tirols, Bozen-Innsbruck-Wien 1990,
S. 34-54, hier S. 49; ders., Lienz, S. 452.
9 Chronik Gendarmerieposten Lienz, 25. Juni 1916.
10 Johann Rainer, Feindeinflüge nach Tirol während des
Ersten Weltkrieges, in:
Tiroler Heimat
55 (1991), S. 67-
80, hier S. 69, 76.
11 Österreichisches Staatsarchiv/Kriegsarchiv (ÖStA/
KA), Archiv der k.u.k. Luftfahrtruppe, Faszikel „Flie-
gerabwehr“, „Die Fliegerangriffe auf Tirol und
deren Abwehrorganisation“ (Abschrift); Erwin Pitsch,
Italiens Griff über die Alpen. Die Fliegerangriffe auf
Wien und Tirol im 1. Weltkrieg, Wien-Leipzig 1995,
S. 58ff.
12 Abgedruckt bei: Rainer, Feindeinflüge, S. 71.
13 Dazu: Pitsch, Griff, S. 74f; Rainer, Feindeinflüge, S. 73f;
Lienzer Nachrichten (LN),
22. Feber 1918, S. 2f; Wil-
helm Möller, Der Heimatluftschutz Österreich-Ungarns
im Weltkriege, in:
Militärwissenschaftliche und techni-
sche Mitteilungen
LIX (1928), S. 667-674, hier S. 670f.
14 ÖStA/KA, „Fliegerangriffe auf Tirol“, S. 3f.
15 Pizzinini, Der Erste Weltkrieg, S. 50f.
16
LN,
19. März 1918, S. 1, 19. April 1918, S. 4; siehe die
zahlreichen Artikel zur Not im Bezirk in den
Lienzer
Nachrichten
von März bis Oktober 1918.
17
LN,
31. Mai 1918, S. 4, 12. Juli 1918, S. 3, 22. Juli 1918,
S. 3, 16. August 1919, S. 3, 27. August 1918, S. 2.
18 Rossi an Statthalterei Innsbruck, 9. August 1918. Tiro-
ler Landesarchiv (TLA), Amt der Tiroler Landesregie-
rung, Abt. Va, St.Z. 546 XXXI-246 (Sammelakt „Feld-
schutz“), Zl. 398/7 ex 1921; zu Rossi etwa: Tiroler
Landesregierung (Hrsg.), 100 Jahre Bezirkshauptmann-
schaften in Tirol, Innsbruck 1972, S. 241.
19 Hiezu mit weiterführender Literatur: Hermann J. W.
Kuprian, Donec ad metam: Vienna! Eine Episode vom
Überflug Gabriele d‘Annunzios über Wien im August
1918, in: Tiroler Heimat 57 (1993), S. 197-207.
20 Rainer, Feindeinflüge, S. 74ff.
21 Pitsch, Griff, S. 75f; auch: ÖStA/KA, „Fliegerangriffe
auf Tirol“, S. 8.
22 Pfarrchronik Lienz, S. 177; Chronik Gendarmerieposten
Lienz, 7. September 1918; vgl. Rossi an Statthalterei In-
nsbruck, 6. September 1918. TLA, Statthalterei für Ti-
rol und Vorarlberg, Präsidiale, St.Z. 1398 XII 76e (Sam-
melakt „Fliegerangriffe“), Zl. 4891/51 ex 1918. Dieses
Schreiben, das erst am 9. September in Innsbruck eintraf,
setzt das Angriffsdatum einen Tag früher an; dem fol-
gend: Rainer, Feindeinflüge, S. 76; vgl. auch
ÖStA/KA „Fliegerangriffe auf Tirol“, S. 9, wo von zwei
Flugzeugen am 8. September (!) berichtet wird; dem
folgend: Pitsch, Griff, S. 77.
23
LN,
10. September 1918, S. 2. Diese Kurzmeldung wur-
de direkt oberhalb einer zensurierten, d. h. weiß geblie-
benen Fläche der lokalen Rubrik „Aus Stadt und Land“
abgedruckt, die wohl den Fliegerangriff auf Lienz zum
Thema gehabt hatte.
24 Pitsch, Griff, S. 77, 112, Anm. 125; vgl. den „tadellosen“
Nachrichtendienst bei: Möller, Heimatluftschutz, S. 672.
25 Pfarrchronik Lienz, S. 177; Rossi an Statthalterei
Innsbruck, 6. September 1918. TLA, Statthalterei für Ti-
rol und Vorarlberg, Präsidiale, St.Z. 1398 XII 76e (Sam-
melakt „Fliegerangriffe“), Zl. 4891/51 ex 1918.
26 Ebd.; Chronik Gendarmerieposten Lienz, 7. September
1918.
27 Pfarrchronik Lienz, S. 177f.
28 Ebd., S. 178, 180.
29 Interview mit Karl Petutschnigg, Lienz, 5. September
1998 (Mitschrift im Besitz des Verfassers).
30
LN,
17. September 1918, S. 3.
31 Pfarrchronik Lienz, S. 177.
32 ÖStA/KA, „Fliegerangriffe auf Tirol“, Beilage 9.
33 Dazu: Martin Kofler, Osttirol im Dritten Reich, Inns-
bruck-Wien 1996, S. 18f, 229ff.