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eine schlechte Qualität. Abart:
„Ich verbinde den Ersten Welt-
krieg und die Nachkriegszeit
mit Plente und stinkigem Mehl.
Wir waren sechs Kinder und
gingen mit der Mutter immer
ins Kurhaus in Meran essen,
weil wir so arm waren.“
Viel harte Arbeit
Während man auf dem „Land“
noch halbwegs Lebensmittel
hatte, hungerten die Stadt-Kinder
zunehmend, wurden schwächer
und am Ende krank. Oft standen
sie auch in Schlangen vor Le-
bensmittelgeschäften, um etwas
Butter oder ein paar Eier zu be-
kommen. Viele Kinder waren
auch völlig auf sich alleine ge-
stellt, da ihre Mütter mit demAr-
beiten so beschäftigt waren. So
mussten sie sich selbst um Le-
bensmittel kümmern.
Ganz schlimm wurde es im
Winter 1916/1917. „Die kata-
strophale Versorgungslage führte
auch in Tirol zu einer sehr hohen
Kinder- und Säuglingssterblich-
keit“, erzählt Kofler. Am Ende
des Ersten Weltkrieges starben
Tassenbach wurde einen Tag vor
Ausbruch des Ersten Weltkrieges
geboren. Ihre Familie lebte in
Tessenberg als Untermieter einer
Bauernfamilie. „Meine Familie
musste viel harte Arbeit bei den
Bauern und auf deren Feldern
leisten“, erzählt sie.
Tote Väter
Oft kamen die Väter nicht
mehr lebend von der Front zu-
rück. „Auch ich lernte meinen
Vater erst als Toten kennen.
Er lag in Meran in der Aufbah-
rungshalle, die sehr groß war.
Ich durfte aber nicht zu ihm
hinein, sondern ihn nur durch
das Fenster anschauen. Er lag
da ganz in weiß gekleidet“, er-
innert sich Paula Abart, die
dreieinhalb Monate vor Aus-
bruch des Ersten Weltkrieges
zur Welt kam und seit Jahr-
zehnten in Lienz lebt. Kamen
die Väter lebend zurück, so
waren sie meist verletzt oder
schwer traumatisiert, sprich, sie
konnten die schrecklichen
Dinge, die sie an der Front er-
lebt hatten, gar nicht verarbei-
ten und wieder normal leben.
milien dann komplett überneh-
men. Ab 1915 wurden die Le-
bensmittel immer knapper. Es
gab nicht ausreichend zu essen
und das Vorhandene hatte oft
TAB
PUSTERTALER VOLLTREFFER
SEPTEMBER/OKTOBER 2014
31
Hochzeitsbild Emmi Hofmann
und Heinrich Scheitz, Glasplat-
ten-Negativ, 1920.
(Fotografin: Maria Egger; Sammlung
Stadtgemeinde Lienz, Archiv Museum
Schloss Bruck – TAP)
Italien • Österreich
Italia • Austria
UNIONE EUROPEA
Fondo europeo per lo sviluppo regionale
EUROPÄISCHE UNION
Europäischer Fonds für regionale Entwicklung
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www.tiroler-photoarchiv.eu
94393
Passbild Emmi Hofmann (später Scheitz), 1918.
(Fotograf: Unbekannt; Sammlung Maria Kecht – TAP)
chen imWind
Die Ausstellung des Tiro-
ler Photoarchivs „Grenzgang.
Pustertal und der Krieg 1914
– 1918“ läuft noch bis 28.
September in Sillian, Kar-
titsch, Sexten und Bruneck.
vor allem auch die Kinder und
Jugendlichen, die zudem den be-
sorgten Gesprächen der Erwach-
senen lauschen mussten. Manch-
mal bekam man einen russischen
Kriegsgefangenen als Helfer zu-
gewiesen. Filomena Bacher aus
„Plente und stinkiges Mehl“
Oft hatten die Väter auch noch
Arm und Bein verloren und
waren nicht mehr fähig, ihrer
Arbeit nachzugehen. Die Mütter
mussten die Versorgung der Fa-
rund 140 von 1.000 Kindern im
ersten Lebensjahr. Die häufigs-
ten Todesursachen waren Tuber-
kulose oder Lungenentzündung.
„Aufgrund der schlechten Er-
nährung hatten sie einfach nicht
mehr genug körperlichen Wi-
derstand“, so Kofler.
Zerreißung Tirols
„Und am Ende folgten 1918
noch die massive Zäsur der Zer-
reißung Tirols bzw. plötzlich
neue Grenzziehungen mit ge-
trennten Großfamilien und bäu-
erlichen Feldern sowie unter-
bundene Mobilität“, betont Kof-
ler. „In Bozen waren die Leute
mit dem Einmarsch der Italiener
sehr ‚gedrückt‘. Und man riss
mir meinen ‚Tiroler Adler ab“,
erzählte Scheitz einst.
Martina Holzer