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INTERVIEW
PUSTERTALER VOLLTREFFER
FEBER/MÄRZ 2014
30
Mag. Strauß, wie war damals
die Situation in der Landwirt-
schaft?
Strauß:
„Die bäuerlichen Be-
triebe bekamen die Auswirkun-
gen des Ersten Weltkrieges von
Beginn an zu spüren: Schon im
Sommer 1914 wurde im Kron-
land Tirol der gesamte Land-
sturm mobilisiert. Zahlreiche
Männer vom 19. bis zum 42.
Lebensjahr mussten mitten in
Doch nach einem Jahr war
der Krieg noch nicht vorbei.
Strauß:
„Die Ernährungslage
hatte sich im ganzen Land ver-
schlechtert. Auf den Höfen fehl-
gen Leute im Schlachtfelde, seine
Pferde sind auch weg, die Ochsen
nicht selten auch, an manchen
Höfen und Höfegruppen sind
überhaupt keine Männer mehr zu
Hause, sondern nur mehr Weiber
und Kinder‘. Und die Lage war
wirklich angespannt. Wer sollte
all die schweren Arbeiten wie
Mähen, Heutragen, Holzziehen
oder das Schwefeln in den Wein-
gärten übernehmen?“
weiblichen Dienstboten, die auf
unserem Hof in Stellung waren,
wurden von deren Familien zu-
rückgerufen. Die wurden daheim
gebraucht. Da fehlten die Män-
ner ja auch.‘ Eine weitere Ver-
schärfung der Situation brachte
die Kriegserklärung Italiens am
23. Mai 1915. Das südliche Tirol
kam unter direkte Militärverwal-
tung und war besonders strengen
Bedingungen unterworfen. Der
Heuer jährt sich der Aus-
bruch des Ersten Welt-
krieges zum 100. Mal.
Für das Volkskunde-
museum in Dietenheim
und das Weinmuseum in
Kaltern ist das Gedenk-
jahr Anlass, einem noch
kaum erforschten
Aspekt der Kriegsge-
schichte nachzuspüren:
Dem Alltag der Frauen in
der Landwirtschaft.
Dafür werden viele Aus-
kunftspersonen in der
Bevölkerung gesucht.
Brigitte Strauß vom
Volkskundemuseum im
„PVT“-Interview.
der Erntezeit sofort einrücken.
Der Krieg war über eine Gesell-
schaft hereingebrochen, die da-
rauf in keiner Weise vorbereitet
war. Wem die Arbeit auf dem
Hof blieb, liegt auf der Hand:
den Frauen, unterstützt von
Kindern, Halbwüchsigen und
älteren Männern.“
Man war ja davon über-
zeugt, dass der Krieg nach
einem Jahr zu Ende ist.
Strauß:
„Allerdings.
‚Mach alle Touge ein Schlafl,
was ihr nicht dertut, last ihr,
heuer habt ihr doch zu essen‘,
rät der Ahrntaler Kajetan Ste-
ger in einem Feldpostbrief
aus Innichen am 4. Septem-
ber 1914 seiner Mutter. Mit
ihr gemeinsam bewirtschaf-
tete der 1893 geborene Ste-
ger den heimatlichen Hof in
St. Jakob. Seine Aussage, sie
sollten zu Hause einfach die
Arbeiten erledigen, die sie
schaffen würden, heuer hät-
ten sie ja zu essen, zeigt,
dass der Soldat 1914 damit
rechnete, im nächsten Jahr
wieder zu Hause zu sein.
Diese Einschätzung teilte der
junge Mann mit vielen.“
Arbeitseinsatz von Kriegsgefan-
genen und Flüchtlingen sollte dem
Arbeitskräftemangel entgegen-
wirken. Trotzdem sanken die
Hektarerträge im Ackerbau ab
1916 rapide. Die Bebauung war
ungenügend, es mangelte an
Saatgut und Düngemitteln.
Auch fehlten zunehmend die
Zugtiere. Das Militär requi-
rierte Schlachtvieh und Heu
ohne Rücksicht auf die lokalen
Erfordernisse. Die staatlichen
Stellen wollten die Lebens-
mittel- und Rohstoffknappheit
durch eine zentrale Verwal-
tung in den Griff bekommen.“
Es wurden ja viele Wa-
renzentralen errichtet.
Strauß:
„Ja , aber in der
Wahrnehmung der Men-
schen, und auch objektiv be-
trachtet, brachten diese Zen-
tralen wenig Verbesserun-
gen. In einer Kritik der
Tiroler Bauernzeitung vom
20. April 1917 stand: ‚Eine
Zentrale war so nach der an-
deren aus dem Boden ge-
schossen, [...] keine um das
wahre Wohl der Bevölkerung
ernstlich besorgt. Es kamen so
die Öl- und Fett-, die Woll-, die
Über die Feldpost konnte der Kontakt zwischen Front und Hinter-
land aufrechterhalten werden.
Kontakt
Brigitte Strauß,
Südtiroler Landesmuseum
für Volkskunde
Herzog-Diet-Straße 24
I-39031 Dietenheim/ Bruneck
Tel. 0039/0474-55 20 87,
E-Mail: brigitte.strauss@
landesmuseen.it
Brigitte Strauß
arbeitet die
Geschichte der
Frau in der
Landwirtschaft
während des
Ersten Welt-
kriegs auf.
ten die Arbeitskräfte. In einem
Beitrag der Zeitschrift ‚Der Burg-
gräfler’ am 10. März 1915 war zu
lesen: ‚Meist steht der Bauer
selbst, seine arbeitsfähigen
Söhne, seine Knechte und ar-
beitskundigen und arbeitstüchti-
Auch weibliche Dienstboten
waren „Mangelware“.
Strauß:
„Sicher. Hansjörg
Erschbamer vom Hof Pirken-
stein in Nals, dessen Großtante
den Hof in Abwesenheit des
Großvaters führte, erzählte: ‚Die
Schuften ohne Männer wa