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CHRONIK
PUSTERTALER VOLLTREFFER
JULI/AUGUST 2013
6
haben. Thema sind schließlich
auch die italienischen Kamera-
den, ihnen attestiert er etwa feh-
lendes Know-How in der Tier-
haltung und Landwirtschaft oder
fehlenden Respekt im Umgang
mit der Religion.“
Und als die Kampfhandlun-
gen begannen?
Wurzer:
„Als schließlich die
Kampfhandlungen begannen,
kommen natürlich neue Themen
ins Tagebuch. Der Schreiber
rückte als Angehöriger eines
Bersaglieri-Regiments in vor-
derster Linie vor. Auch Kampf-
handlungen und damit zusam-
menhängend Tod und Verwun-
dung sind Thema. Angst vor
Überfällen oder vor dem Trinken
von Äthiopiern vergifteten Was-
sers auch. Die Religion bzw. der
Glaube fungiert als Hoffnungs-
träger und Angstkompensator,
der den Krieg überstehen lässt.
Das Tagebuch bricht schließlich
mitten in der Beschreibung eines
Schlachtfeldes ab, wo er schreibt,
dass über die Nacht die Stellung
zu halten sei, sie allerdings von
Toten und Verwundeten, die
nach Wasser verlangten, umringt
waren. Wasser hatten sie, wie er
schreibt, selbst keines.“
Was passiert nun mit dem Ta-
gebuch?
Wurzer:
„Nachdem das Tage-
buch transkribiert wurde, bin ich
derzeit mit der Edition desselbi-
gen beschäftigt. Eine umfangrei-
che Aufgabe, schließlich ver-
wendet der Schreibende neben
der deutschen Standardsprache
auch den Südtiroler Dialekt
sowie teilweise Italienisch für
militärische Begriffe. Ist das
Tagebuch damit für das wissen-
schaftliche Arbeiten aufbereitet,
Das faschistische Königreich
Italien trachtete in der Zwi-
schenkriegszeit danach das „Im-
perium Romanum“ wiederzuer-
richten. Den italienischen Platz
an der Sonne wollte sich Benito
Mussolini dabei durch eine neue
Kolonie in Afrika erstreiten. Da
sich zu diesem Zeitpunkt sämt-
liche Gebiete in europäischer
Hand befanden, blieb nur das
souveräne Kaiserreich Äthiopien
für die Expansionspläne Italiens
übrig. Das Kaiserreich hatte sich
bislang erfolgreich gegen euro-
päische Kolonialvorhaben be-
haupten können. So etwa bereits
um die Jahrhundertwende gegen
Italien selbst. Die Schwäche des
Völkerbundes ermutigte den
Duce, durch die Annexion
Äthiopiens mit Eritrea und So-
maliland, zwei Kolonien Italiens
am Horn Afrikas ein größeres
zusammenhängendes Kolonial-
gebiet zu schaffen. Ziel war es
jedoch nicht Äthiopien durch
italienische Kolonialisten zu be-
siedeln, sondern den Briten die
beherrschende Stellung am Suez
Kanal streitig zu machen.
Ein Blitzkrieg, ausgeführt mit
modernsten Waffensystemen
wurde vorbereitet. Die West-
mächte, Großbritannien, Frank-
reich und die USA, reagierten
nur sehr zögerlich auf diese
öffentlichen Vorbereitungen, da
ihre Sorgen dem sich hochrüs-
tenden Deutschland unter Adolf
Hitler galten. So verurteilte der
Völkerbund zwar das Vorhaben
Italiens – seine Sanktionen blie-
ben allerdings wirkungslos.
Vielmehr ergaben sie ein weite-
res Zusammenrücken von Hitler
und Mussolini, welches sich
schließlich in der Achse Berlin-
Rom äußern sollte.
Schließlich eröffnete Italien die
Kampfhandlungen am 3. Okto-
ber 1935 ohne Kriegserklärung
gegen Äthiopien und stieß dabei
mit motorisierten Verbänden von
Eritrea nach Süden und von
Somaliland nach Nord-Westen
vor – Ziel war die Hauptstadt
und Kaiserresidenz Addis
Abeba. Um die faschistische
Macht der Weltöffentlichkeit zu
demonstrieren, wurde ein mög-
lichst rascher Sieg durch massi-
ven Materialvorteil anvisiert.
Nach ersten italienischen
Erfolgen geriet die Offensive
allerdings ins Stocken. Um wei-
tere Verzögerungen zu vermei-
den, wurde der systematische
Einsatz von Giftgas mittels
Yperit-Bomben autorisiert. So
wurde der äthiopische Wider-
stand schließlich gebrochen.
Am 5. Mai 1935 nach sieben
Monaten Krieg zog Marschall
Pietro Badoglio in Addis Abeba
ein. Der Krieg war damit offi-
ziell zu Ende. Der Kaiser Haile
Selassie ging nach Großbritan-
nien ins Exil und Mussolini
verkündete die Gründung des
Imperiums – Italien befand sich
im national-faschistischen Sie-
gestaumel. Wichtig war im Be-
sonderen die innenpolitische
Auswirkung des Krieges: Dem
Regime gelang mit ihm eine
Militarisierung weiterer Bevöl-
kerungsschichten.
Die italienische Herrschaft
über Äthiopien hielt allerdings
nur bis 1941 an, die Briten er-
oberten das Gebiet im Zweiten
Weltkrieg zurück und setzten
den Kaiser wiederum ein.
Der Abessinienkrieg
Kurzbeschreibung von Markus Wurzer:
Der Tagebuchschreiber bei der Überfahrt nach Äthiopien.
Tagebuchentdeckerin Brigitte Strauß vom Volkskundemuseum Die-
tenheim.
beginnt die Analyse. Neben der
Wahrnehmung des Kriegsalltags
des Schreibenden (Kampfhand-
lungen, Essen, Konfliktpotenzial
mit Offizieren, etc.) steht hier be-
sonders die doppelte Fremdheit
des Schreibenden einerseits ge-
genüber der Flora und Fauna
Afrikas und andererseits gegen-
über den italienischen Kamera-
den im Fokus. Bis ins Frühjahr
2014 sollte dieser Schritt abge-
schlossen und ausformuliert sein.
Damit wäre die Diplomarbeit ab-
geschlossen. Erste Zwischener-
gebnisse werde ich bei meinem
Vortrag in der Universitäts- und
Stadtbibliothek Bruneck am 30.
Oktober 2013 präsentieren.“
Interview: Martina Holzer