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Das an sich unscheinbare
Büchlein befindet sich seit
1987 als Leihgabe im Volks-
kundemuseum Dietenheim.
„Es kam neben anderen Ob-
jekten, Büchern und Schrift-
gut als Leihgabe ins Museum
und wurde aus Zeitmangel
vorerst nur kurz beschrieben und
kam ins Depot“, erklärt Strauß,
die im Museum unter anderem
für die Inventarisierung zustän-
dig ist. Vor zwei Jahren wurde
der historische Buchbestand
dann neu überarbeitet. „Dabei
stieß ich auf ein Objekt mit der
Beschreibung ‚Reisetagebuch
Abessinien‘. Schon da wurde ich
Brigitte Strauß vom
Volkskundemuseum
Dietenheim (Bruneck)
entdeckte vor zwei
Jahren eine Beson-
derheit im Depot des
Museums: Das Tage-
buch eines Südtiro-
lers, der im Abessi-
nienkrieg (1935-1936)
in Afrika kämpfte.
Der Asslinger Stu-
dent Markus Wurzer
arbeitet das Tage-
buch nun auf.
hellhörig. Als ich das Buch in
Händen hielt, wurde schnell klar,
dass es sich um das Tagebuch
eines Südtirolers handelt, der am
Abessinienkrieg teilgenommen
hat bzw. teilnehmen musste.“
Der
Italienisch-Äthiopische
Krieg, auch als Abessinienkrieg
bezeichnet, dauerte von Oktober
1935 bis Mai 1936. Er endete mit
dem Anschluss Äthiopiens, des
damaligen Kaiserreichs Abessi-
nien, und der Gründung der
Kolonie Italienisch-Ostafrika
durch das faschistische Italien.
Einzigartig
Nachforschungen ergaben,
dass bisher kein Tagebuch dieser
Art bekannt ist bzw. veröffentlich
wurde. Das heißt, es musste je-
mand gefunden werden, der das
Buch wissenschaftlich aufarbei-
tet. Dieser Jemand wurde der 23-
jährige Markus Wurzer aus Ass-
ling, der an der Karl-Franzens-
Universität Graz Geschichte und
Germanistik (Lehramt) studiert.
„Ich begegnete Frau Strauß erst-
mals auf der Konferenz ‚Other
fronts, other wars?‘ der Interna-
Diplomanten suchen würden.
Nachdem ich mir das Tagebuch
vor Ort angesehen hatte, sagte
ich schließlich zu, dass ich das
Tagebuch im Rahmen meiner Di-
plomarbeit aufarbeiten würde.“
Zeitalter der Extreme
„Mein Interesse an dem Ta-
gebuch wurde schon alleine da-
durch entfacht, dass der Histo-
riker Eric Hobswaum das 20.
Jahrhundert das ‚Zeitalter der
Extreme‘ nannte und das Tage-
buch ein Beispiel dafür ist, wie
extrem dieses Jahrhundert sein
konnte und in welche komple-
xen und zunächst absurden
Konstellationen Individuen hin-
eingeraten können. Es schafft
etwa Rahmenbedingungen,
dass ein Südtiroler Bauernsohn
am Horn von Afrika für den
faschistischen ‚Duce‘ gegen
äthiopische Soldaten kämpfen
muss und dabei als Mitteleuro-
päer jede Menge neue Eindrü-
cke, angefangen bei der Flora
und Fauna Afrikas bis hin zum
Kriegsalltag, sammeln musste“,
erzählt Wurzer. Martina Holzer
tional Society for First World
War Studies in Innsbruck. Sie er-
zählte mir vom Tagebuch und
dass sie zur Aufarbeitung einen
PUSTERTALER VOLLTREFFER
JULI/AUGUST 2013
4
Das Tagebuch von ...
A5-Format, ca. 75 Seiten, beidseitig beschrieben mit Blei-
stift oder Tinte – je nachdem was eben zur Verfügung
stand. Die Seiten sind abgenutzt und -gegriffen, schließlich
wurde es immer am Mann getragen. Geschrieben wurde
es in der deutschen Kurrent-Schrift. Papierfarbe weiß.
Der Name des Tagebuchschreibers bleibt anonym.
Ein beliebtes Fotomotiv war es damals sich mit Eingeborenen ab-
lichten zu lassen
CHRONIK
Einzigartiges Tagebuch üb