Seite 5 - VP_2013_04

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BUCH
PUSTERTALER VOLLTREFFER
MAI/JUNI 2013
5
ZIMMEREI - TISCHLEREI - DACHDECKEREI
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Trotz aller Ernüchterung in
Sachen Sex, wurden Buben
plötzlich interessant für mich.
Über Nacht wurden aus den
Wesen, die ich bisher nur als
Menschen
wahrgenommen
hatte, Menschen des anderen
Geschlechts. Zum ersten Mal fiel
mir die Veränderung bei der
Maiandacht auf. Mein Blick
blieb auf Georg haften. Mein
Jahrgang. Bisher hatte er mich
nicht sonderlich interessiert.
Doch mit einem Mal machte
mich seine bloße Anwesenheit
nervös. Es dauerte lange, bis ich
begriff: Bisher war Georg nur
ein Bub gewesen, jetzt war er
das Ziel meiner Begierde.
Für Georg waren Mädchen
noch geschlechtslose Wesen.
Sein Interesse galt dem Völker-
ball und seinen Freunden. Ich
war zwei Jahre zu früh dran.
Das allerdings wusste ich da-
mals nicht.
Deshalb stürzte mich Georgs
Desinteresse in tiefe Zweifel.
War alles in Ordnung mit mir?
War ich hübsch genug? Unsi-
cherheit und Eitelkeit erwach-
ten. Die Unsicherheit wuchs,
während die Eitelkeit keine
Chance hatte, sich zu verwirkli-
chen. Wir hatten keine Schminke,
um ihr ein Gesicht zu geben. Wir
hatten keinen Puder, um unsere
Makel zu vertuschen. Wir hatten
kein Parfüm, um die Sinne zu be-
tören. Auf unsere Haut kam nur
Wasser. Wasser und ein raues
Handtuch. Jeden Morgen wu-
schen wir uns am Trog vor dem
Haus. Da das Wasser eiskalt
war, gingen wir sparsam damit
um. Es gab nur Katzenwäsche
für Hände und Gesicht. Danach
waren unsere Wangen natürlich
rot.
An Weihnachten, an Ostern
und am Kirchtag wurde in einem
Zuber in der Küche gebadet. Die
Reihenfolge beim Baden wurde
vom Alter bestimmt. Zuerst
durfte Karl in die Wanne. Als
Bub badete er allein. Danach
kamen die Mädchen dran. Wäh-
rend die eine im Wasser hockte,
saßen die anderen um den Tisch
oder am Herd und plauderten
und lachten. Ich nutzte die Ge-
legenheit, um die Brüste meiner
Schwestern zu begutachten, die
größer und ausgeprägter waren
als meine. Meine Monatsblutung
hatte ich schon mit elf Jahren
gekriegt. Mein Busen ließ auf
sich warten.
Auf Anraten meiner Freundin
Annelies cremte ich ihn ab und
an mit Topfen ein. Topfen lasse
die Brüste wachsen, behauptete
Annelies. Der Topfen wirkte
nicht, zumindest nicht unmittel-
bar. Irgendwann wurde mein
Busen größer. Doch vorerst
musste ich mich mit sehnsüchti-
gen Blicken begnügen.
Als ich mit dem Baden an der
Reihe war, hatte das Wasser im
Zuber einen strengen Geruch
und eine bräunliche Farbe an-
genommen. Es gab nur eine
Wannenfüllung. Eine für alle.
Im Gegenzug durfte ich so
lange imWasser bleiben, wie ich
wollte. Während ich immer tiefer
im Wasser versank, hörte ich in
Gedanken meine Oma Jule
schimpfen, dass das doch alles
gar nicht nötig sei, es sei doch
genug, das Gesicht, den Hals,
die Hände und die Füße zu wa-
schen, sie täte nichts anderes.
Doch je fuchsteufelswilder Oma
Jule durch meine Gedanken gei-
sterte, desto länger blieb ich im
Wasser liegen.
Da Georgs Desinteresse mich
an meinem Selbstwert zweifeln
ließ, suchte ich Bestätigung in
meinem Spiegelbild. Der einzige
Spiegel im Haus hing über dem
Waschbecken in der Küche. Aus-
giebig musterte ich mich: die ge-
flochtenen Haare, die als Kind
engelsblond gewesen und jetzt
ins Sonnenblumengelb nachge-
dunkelt waren, die grünen
Augen, die kleine, leicht knub-
belige Nase. Gar nicht übel. Ich
war gerade dabei, mich mit mei-
nem Spiegelbild anzufreunden,
als meine Mutter in die Küche
kam. „Hoffart kommt vor dem
Fall!“, rief sie, mit dem Zeige-
finger auf mich zielend,
„Schande folgt dir überall!“
Ich war sprachlos. Ich wusste
nicht, was Hoffart war. Aber ich
begriff, dass mir Schande folgen
würde, wenn ich weiter in den
Spiegel sah. Äußere Werte zähl-
ten nicht. Wahre Schönheit
kommt von innen.
Der Schreck über Mutters
Worte hielt einige Tage an,
dann wagte ich ihn erneut, den
Blick in den Spiegel. Hoffart und
Schande folgten, doch trafen sie
mich nicht so hart wie beim er-
sten Mal. Als meine Mutter sah,
dass sich ihr Spruch abnutzte,
setzte sie eins drauf: „Pass
auf!“, warnte sie, „wenn du in
den Spiegel schaust, wachsen dir
Hörner.“
Das saß. Hörner wollte ich
auf keinen Fall haben. Meine
knubbelige Nase genügte. Die
nächsten Wochen waren ein
Albtraum. Immer wieder griff
ich mir an die Stirn, um zu über-
prüfen, ob Mutters Prophezei-
ung wahr geworden war. Fühlen
konnte ich nichts. Aber ob man
etwas sah? Ich tat, was ich nicht
tun sollte: Ich schaute wieder in
den Spiegel. Diesmal trieb nicht
die Eitelkeit, sondern die Furcht
mich an. Gott sei Dank blieb sie
unbegründet.
Irgendwann fühlte ich mich si-
cher genug, Georg erneut ge-
genüberzutreten. Diesmal nicht
in der Maiandacht, sondern am
Sonntagnachmittag – der besten
Zeit, um einen Mann zu finden.
Gekürztes Kapitel aus dem neuen Buch von Bettina Gartner:
„Wie wir unsere Schönheit pflegten“
Titel:
„Als die Kinder aus den
Krautköpfen kamen. Damals in
Südtirol“
Autorin:
Bettina Gartner
Erschienen:
im April 2013 im
Athesia Verlag
Kosten:
14,90 €
Seiten:
136