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OSTTIROLER
NUMMER 1/2013
3
HEIMATBLÄTTER
gehend erforscht; hier seien in aller Kürze
die drei wichtigsten Punkte wiederholt:
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1. eine lose kulturelle Verbindung zwischen
dem heutigen Osttirol und Krain seit dem
Mittelalter
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, welche durch die Franzosen-
kriege eine neue Aktualität erhielt (Osttirol,
Oberkärnten, Krain und Dalmatien bildeten
in den sogenannten Illyrischen Provinzen
für einige Jahre eine politische und wirt-
schaftliche Einheit); 2. gab es in Krain eine
lokale Strohhutfabrikation, auf die die
Deferegger „aufgesprungen“ sind;
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3. ging
nach dem verlorenen Krieg von 1866 das
Land Venetien an Italien verloren, sodass
die bisherigen Haupterzeugungsorte von
Strohhüten, Marostica und Bassano, nun-
mehr außerhalb Österreich-Ungarns lagen –
mit anderen Worten: Krain wurde zeit-
weilig zu einem Zentrum der Strohhutpro-
duktion im alten Österreich.
Im Jahre 1866 erfolgte in Domschale
durch die Firma „Ladstätter und Oberwal-
der“ die erste eigentliche Fabrikgrün-
dung.
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Bald folgte auch die Firma „Mel-
litzer und Kleinlercher“, dessen erstge-
nannter Inhaber vermutlich vom eingangs
erwähnten Hof „Michlis“ stammt.
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Infol-
gedessen apostrophierte Ladstätter Dom-
schale als
„Emporium der österrei-
chischen Strohhut-Industrie.“
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Das grie-
chisch-lateinische Wort „Emporium“
meint ursprünglich ganz allgemein einen
Handelsplatz, wird hier aber überspitzt im
Sinne von „Drehscheibe“ der Strohhut-
Industrie gebraucht, die, Ladstätter zu-
folge, zeitweilig sogar die Reichshaupt-
stadt Wien überflügelt habe!
Die Mechanisierung der
Hutproduktion
Doch zurück zur Geschichte Georg Mel-
litzers. Aus den spärlichen Daten, die sich
bislang fanden, lässt sich erkennen, dass er
der „Vorstand“ seiner eigenen „Strohhut-
Handel-Gesellschaft“ war: In einem
Schreiben vom 17. November 1865 an das
k. k. Bezirksamt Windisch-Matrei ersucht
er um die Festsetzung eines Gerichtster-
mins, da sein Landsmann Anton Kleinler-
cher seiner Handelsgesellschaft einen Be-
trag von 177 Gulden schulde und diesen
Betrag einschließlich der Zinsen von 7
Gulden längst hätte zurückzahlen müssen.
Aus diesem Dokument geht hervor, dass
solche Handelsgesellschaften auch die
Funktion von Kreditinstituten hatten.
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Mellitzers Kompagnon Johann Stem-
berger (1824-1895) war wie jener Bauer
und Handelsmann in Personalunion. Von
ihm hat sich ein Reisepass erhalten (datiert
27. September 1879), der in der Bezirks-
hauptmannschaft Lienz ausgestellt wurde
und drei Jahre für Reisen innerhalb (!) der
Monarchie, der „deutschen Staaten“ und
Italiens galt. Bemerkenswert ist an dem
Dokument das deutsch und italienisch
verfasste Formular, das bezeugt, dass
Zweisprachigkeit im alten Tirol nichts
Ungewöhnliches war.
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Stembergers Be-
schäftigung wird in dem Dokument auf-
fälligerweise als „privat“ bezeichnet,
wenngleich kaum anzunehmen ist, dass er
sich damals bereits aus der Firma zurück-
gezogen hat. Er lebte und wirkte haupt-
sächlich in Wien, wo die Firma auch unter
seinem Namen firmierte
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, überlebte Georg
Mellitzer um 14 Jahre und starb in seiner
Heimatgemeinde St. Veit.
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Inzwischen hatte die Mechanisierung
auch die Hutproduktion erreicht: Im Jahre
1870 wurde die als zu klein empfundene
Fabrik von Domschale in das nahe gele-
gene Mannsburg (Mengeš) verlegt, die
nunmehr mit den neuen Hutpressmaschi-
nen und 1876 auch mit Strohhutnäh-
maschinen ausgestattet wurde.
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Lesen wir,
was ein nur wenige Jahre jüngerer Bericht
über das Leben in einer solchen Hutfabrik
(im konkreten Falle: jene der Firma Lad-
stätter in Domschale) schreibt:
„Von dem
Leben, das gegenwärtig in einer solchen
Strohhutfabrik … herrscht, kann eine Be-
schreibung in simplen Worten keinen Be-
griff geben. Wie da gebleicht und gebogen
wird, geflochten und gefältelt, genäht und
gesäumt, gestichelt und gezwickt, sortirt
und gepackt wird, bis zuerst die Muster-
cartons für die Schaufenster als Post-
packete fertig gestellt sind …“
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Eine technisch exakte Beschreibung der
Produktionsweise liefert uns Peter Lad-
stätter; daraus folgender Auszug:
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„Die
Hüte wurden auf Holzstöcke gezogen,
dann die kreuzgenähten ‚geschliffen‘, die
anderen genähten gebügelt (…). Jetzt
wurde der vorgespannte Hut für die He-
belpresse auf eine Metallform gelegt und
eine zweite correspondirende Metallform
mit Hebeldruck darauf gepresst (…).“
Im Jahre 1874 erfolgte mit der Grün-
dung einer Niederlassung in Brünn die
letzte Expansion der Firma. Sie überlebte
auch den Ersten Weltkrieg unter dem
Namen „Stemberger und Holzer“.
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Das
Agramer Geschäft, über das noch so gut
wie nichts bekannt ist, leitete übrigens
ebenfalls ein Deferegger namens Kassian
Stemberger. Letzterer verstarb im Jahre
1908 in seiner Deferegger Heimat.
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Auch
über das Klagenfurter Geschäft ist noch
wenig bekannt. Im „Kärntner Geschäfts-
Adressbuch“ von 1864 wird ein Raimund
Kleinlercher genannt, der vermutlich bei
Mellitzer arbeitete; damals gab es in Kla-
genfurt elf Hutmacher, allerdings nur zwei
Strohhuthändler.
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Später wurde die Kla-
genfurter Niederlage unter dem Namen
Simon Großlercher (von Innerkinn, Frak-
tion Moos; 1834-1887) geführt.
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Georg Mellitzer, der zweifellos ein rast-
loses Leben zwischen Heimat und Fremde
geführt hatte
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, verstarb am 20. März 1881
in Innsbruck im Stadtspital.
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Die „Neuen
Tiroler Stimmen“ widmeten ihm einen
kurzen Nachruf:
„Am 20. d(ieses).
M(onats). verschied der in weitern Kreisen
bekannte Georg Mellitzer, Besitzer des
Scheibenrautgutes dahier und Strohhut-
fabrikant. Seit einiger Zeit litt er am
Krebse an der Zunge. Am 19. Abends ließ
er sich in Innsbruck operiren und starb am
darauffolgenden Tage. Sein unerwartetes
Hinscheiden erregte in der daigen Ge-
meinde eine große Theilnahme, ja eine Art
Sensation. An ihm verliert die St. Veiths-
Kirche einen ihrer besten Gönner und
Wohlthäter.“
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Letztere Aussage lässt sich
durch die Hofmann-Chronik bestätigen,
spendierte Mellitzer doch als einziger
St. Veiter gleich zwei neue Kreuzweg-
stationen, die der damalige Vikar Mathias
Hofmann 1878 in Wien bestellt hatte.
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Es ist nicht bekannt, wo Mellitzer be-
graben wurde.
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In seiner Heimatgemeinde
St. Veit in Defereggen erinnert an ihn bis
heute ein marmorner Gedenkstein an der
Südseite der Pfarrkirche.
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Der Stein weist
ein vertieftes Inschriftenfeld auf. Die Ini-
tialen der heute wieder vergoldeten Namen
sind reich verziert. Über der Inschrift ist
ein Kopf des Gekreuzigten angebracht. Als
Schöpfer des Steins hat sich rechts unten
Gedenkstein für Georg Mellitzer d. Ä. im
Friedhof von St. Veit. Hier scheint irrtüm-
licherweise das Sterbedatum „30. März“
(statt 20.) auf.
(Foto: M. Huber).
Gedenkstein für Theresia Mellitzer geb.
Stemberger im Friedhof von St. Veit i. D.
(Foto: Ottilie Stemberger)