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CHRONIK
PUSTERTALER VOLLTREFFER
DEZEMBER 2012/JÄNNER 2013
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Die Bezeichnung „Osttirol“
kam eigentlich schon vor, als
der Bezirk Lienz noch mit dem
heutigen Südtirol vereint war,
und zwar erstmals in einer Lan-
desbeschreibung aus dem Jahr
1837. „Damals wurde er aller-
dings nur geographisch als das
östliche Südtirol verwendet,
aber noch nicht einmal poli-
tisch“, informiert der Osttiroler
Historiker Martin Kofler.
Das Jahr 1918 war dann
maßgeblich. Es erfolgte die Ab-
trennung Südtirols von Tirol.
„Die Hoffnung, dass Südtirol
wieder zu Österreich zurück-
kehren kann, war in Osttirol be-
sonders groß, weil es durch die
Abtrennung extrem isoliert
wurde.“ Die Fragen waren:
„Was nun? Wohin jetzt?“ Man
fühlte sich wie auf schwim-
mendes Eis gesetzt. Die Orien-
tierung fehlte in jeder Hinsicht,
die Identität ohnehin. Man galt
als verbliebener Teil Südtirols
bei Österreich. Trotzdem fla-
ckerte damals schon etwas wie
ein Osttirol-Bewusstsein auf.
„Schließlich galt es sich – trotz
aller Widrigkeiten – neu zu ori-
entieren, sich zu finden und zu
definieren.“ Eines der Zeichen
dafür war 1924 die Gründung
der Osttiroler Heimatblätter.
„Verstümmelter“
Landesteil
1925 wurde zudem das große
Bezirkskriegerdenkmal bei der
Pfarrkirche St. Andrä in Lienz er-
öffnet. „Da gab es eine eigene
Gedenkschrift mit dem Haupt-
titel ‚Osttirol‘. Das war das erste
Buch, das ich kenne, das einen
solchen Titel trägt. Darin stand
allerdings, dass Osttirol nur ein
verstümmelter Landesteil sei.
Und es sollte alles getan werden,
dass man Südtirol wieder zu-
rückbekommt.“ Jedes Jahr im
Oktober fand sogar ein Landes-
trauertag statt.
Kofler sieht den Kampf um die
Felbertauernstraße als besonders
wichtig an. „Man musste ja ir-
gendwie auf österreichischem
Gebiet von Lienz in die Landes-
hauptstadt Innsbruck kommen.
Über die Pustertalbahn war dies
nämlich ein totaler Krampf. Die
Italiener erschwerten den Weg
unter anderem durch bestimmte
Zollbestimmungen und Passkon-
trollen sehr“, so Kofler.
Osttirol verschwand
wieder
Jahrzehnte zuvor hatte es
einen weiteren großen Ein-
schnitt für Osttirol gegeben – in
der Zeit des Nationalsozialis-
mus. „Da wurde einfach von
oben herab bestimmt, das Ost-
tirol zu Kärnten kommt.“ Sogar
der Begriff Osttirol verschwand
offiziell. Die Region bezeich-
nete man ausschließlich als
Kreis Lienz des Gaues Kärnten.
„Denn der Begriff Osttirol er-
innere zu sehr daran, dass Ost-
tirol zu Kärnten gekommen und
Südtirol bei Italien ist“, führt
Kofler die damalige Begrün-
dung an. Ein weiterer Schlag
für die Osttiroler während der
NS-Zeit: Die Zwangsge-
meinde-Zusammenschlüsse.
„Sie rührten ebenfalls an der
Osttiroler Seele.“ 1938/1939
hat man von 50 Gemeinden auf
25 zwangsfusioniert. Beispiels-
weise schloss man Inner- und
Außervillgraten zur Gemeinde
Villgraten zusammen. Nichts-
destotrotz oder erst recht fla-
ckerte dann erneut ein Osttirol-
Bewusstsein auf.
Warten auf Südtirol
1943 wurde das Osttiroler
Heimathaus eröffnet – das heu-
tige Museum Schloss Bruck.
Und kaum, dass der Zweite
Weltkrieg (1938 bis 1945) zu
Ende war, schrieben alle Ostti-
roler Bürgermeister einen Brief
Österreichisch-italienische Grenze Arnbach Winnebach, um 1950
(Foto: Karl Oth; Sammlung Johann Reiter – TAP)
Historiker Dr. Martin Kofler
Dass Südtirol dem Land
Italien zugeschanzt
wurde, darunter hatte
auch Osttirol sehr zu lei-
den. Nach der Abtren-
nung fehlte es völlig an
Orientierung. Es dauerte
eine ganze Weile, bis
man sich im Bezirk
Lienz als Osttiroler
fühlte und eine eigene
Identität entwickelt
hatte.
nach Innsbruck. „Mit dem In-
halt, dass man sofort wieder
von Kärnten weg wolle.“ Aller-
dings hieß es erneut warten.
„Denn man schrieb von Inns-
bruck zurück, dass man zuerst
schauen will, dass Südtirol
vielleicht doch noch zurück-
kommen kann.“ Letztendlich
fädelten es die Briten als Be-
satzungsmacht ein, dass Ostti-
rol wieder Tirol angeschlossen
wurde. „Die Briten taten dies
allerdings aus reiner Image-
pflege heraus. Man wollte beim
Volk wieder beliebter werden.“
1947 war es dann so weit mit
der Rückkehr. Schon ein Jahr
zuvor war die Zeitung Osttiro-
ler Bote gegründet worden.
Starke Baukonjunktur
Doch weiterhin wurde Ostti-
rol als letzter Teil Südtirols bei
Österreich bezeichnet. „Mit
dem politischen Abgang des
einstigen Nationalrats Franz
Kranebitter hörte diese Be-
zeichnung allerdings schlagar-
tig auf. Wohl auch deshalb, weil
die krasse Phase der Anschläge
in Südtirol vorüber war.“
Es hatte ohnehin eine starke
Baukonjunktur in Osttirol ein-
gesetzt: Bau der Felbertauern-
straße, Bau der TAL-Pipeline,
enorme Aufräumarbeiten nach
den drei Hochwasserkatastro-
phen. Osttirol wurde beachtet,
Verlust von Südtirol war auch für
Osttirol ein harter Schlag