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Frau Schiffler, erst jetzt
haben Sie ihre Kindheit in
China aufgearbeitet und noch-
mals in Form eines Buches auf-
leben lassen. Warum und
warum erst jetzt?
Schiffler:
„Ich habe meine Er-
innerungen schon vor langer Zeit
niedergeschrieben. Allerdings in-
teressierte sich niemand dafür.
Erst langsam, auch mit demAuf-
streben Chinas zur Weltmacht,
beginnen sich die Menschen für
das Land zu interessieren.“
Sie konnten sich natürlich
nicht selbst an alles erinnern.
Von wem stammen die Erzäh-
lungen?
Wann mussten Sie China
verlassen?
Schiffler:
„Im Dezember 1937
wurde ich 13 Jahre alt, im Feber
1938 verließen wir China. Mein
Vater hatte seit 26 Jahren die Ge-
schäfte von IG Farben (BASF) in
China betreut und wurde nach
Deutschland zurückgerufen. Auf-
grund des Krieges zwischen
Japan und China liefen die Ge-
schäfte nicht mehr so gut, außer-
dem war er gesundheitlich ange-
schlagen. In Deutschland konn-
ten wir allerdings nicht bleiben,
das war aufgrund der politischen
Lage für uns unmöglich, deshalb
ist mein Vater auch in Frühpen-
sion gegangen. Wir sind dann
über den Umweg Meran letztlich
in Opatija in Istrien gelandet, wo
wir bis Ende 1944 gelebt haben.
Das Kriegsende erlebte ich in
Meran, meine Eltern wohnten
dort bis zu ihrem Tode.“
Wäre es für Sie nicht in Frage
gekommen, als Erwachsene
nach China zurückzukehren?
Schiffler:
„China war nach
dem Zweiten Weltkrieg bis hi-
nauf in die 1980er-Jahre für Aus-
länder verschlossen. Danach
kam es nicht mehr in Frage, weil
ich ja einen Beruf und mir ein
anderes Leben aufgebaut hatte.
Ich habe China acht Mal besucht
und die Chinesen als Freunde
wiedergetroffen. Sie haben
gleich gemerkt, dass ich keine
Fremde war.“
Wie erlebten Sie China bei
Ihren späteren Besuchen?
Schiffler:
„Meine Eltern
haben mir immer wieder über
China und meine Kindheit er-
zählt. Mit ihnen habe ich auch
wunderbare Momente dort er-
lebt. China hat uns alle nie los-
gelassen.“
Was hat Sie als Kind bzw.
junges Mädchen in China am
meisten geprägt?
Schiffler:
„Alles. Ich habe
die Menschen und das Land ge-
liebt. Chinesen können sehr gut
mit Kindern umgehen. Als Kind
ist mir die uralte chinesische
Kultur und Philosophie noch
nicht präsent gewesen, die habe
ich erst viel später verstanden.
In China sind meine Wurzeln,
ich habe mich dort einfach
wohlgefühlt.“
In welcher Sprache wurden
Sie aufgezogen?
Schiffler:
„Interessanterweise
sprach ich bis zu meinem dritten
Lebensjahr – wenn überhaupt –
nur Englisch. Meine Mutterspra-
che war natürlich Deutsch. In
Hongkong, wo ich zuerst zur
Schule ging, redete man dann
nur Englisch. Als wir dann wie-
der nach Kanton gezogen sind,
genoss ich dann den deutschen
Privatunterricht von Frau We-
ckert, die eine glühende Germa-
nin war.“
In einer kalten Nacht am
26. Dezember 1924 er-
blickte Marion Schiffler
aus Meran in China das
Licht der Welt. Die ers-
ten 13 Jahre verbrachte
sie in Kanton und in
Hongkong, weil ihr Vater
für den deutschen Groß-
konzern I.G.Farben
(BASF) die Geschäfte in
China betreute. Schiffler
gab jetzt im Alter von 87
Jahren ein Buch mit dem
Titel „Ich war das Jade-
kind“ über ihr einstiges,
geliebtes Leben in China
heraus. Das Buch er-
schien im Raetia Verlag
(15,90 €). Die agile Dame
im „PVT“-Interview.
PORTRAIT
PUSTERTALER VOLLTREFFER
NOVEMBER/DEZEMBER 2012
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„Ich war das Jadekind“
Marion Schiffler (87) mit einem Bekannten aus China.
Woran erinnern Sie sich?
Schiffler:
„Ich erinnere mich
an den Blumenduft in unserem
Haus in Kanton und an den Ge-
ruch von Essen, dem man be-
gegnete, wenn man in den Gas-
sen unterwegs war. In meinem
Buch schreibe ich vom ‚basso
continuo’, diesem kontinuierli-
chen Lärm, mit dem Chinesen
leben, der ihnen aber nichts aus-
macht. Im Gegenteil, die Italie-
ner sind in dieser Hinsicht ja den
Chinesen sehr ähnlich. Das
Leben in China war natürlich
nicht leicht. Das feuchte Klima
hat vielen Ausländern, so auch
mir, sehr zu schaffen gemacht.“
Wären Sie selbst gerne Chi-
nesin gewesen?
Schiffler:
„Nein, weil ich
mich auch sehr stark mit der eu-
ropäischen Kultur identifiziere.
Diese hat mir mit der Musik und
der Literatur zwei Erlebniswel-
ten gegeben, die ich in meinem
Leben nicht missen möchte.“
Marion Schiffler als junges Mädchen mit ihrem Vater und dem Hauspersonal.