Seite 2 - H_2001_09

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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
69. Jahrgang –– Nummer 9
Stollä, Keiller Stollä Stück, Stollach zinst
dem Pfarrwidum Taisten“. Hintner meinte:
„Nach den letzten zu schließen, ist es das
mhd.
stole
, von den Stolgebühren und
kirchlichen Abgaben ...“ (mhd. = mittel-
hochdeutsch). Nun, das althochdeutsche
stola
(um 800) – in der Bedeutung für
„schärpenartiger Streifen als Teil des
Messgewandes, über Hals und Schultern
hängend“ (heute auch „von Frauen um die
Schultern getragener langer, breiter
Schal“) – stammt vom lateinischen Begriff
stola
„langes Frauenoberkleid“. Dieser
Begriff wird Bezeichnung für das talarartige
Priestergewand mit den von den Schultern
bis zu den Füßen reichenden verzierten Bor-
ten, nach zunehmender Ausgestaltung des
priesterlichen Untergewandes, der Albe (=
des „Weißen“), bleiben nur noch die kost-
baren Bortenstreifen als Teil der liturgi-
schen Kleidung erhalten (8. Jahrhundert).
Die Stola als Teil des Messgewandes
wurde sozusagen als Symbol eines Pfarrers
zur Bezeichnung der Pfarrpfründe verwen-
det, nämlich die Gebühr, die an die „Stola“
zu entrichten war. Stolgebühren, die für ver-
schiedene liturgische Handlungen vorge-
schrieben waren, standen also dem Pfarr-
herren als Zehent zu. In Innervillgraten wird
bereits 1267 ein
clericus in capella Valgrat
erwähnt, nachdem sich 1140 die ersten
Siedler im Tal niedergelassen hatten. Es
handelte sich um eine kleinere Kirche (
ca-
pella
) mit pfarrlichen Rechten. Die Beset-
zung der Pfarre erfolgte über Vorschlag des
Propstes, später des gesamten Kapitels von
Innichen durch den Brixner Bischof.
Die erste Kirche soll auf dem Lahnberg in
Innervillgraten beim heutigen Wegelate-
Hof gestanden haben (dieser Hof hieß frü-
her „Kafte“, erstmals 1478 in einer Urkunde
des Stiftes Innichen als „Kaufhof“ genannt).
Neben dem Haus gibt es dort, wo heute die
Garagen stehen, den Flurnamen „Freit-
heifl“. Der Begriff
heifl
ist die Verkleine-
rungsform von
hôf
oder
houf
„umschlosse-
ner Raum beim Haus, vor dem Stadel und
Stall“. Das althochdeutsche
stadal
„Stand,
Kornscheune“ gehört zu „stehen, stellen“
(indoeuropäische Wurzel
sta-
), so wie
lateinisch
stabulum
„Standort, Stall“ zu
stare
„stehen“ gehört, altisländisch
stodull
„Melkplatz“, ursprünglich „Stand(ort)“;
die Tuxer nennen einen Stall ohne Vieh-
stand
stâdl
. Die althochdeutsche Form für
Friedhof lautet
frîthof
friten
bedeutet
„hegen, schonen“ (um 1000). Es ist also ur-
sprünglich ein „eingefriedeter, geschützter
Platz; Immunitätsbezirk“ gemeint. Der ge-
weihte Platz um eine Kirche diente als Be-
gräbnisstätte, er wurde als Ort der Ruhe und
des Friedens empfunden. Deshalb wurde
der Begriff
frît
mit dem verwandten Frieden
– althochdeutsch
fridu
„Zustand der Ruhe,
Einfriedung“ – verbunden. In süddeutschen
Mundarten ist aber heute noch die Form
„Freithof“ gang und gäbe.
Im hinteren Bereich des heutigen
foir-
hauses
= Wohnhaus mit dem Herd(feuer) –
im Gegensatz zum
fuitohaus
, dem Ge-
bäude(teil), in dem das Futter aufbewahrt
wird –, also bergseitig, befindet sich im
Obergeschoss ein Gewölbe. Der hintere Teil
wurde erst Ende der 80er-Jahre umgebaut. –
Der Nachbar Alois Lanser,
Egga
, war bei
diesen Arbeiten dabei und berichtete dem
Verfasser: Beim hinteren, alten Bereich be-
stand eine Doppelmauer, die eine starke
Rußschicht trug. Es ist überliefert, dass zu
„Kafte“ eine Schmiede bestanden hatte. Nun
wurde dieses Gehöft erstmals, wie oben be-
richtet, 1478 erwähnt. Die erste Kirche an
der heutigen Stelle (im Ortsteil „Gasse“) war
ein gotischer Bau, anno 1440 geweiht. Der
alte Bau am Lahnberg war überflüssig ge-
worden, die Erhaltung einer zweiten Kirche
war den Innervillgratern wohl zu aufwändig.
Der gemauerte Bau war aber für eine
Schmiede wie geschaffen. Diese starke Ruß-
schicht an der Außenmauer der alten Kirche
– Alois Lanser meint, sie sei jahrhundertealt
– deutet darauf hin, dass die Esse im Freien
unter einem schrägen Dach stand, der Rauch
konnte entlang der Mauer abziehen. Auf der
Nordseite im alten Bau wurde beim Umbau
eine zugemauerte Fensternische sichtbar,
deren Umrahmung Tuffsteine bildeten
(Tuff ist ein löcheriger Kalkstein, aus latei-
nisch
tofus
,
tophus
„Tuffstein“). Die Holz-
decke zwischen dem heutigen Ober- und
Untergeschoss wurde erst nachträglich ein-
gezogen, wie deutlich zu sehen war. Ur-
sprünglich war der hintere Bereich ein ein-
heitlicher, gewölbter Raum, also das alte
Kirchenschiff. Davon abgesetzt, im west-
lichen Bereich (taleinwärts) tauchten die
Reste eines Turmes auf. Das Bauwerk mit
einer Mauerstärke von jeweils zwei Meter
im Geviert war bis auf die Deckenhöhe des
Erdgeschosses abgetragen. Die holperige
Oberfläche des verbliebenen Turmstumpfes
bilden Natursteine, aus denen seinerzeit der
Kirchturm am Lahnberg errichtet worden ist.
Nun brauchte der Pfarrer eine Einnahms-
quelle für seinen Lebensunterhalt, eine
Pfründe also. Sie scheint hier vom Kloster
Innichen nicht an Höfe gebunden worden
zu sein, sondern an die der Kirche nächst
gelegene, gute Alm, deren Nutzungsbe-
rechtigten die „Stolgebühr“ zu leisten hat-
ten. So kam wohl der Almbereich im Arn-
tal zum Namen
Stollach
oder
Stolla
.
Nahe hinter der Ortschaft Kalkstein liegt
die Alfenalm (in der Tiroler Militärkarte
von 1823 Alfner B.). Die heutige Alm war
eine Schwaige, also ein Viehhof, der ganz-
jährig bewohnt und bewirtschaftet war. Der
Name bezieht sich höchstwahrscheinlich
Oberstolla wurde benannt nach der
Stola (Teil des Messgewandes) als
Symbol für eine Kirchenpfründe. Die
Bewirtschafter der Alm mussten der
Pfarre Innervillgraten (1267 erstmals
genannt) Zehent leisten. Darüber ragt
links die Rote Spitze auf, in Villgraten
Reate genannt, mit der gewaltigen Runse
des Reatebachs. Die Erosionsgewalt
der Reate zeigt der riesige Schuttfächer
vor dem Almdorf, der jetzt bewaldet ist.
Die Schutzengelkapelle inmitten der
Almhütten wurde 1956 als
Gelöbnis zum Schutz gegen Muren und
Lawinen von der gefürchteten
Reate errichtet.
Unterstolla mit dem gelben Schleier
aus unzähligen Blüten von Hahnenfuß
(in der ersten Juniwoche 2000).