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Nummer 11-12–– 69. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r
kirche in Brixen anzuführen (1483). Das
Mittelbild, jetzt im Diözesanmuseum
Freising, zeigt die Taufe Christi, der ihm
zugeordnete rechte Flügel im Germani-
schen Nationalmuseum Nürnberg den
Evangelisten Johannes (innen) und den
hl. Nikolaus (außen); zu den Kriegsver-
lusten zählt hingegen der linke Innen-
flügel, auf dem eine Muttergottes darge-
stellt war. Bei diesem Altarwerk sind alle
Tafeln durch ein System fingierter Stein-
rahmen mit eingezogenen Baldachinen
verbunden, wobei auf die folgerichtige
Verkürzung und Ausleuchtung besonderer
Wert gelegt wird. Den eingestellten Figu-
ren aber bleibt genügend Platz für die Ent-
faltung ihres körperlichen Volumens
11
.
Damit ist freilich noch kein direktes Vor-
bild für den einfacheren Korbiniansaltar
gefunden, bei dem ein echtes Skulpturen-
gehäuse mit gemalten Nischen kombiniert
wird. In seine Nachfolge gehört hingegen
das Retabel in St. Justina, ebenfalls in der
Gemeinde Assling, das um 1500 datiert
werden kann. Im Schrein steht die ältere
Figur der Kirchenpatronin, in den gemal-
ten Nischen neben ihr erscheinen die hll.
Helena und Laurentius, sodass das Schema
von St. Korbinian noch einmal wiederholt
wird. Auf den Flügeln sind allerdings er-
zählende Historien aus dem Leben der hll.
Justina und Cyprian (innen) und die Passion
Christi (außen) dargestellt, die keine archi-
tektonische Rahmung erhalten haben
12
.
Der Hochaltar von St. Korbinian lässt
sich somit einbinden in die Pacherschen
Retabeltraditionen. Er wird seit jeher Fried-
rich Pacher bzw. einem derberen Werk-
stattgenossen, dem sog. „Barbarameister“,
zugeschrieben. Stiassny hat den Kathari-
nenaltar und den Barbaraaltar in Neustift
sowie die drei Altäre in Assling zu einer
Gruppe zusammengefasst und einem
Wolfgang Aßlinger, der aus der Pacher-
Werkstatt hervorgegangen sein soll, zuge-
wiesen
13
. Otto Benesch (1928/29) hat da-
gegen einen „Meister von St. Korbinian“
kreiert, einen Schüler Friedrich Pachers,
der in dessen Spätzeit tätig gewesen sein
dürfte; von ihm sollen der Barbaraaltar, die
Altäre in Assling, die Dreifaltigkeitstafel
in Wien und das Kreuzigungsfresko im
Bozner Dominikanerkreuzgang stam-
men. Letzteres erscheint neben Arbeiten,
die eindeutig mit dem Namen Friedrich
Pachers zu verbinden sind, wodurch die
Unterschiede des Temperaments und der
Qualität überdeutlich hervortreten
14
. Jo-
seph-Clemens von Bayern belässt den
Korbiniansaltar bei Friedrich Pacher und
gibt die anderen Werke seinem „Meister
des Neustifter Barbaraaltars“. Daneben er-
kennt er einen weiteren Mitarbeiter in die-
ser Werkstatt, der den Ambraser Marien-
altar im Innsbrucker Ferdinandeum aus-
geführt haben soll
15
. Alfred Stange (1960)
ist hingegen vorsichtiger und sieht in Fried-
rich Pacher den Hauptverantwortlichen für
den immer wieder konstatierten Qualitäts-
abfall; er rechnet aber doch mit einem Ge-
hilfen (Barbarameister), den er mit Hans
Pacher identifizieren möchte und in den
80er- und 90er-Jahren tätig werden
lässt
16
. Elisabeth Herzig übernimmt diese
nun mehrfach vollzogene Händeschei-
dung, versucht aber den Anteil des Barba-
rameisters zu vergrößern, indem sie sein
Mitwirken über mehrere Jahrzehnte ver-
folgen möchte. Dieser Gehilfe soll zu-
nächst nach Vorzeichnungen Friedrichs
gearbeitet, später aber über eine eigene
Werkstatt verfügt haben und zunehmend
selbstständiger geworden sein. Seinen An-
teil erkennt sie schon bei dem frühen Fres-
kenzyklus in St. Paul im Lavanttal
(1468), an den Flügelbildern des Kathari-
nenaltars, an den Flügeln und sogar am
Mittelbild des Peter- und Paulsaltars aus
dem Jöchlsthurn in Sterzing, heute im Fer-
dinandeum, das man aber nach wie vor als
Hauptwerk Friedrich Pachers ansehen
sollte. Die seit jeher abgesonderte
Gruppe von Gemälden gehört nach Herzig
in die Spätzeit des Künstlers, in der er sich
zu besonders drastischen Darstellungen,
die das Rohe und Gemeine beschreiben
und Verzeichnungen im physiognomi-
schen Bereich enthalten, hinreißen lässt.
Dabei vollziehen sich auch Wandlungen
im Kolorit und in der Malweise. Für den
Korbiniansaltar, der in die Mitte der 80er-
Jahre datiert wird, kommt Frau Herzig zu
folgender Differenzierung: Die Predella
sowie die hll. Petrus und Paulus seien nach
Entwürfen von Friedrich Pacher durch den
Barbarameister ausgeführt worden, wäh-
rend die Flügelinnenseiten zu den eigen-
händigen Arbeiten Friedrichs zu zählen
seien
17
. Im Katalog der Neustifter Ausstel-
lung (1998) wird an der Trennung der bei-
den Meister festgehalten, der Korbinians-
altar aber nicht näher behandelt
18
.
Das Retabel von St. Korbinian wird also
Friedrich Pacher wie auch dem Barbara-
meister zugeordnet, ohne dass es zu den
charakteristischen Werken des einen oder
des anderen gerechnet werden könnte. Stil-
unterschiede und Qualitätsschwankungen
sind zu verzeichnen, die durch die nun auf-
getauchten Flügelbilder noch deutlicher
hervortreten.
Der Anteil Friedrichs zeigt sich zunächst
in der Predella, welche sogar noch auf
Werke Michael Pachers Bezug nimmt. So
weist die große Figur des Heiligen auf der
linken Seite zurück auf den Kirchenväter-
altar, auf die Gestalt des hl. Augustinus in
der Begegnung mit dem Teufel. Außerdem
wurde mit Recht an die Außenseiten des
Altars von St. Wolfgang erinnert, deren
Ausführung einhellig Friedrich Pacher zu-
geschrieben wird
19
. Von Interesse sind vor
allem die Darstellungen der Heilung der
Besessenen und der Kornverteilung mit
dem Bischof, seinen Assistenten und den
modisch gekleideten Rückenfiguren.
Hier, wie auch in der Tafel mit der Predigt
des Heiligen, lässt sich der bei Friedrich
mehrfach behauptete Einfluss aus Ferrara
entdecken, den man im Neustifter Katha-
rinenaltar und eben in der Predella des
Korbiniansaltars weiterverfolgen kann.
Die Ausführung der Predella unterscheidet
sich aber von derjenigen der Flügelbilder
in St. Wolfgang, was sich etwa an der Be-
handlung der Inkarnate mit den pastos auf-
getragenen, sich inselartig isolierenden
Flecken ablesen lässt. Recht grob ist auch
die Wiedergabe der hinteren Wunder-
szenen und deren Einbettung in die Land-
schaft ausgefallen. Das alles spricht für
eine Werkstattausführung, möglicher-
weise durch den Meister des Neustifter
Barbaraaltars.
Die Anlage von Schrein und Flügeln
wird ebenfalls auf Friedrich Pacher zu-
rückgehen, doch ist sie deutlich von den
ambitionierteren Projekten der 80er-Jahre
zu unterscheiden (Taufe Christi, Peter- und
Paulsaltar). Die Baldachinarchitektur mit
den Kielbögen und Maßwerkblenden
zeigt althergebrachte Formen aus der Zeit
des Uttenheimer Meisters, und das per-
spektivische Konzept ist von relativ ge-
ringem Anspruch. Ein neues Element sind
nur die Muschelnischen auf den Flügel-
außenseiten, die sich als Hintergrunds-
motiv nochmals auf einer Tafel des
Katharinenaltars
20
und bei der Darbringung
des Ambraser Marienaltars
21
finden lassen.
Nicht damit zu verbinden sind die
sonderbaren Konsolen, für die bisher keine
Vergleiche angeführt werden können.
Von den Hauptwerken Friedrich Pachers
abzusetzen sind auch die Figuren der hll.
Petrus und Paulus; sie erreichen nicht die
kraftvolle Präsenz der Apostelfürsten auf
der Mitteltafel des Peter- und Paulsaltars
aus dem Jöchlsthurn
22
oder der Heiligen
auf den Flügelbildern im Germanischen
Nationalmuseum. Petrus ist die überzeu-
gendere Figur von beiden, weil er recht gut
in die schmale Nische eingepasst wurde.
Sein weiter Mantel ist schalenartig um den
Körper herumgeführt, lässt aber das für
das Standmotiv entscheidende rechte
Bein deutlich hervortreten. Die kniebe-
tonte Drapierung erinnert an die Holz-
skulpturen Michael Pachers und seiner
Zeitgenossen, und die Gewandbildung mit
den aufgesetzten Stegen und Brücken fin-
det sich in etwas härterer Formulierung bei
der Hauptfigur des Katharinenaltars von
Friedrich Pacher. Physiognomisch ähnelt
Petrus dann weniger dem gleichnamigen
Heiligen auf dem Peter- und Paulsaltar
oder der davon abzuleitenden Predellen-
tafel im Bozner Stadtmuseum
23
, son-
dern lässt eher an den entsprechenden
Schlussstein in St. Paul im Lavanttal oder
denjenigen von St. Korbinian denken
24
.
Paulus ist dagegen stämmiger und robuster
und scheint aus seiner Nische hervorzu-
drängen. Das breitbeinige Stehen soll
durch den „all’antica“ arrangierten Mantel
unterstrichen werden, doch kommt es auf
der linken Körperseite zu merkwürdigen
Stauchungen. Sollten Vorbilder aus dem
Kreis der Vivarini eine Rolle spielen, wie
Herzig annimmt, so scheint die Adaption
nicht recht gelungen. Das Vierschrötige
der Erscheinung wird schließlich unter-
stützt durch die derbere Bildung des Ge-
sichtes, das am ehesten auf die späteren
Vorlieben des Barbarameisters hindeuten
könnte.
Die beiden Heiligen auf den Außenflü-
geln des Retabels wirken dagegen magerer
und labiler. Bei ihnen wird der Mantel –
unter weitgehender Negierung des körper-
lichen Zusammenhanges – wie gefaltetes
Blech behandelt. Andreas mit seinem
schräg gestellten Kreuz dringt ein wenig in
den Raum vor, doch gibt es Probleme bei
der Verkürzung der in die Hüfte ge-
stemmten rechten Hand. Korbinian ist da-
gegen mehr bildparallel entworfen und hat
noch geringere Entfaltungsmöglickeiten.
Im Hinblick auf die Physiognomie steht
der hl. Andreas seinem Namensvetter auf
dem Schlussstein von St. Paul im Lavant-