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Heute kennen wir für solche Vorgänge
weit effektivere Methoden für durchwegs
präzise, unverwechselbare Angaben.
Wie dem auch sei, unser Augenmerk
richtet sich auf jene wenigen Textstellen,
die von besonderem volkskundlichen
Interesse sind.
Auf den Seiten „11“ und „12“ ist die
Rede von silbernen und messingenen
„Augen“; zweifelsohne Votivgaben für
erbetene und/oder erlangte Hilfe in be-
stimmten körperlichen Gebrechen. Be-
kanntlich hatte (und hat) in Amlach mit Ot-
tilie eine Heilige das Hauptpatronat inne,
die als große Fürsprecherin bei Augen-,
Ohren- und Kopfleiden verehrt wurde
48
. Es
ist daher nicht verwunderlich, dass sich in
„ihrem“ Gotteshaus neben der kunstvollen
plastischen Darstellung, d. i. die Statue „hl.
Ottilie“ von ca. 1470, andere Zeugnisse –
diesfalls recht kostbarer Art – ihrer signi-
fikanten Attribute vorfinden.
Auf Seite „17“ widerum lautet eine Text-
passage auf „Vier und dreißsig unterschid-
lich Claine: und zum Thail gar schlechte
Täfelen“. Fernab spekulativer Vorgaben
sind diese als Votivtafeln zu interpretieren.
Die Begründung hiefür liegt auf der Hand:
Amlach galt im Lienzer Raum erwiesener-
maßen als spezieller Gnadenort für Kopf-,
Ohren- und Augenleiden. Insbesondere
letzteres Gebrechen war weit verbreitet,
was nicht zuletzt mit den Wohnverhältnis-
sen in den hierzulande durchaus üblichen
Rauchküchen und Rauchstuben zu tun
hatte (alltäglicher Gebrauch offenen Feuers
bei nicht vorhandenen oder schlecht funk-
tionierenden Rauchabzügen!).
Für Osttirol ist schließlich ein merk-
licher Aufschwung des Wallfahrtswesens
in der Zweithälfte des 17. Jahrhunderts ins
Treffen zu führen. Neben der Belebung
der allgemeinen Glaubenspraxis äußerte
sich dies u. a. auch in einer erhöhten Bau-
tätigkeit auf sakralem Sektor: Die Neu-,
Um- und Erweiterungsbauten an der Ul-
richskirche in Lavant und Maria Hollbruck
gehen beispielsweise darauf zurück. Von
der besonderen Verehrung Mariens in der
Kapelle zu Mariä Heimsuchung in
Walde/Abfaltersbach ist ein hervorragen-
des historisches Bilddokument auf uns ge-
kommen: Eine von Martin Wierer gestif-
tete Votivtafel vom Jahre 1680, auf der
dessen tot geborenes Kind für einen kur-
zen Moment „zaichnet“ – es verkehrte die
Gesichtsfarbe und zeigte Schweißspuren,
worauf es von der Hebamme rasch getauft
und so für den Eintritt in die ewige Glück-
seligkeit, sprich in den Himmel, gerettet
werden konnte – , bezeugt dies auf ein-
drückliche Weise
49
. Aber auch die Otti-
lienkirche zu Amlach selbst wurde in den
achtziger Jahren des 17. Jh.s maßgeblich
erweitert
50
, wenngleich große finanzielle
Schwierigkeiten dieses Unterfangen zu-
nächst sehr fraglich erscheinen ließen
51
.
Mit dem Aufblühen der lokalen und re-
gionalen Wallfahrt gingen die Ausstattung
der Ottilienkirche und der beständige Zu-
wachs an Votivgaben einher.
Freilich ist ein Kircheninventar, das vor
rund 270 Jahren angelegt wurde, heute
kaum mehr als relevant zu betrachten; zu
lang ist der zeitliche Abstand, zu viele Er-
eignisse sind mittlerweile eingetreten und
haben ihre Spuren hinterlassen, zu unter-
schiedlich waren auch die Umstände, um
den Altbestand der Ausstattung lückenlos
erhalten und weitergeben zu können. Tra-
dition und Fortschritt sind die beiden Pole,
zwischen denen sich gesellschaftliche Ent-
wicklungen bewegen und sinnlich wahr-
nehmbar artikulieren!
Die Ottilienkirche zu Amlach mit
ihrem Ornat
52
und Paramentenschmuck
53
,
heute stilvoller und einladender als je
zuvor, ist ein treffliches Beispiel für die
allgemeine Wertschätzung althergebrach-
ten und neu dazugekommenen Kulturgutes
bei der Bevölkerung.
Anmerkungen:
1 Das im Museumsarchiv Schloß Bruck (= MASB) ver-
wahrte Verzeichnis besteht in einer Papierhandschrift;
Format 195 x 160 mm; fadengeheftet. Erhaltungszus-
tand: gut; rückwärtiges Deckblatt beschädigt.
2 Bewegliches Gut im Gegensatz zu festem, unbeweg-
lichen.
3 Vlg. Pizzinini, Meinrad: in: Dehio Tirol, Wien 1980,
S. 150/151.
Ders.: Osttirol. Der Bezirk Lienz. Salzburg 1974,
S. 101 – 103.
4 Selbstgewähltes Zeichen für Zeilenabgrenzung.
5 Laut Tristacher Pfarrchronik war Johann Baptist Vil-
planner (auch Vilplaner od. Vilploner geschrieben) von
1732 bis 1748 Ortsseelsorger von Tristach. Er stammte
aus Leisach, geb. 1700, 1723 zum Priester geweiht.
6 Franz Ignaz Eisanck von Marienfels, 1697 bis 1748, war
von 1724 bis 1748 Landrichter der Herrschaft Lienz.
Der siegelbegabte Amtsträger war laut einem Bericht
des Herrschaftsverwalters „ein capabler Mann“, hatte
sowohl „Studium legale, als auch gute Gerichtspraxis“,
sei aber „Nachmittag zu viel in den Wirtshäusern...“.
(MASB, OR, Fasz. „Landrichter der Herrschaft
Lienz“).
7 Bernhard Unterhueber, angesehenes Mitglied des
Rates der Stadt Lienz, ist in den Lienzer Ratsprotokol-
len mehrfach genannt.
8 Ziborium – Hostienkelch.
9 Aus Damast.
10 Veroneser Borten. Pern, Bern – alte, dt. Bezeichnung
für Verona.
11 Heiltum, Heiltümer – Reliquien.
12 Kanontafel – Tafel mit feststehenden Gebetstexten der
röm.-kath. Messe (zwischen Präfation und Pater noster).
13 Zuweilen kunstvoll gestaltete Verkleidung des Altar-
unterbaues; kann aus verschiedenen Materialien ange-
fertigt sein.
14 Pfize od. Pfouse, mundartl. – Franse od. Quaste =
Faden- oder Schnurbüschel.
15 Es handelt sich um den hl. Antonius von Padua, der in
Amlach besondere Verehrung genoss, z. B. durch einen
verlobten Feiertag. – Ausführl. bei: Niederkofler, Se-
bastian: Kirchliche Topographie und Statistik der Pfarr-
gemeinde Tristach, 1849 (= Pfarrchronik Tristach;
Handschrift, Folioformat).
16 Ampl, Ämpl, mundartl. – Ampel, Lampe – siehe:
Schatz, Josef: Wörterbuch der Tiroler Mundarten,
SS 119, 1993.
17 Geschnitzte Prozessionsstangen; vermutl. Tragleuchten
beim „Himmel“.
18 Weihwasserwedel.
19 Purifikatorium – Tuch zum Trocknen des Hostienkel-
ches sowie anderer kostbarer Gefäße.
20 Pallium, Mz. Pallia, lat. – weiter Mantel: „ainlifft Palia“
– elf Pallien. – Die betreffende Angabe macht einiger-
maßen stutzig: Wozu hätte man in St. Ottilia einer der-
art großen Zahl weiter Mäntel bedurft?! Dass es sich
dabei nicht um das liturgische Amtszeichen eines Me-
tropoliten handeln kann, dürfte außer Zweifel stehen.
Denkbar wäre es, dass der Schreiber die kleinen (wei-
ten) Mäntelchen gemeint hat, die man zum Schutze über
kostbare Gefäße, insbesondere Kelche, stülpte. Ob es
sich ev. um Kleidungsstücke des/der Messdiener han-
delte, ist nicht eruierbar.
21 Korporale – Leintüchlein als Unterlage für Hostie und
Kelch.
22 Aus Taft.
23 Stola – schmaler, über die Schultern hängender Teil des
priesterlichen Meßgewandes. Wird nicht nur bei der
Messfeier, sondern auch bei anderen liturgischen Hand-
lungen getragen.
24 Manipel – um den linken Unterarm gelegtes, breites
Band von Stoff und Farbe des Messgewandes.
25 Aus Atlas.
26 Mor, mundartl. – von Moiré, frz. – Seidengewebe mit
wellenförmiger Musterung.
27 Leonisch – (nach der span. Stadt León), aus feinen
Metallfäden (Gold, Silber) hergestellte Besatzwaren,
z. B. Bänder, Fransen, Borten.
28 Altötting (Bayern).
29 Taler (Münze).
30 Portativ – kleine, tragbare Orgel.
31 Kissen.
32 Albe – langes, weißes Gewand des Priesters bei litur-
gischen Handlungen.
33 Schultertuch.
34 Drichl, mundartl. – in diesem Zusammenhang kann le-
diglich ein dreifädig gewebtes Kleidungsstück, der
„Drilch“ (= Drillich), gemeint sein. – Vgl. Schatz, Josef:
Wörterbuch der Tiroler Mundarten, SS 119, 1993.
35 Vermutl. von mundartl. „koul“ (Kohle), „koulich“ –
kohlen, schwarz. – Vgl. Lit.-Hinw. bei Anm. 34.
36 Nicht im heute gebräuchlichen Sinne, sondern als be-
sonders verwahrtes, wichtiges Schriftstück (Urkunde).
37 Buch mit Anweisungen für die katholische Liturgie.
38 Marmoriert.
39 Kapseln.
40 Salzburger Gnadenkindlein. – Hier eine Nachbildung
des weitum bekannten, seit 1650 in St. Maria Lo-
reto/Salzburg verehrten „Salzburger Christkindls“.
Die Ottilienkirche in Amlach ist zweifellos ein interes-
santer Belegort für die rel. frühe Verehrung des „Salz-
burger Kindls“ in unserer Gegend.
41 Geschnitzte Engel.
42 Fahnenbehälter; korr. wohl lederner Behälter für Fah-
nenstange; Tragbehälter.
43 Plan, Plandl, mundartl. – Deckel(chen). – Vgl. Schatz,
Josef: Wörterbuch der Tiroler Mundarten, a.a.O.
44 Vgl. hiezu Kollreider-Hofbauer, Maria: 1734 – Inven-
tarium für Ornat und Kirchenzier bei dem löblichen
St. Ulrich und St. Peters Gotteshaus zu Lavant, in:
OHBI.22/1, 1954, S. 5-6.
45 Vgl. Schriftverkehr Haller Damenstift – Herrschafts-
verwalter Johann Paul von Rost. Abschriftl. in: MASB,
OR, Fasz. I/28 (1731-1740).
46 Lienzer Stadtratsprot. 1734. Abschriftl. in:, MASB, OR,
Fasz. I/28 (1731-1740).
47 Wie Anm. 46.
48 Vgl. Wimmer, Otto: Handbuch der Namen und Hei-
ligen, 3. Auflage, Innsbruck-Wien-München 1966.
S. 403.
49 Es handelt sich um ein in Öl auf Leinwand gemaltes
Votivbild im Ausmaß von 56,7 x 49,7 cm, worauf ein
auf dem Altartisch liegendes Wickelkind dargestellt ist,
vor dem sich die trachtlich gekleideten Eltern und nahen
Anverwandten kniend zu inbrünstigem Gebet versam-
melt haben. – Das nämliche Bild befindet sich im Besitz
und Bestand des Museums der Stadt Lienz Schloß
Bruck.
50 Wie Anm. 3.
51 Nachweislich lt. kirchl. approbiertem „Bettelbrief“ von
1685; abschriftl im MASB. – Vgl. hiezu: Ebner, Lois:
Bemerkenswertes zum Kirchenbau in Amlach
1684/91, in: OHBL. 5/1997.
52 Ornat – Ausrüstung, Ausstattung. 53 Parament – im
christlichen Gottesdienst gebrauchter Gegenstand.
O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
70. Jahrgang – Nummer 1
Spätgotische Statue der hl. Ottilie in der
Kirche zu Amlach, um 1470; Aufnahme
von 1971.
Foto: M. Pizzinini
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren
verantwortlich.
Anschrift des Autors dieser Nummer:
Kustos Dr. Lois Ebner, Museum der Stadt
Lienz Schloß Bruck.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimat-
blätter“ sind einzusenden an die Redaktion
des „Osttiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad Piz-
zinini, A-6176 Völs, Albertistraße 2a.