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Anweisung, was mit den 50.000 Kosaken
und 25.000 Kroaten in seinem Abschnitt
geschehen solle.
Einen Tag später antwortete Andrew
Cunningham, Englands Marinestabschef,
die Kosaken müssten auf jeden Fall nach
Rußland zurück, denn sie fielen ja unter
die Jalta-Vereinbarung.
Am 18. Mai 1945
machte General Arbuthnott eine Inspek-
tionsfahrt durch die Lagerplätze. Auch das
Lager in der Peggetz sah er sich an.
Am 20. Mai 1945
erhielt Brigade-General Musson die Mit-
teilung, dass „alle sowjetischen Staatsbür-
ger in die UdSSR zu repatriieren sind“.
Am 23. Mai 1945
unterzeichneten in Wien britische und so-
wjetische Vertreter einen Sondervertrag,
nach dem alle Kosaken, auch Frauen und
Kinder, an die sowjetischen Militärbe-
hörden auszuliefern seien.
Am 24. Mai 1945
Generalleutnant Charles Keightleys
Anweisung, keine Russen zu repatriieren,
die seit 1930 nicht mehr in der Sowjet-
union gelebt hatten, wurde durch seinen
Befehl vom 24. Mai widerrufen, in dem es
unmissverständlich hieß, sämtliche Offi-
ziere seien ohne Ausnahme auszuliefern.
Am 26. Mai 1945
fuhr Oberst Malcolm zu einer Brigadier-
besprechung nach Oberdrauburg, wo ihm
die unangenehme Aufgabe der Ausliefe-
rung im einzelnen erklärt wurde. Zurück in
Lienz, gab er die Anweisungen an seine
Kompaniechefs weiter, zu denen auch Da-
vies gehörte.
General Schkuro kam am 26. Mai nach
Lienz. Als er durchs Lager in der Peggetz
fuhr, winkten ihm die Menschen zu und ju-
belten. Schkuro quartierte sich ebenfalls im
Hotel „Zum Goldenen Fisch“ ein und Do-
manow gab abends ihm zu Ehren ein klei-
nes Bankett. Diese Nacht führte Schkuro
ein Gespräch mit General Solomachin.
Am nächsten Tag (27. Mai 1945) wurde
Schkuro schon frühmorgens von den Bri-
ten verhaftet und nach Spittal abgeführt.
Am 27. Mai 1945
Am Morgen bekam der Stab der Kosa-
ken von Major Davies (Verbindungsoffi-
zier von Oberst Malcolm zu den Doma-
now-Kosaken) den Befehl, dass alle noch
im Besitz der Kosaken befindlichen Waf-
fen bis Mittag am Kasernenhof in der Peg-
getz abzuliefern seien. „Ist nach 14 Uhr
einer der Gefangenen noch im Besitz von
Waffen oder Munition, steht sofortiger Ar-
rest und Todesstrafe darauf.“
Noch am Abend des 27. Mai kam Major
Davies mit Leutnant BUTLEROW als
Dolmetscher in Domanows Quartier. Da-
vies überreichte Domanow einen schrift-
lichen Befehl, wonach alle Offiziere am
nächsten Tag um 13 Uhr am Kasernenhof
der Peggetz antreten sollten, um zu einer
Konferenz zu fahren, bei der sie Feldmar-
schall Alexander träfen und es in Spittal
um die Zukunft der Kosaken ginge.
Am späten Abend des 27. Mai 1945
setzten sich Domanow, Solomachin,
Wassiliev, Silkin und Frolov zusammen,
um zu beraten, ob sie zur Konferenz fah-
ren sollten. Nur Frolov war dagegen und
verließ nach einem Streit die Beratung.
Am 28. Mai 1945
Butlerow führte am Morgen mit Davies
ein Gespräch unter vier Augen. Davies gab
Butlerow sein Ehrenwort als Offizier, dass
am Abend alle wieder im Lager sein würden.
Die Nachricht über die Konferenz, „die
niemals stattfand“, wurde am Morgen ver-
breitet. Domanow verständigte seine Offi-
ziere und rief einige höhere Offiziere um
11 Uhr zu einer Besprechung in sein Quar-
tier. Ein Offiziersverzeichnis wurde an-
gefertigt, denn davon hing die Anzahl der
Lastwagen ab, die benötigt wurden. Do-
manov schickte einen Adjutanten zu
Krasnow, der seine Anwesenheit ver-
langte. Die höheren Offiziere fuhren in
verschiedenen Wagen von Lienz ab. Am
Peggetzer Kasernenhof waren ungefähr
1.475 Offiziere angetreten, viele in Para-
deuniform. Etwa 50 wurden als dienst-
habende Offiziere zurückgelassen. Einige
Kosakenoffiziere nutzten die Gelegenheit
zur Flucht. Vor den Toren des Lagers fuh-
ren 60 Dreitonnen-Lastwagen vor. Kurz
darauf hielt der Konvoi am Rande eines
Bergwaldes. Ringsum standen britische
Truppen. Zwei mit Maschinenpistolen be-
waffnete Soldaten bestiegen je einen Last-
wagen als Eskorte bis Spittal. Panzer-
wagen und bewaffnete Motorradfahrer
gliederten sich in die Kolonne ein. Dem
Kosakenoffizier ALEXANDER SHPA-
RENGO gelang die Flucht.
Eine halbe Stunde später kam ein Kon-
voi mit 125 kaukasischen Offizieren an.
Ihnen voraus Sultan Kelec`Girej in einem
offenen Wagen in voller Paradeuniform
eines Zarenoffiziers. Im Kriegsgefange-
nenlager Spittal wurden alle nach Waffen
durchsucht und festgesetzt.
Krasnow verfasste ein Bittgesuch auf
Französisch an König George VI., Feld-
marschall Alexander, den Papst, das
internationale Rote Kreuz und König Peter
von Jugoslawien.
Am 29. Mai 1945
Im Lager in Spittal gab es in der Nacht
noch mehrere Selbstmorde. Am Morgen
wurden die Kosaken unter Anwendung
von Gewalt verladen.
Punkt 7 Uhr startete die Wagenkolonne
mit sämtlichen Offizieren an Bord in Rich-
tung Judenburg, wo die Übergabe an die
sowjetischen Dienststellen erfolgte.
Im ersten Wagen der Kolonne befand
sich General Krasnow, im letzten
Schkuro und sein Stab. Insgesamt fuhren
vier Stabsautobusse und 58 Lastwagen mit
großem Begleitschutz.
Die Zufahrt zur Murbrücke in Juden-
burg, der Übergabestelle an der Demarka-
tionslinie zwischen sowjetischer und briti-
scher Besatzungszone, war mit britischen
Panzerwagen und Maschinengewehren
umstellt. Die Lastwagen fuhren langsam
auf die Brücke zu. Dann machte der ganze
Konvoi auf einer Straßenseite Halt.
Langsam fuhr ein Fahrzeug nach dem an-
deren über die Brücke, lud die Insassen auf
der sowjetischen Seite aus und kehrte dann
zurück.
Am 30. Mai 1945
lieferten die Briten weitere 83 Offiziere,
die zurückgelassenen Wachoffiziere und
Nachzügler aus.
Am 31. Mai 1945
Um 10 Uhr vormittags verließen 1.737
Personen (Kaukasier) unter Begleitung
eines britischen Offiziers und von 45 Sol-
daten Dellach in Richtung Judenburg.
1.414 folgten am nächsten Tag. Insgesamt
wurden 3.151 kaukasische Männer,
Frauen und Kinder in drei Eisenbahntrans-
porten nach Judenburg gebracht.
Am 31. Mai wurden außer den Kauka-
siern etwa 7.000 Kosaken aus dem
Pannwitzschen Kavallerie-Korps über-
geben.
Ursprünglich sollte die Übergabe der Ko-
saken aus dem Gebiet von Lienz am 31.
Mai beginnen. Aber auf Verlangen der so-
wjetischen Behörden wurde ein Tag Auf-
schub eingelegt, denn die Russen hatten mit
den übrigen 8.500 alle Hände voll zu tun.
Am 31. Mai unterbrachen die Engländer
die Wasserzufuhr zu den Baracken in der
Peggetz. Um 6 Uhr abends wurde den
Kosaken gesagt, sie sollten sich reisefertig
machen.
Am 1. Juni 1945
Am Morgen des 1. Juni 1945, im Lager
Peggetz, um 6 Uhr, trugen die Popen (etwa
15 bis 20 Männer der Kirche in ihren bunt-
schillernden Gewändern) Ikonen an den
improvisierten Altar auf einer erhöhten
Plattform. VASILIJ GRIGORIEV, der
höchste Geistliche, begann die Liturgie zu
singen, und die versammelten Kosaken
(nach Davies etwa 4.000) nahmen den Ge-
sang auf.
Gegen 7 Uhr trafen Major Davies und
Oberst Malcolm ein. Sie ließen eine Kom-
panie, die in Lastwagen mitgekommen
war, Aufstellung nehmen an der zaunlosen
Seite des Platzes. Als die verlängerte Frist,
um den Gottesdienst zu beenden, ver-
strichen war, befahl Oberst Malcolm, ge-
waltsam gegen die Menschen, die passiven
Widerstand leisteten, vorzugehen. Die
Menschen mussten auf die Lastwagen ge-
bracht werden, da der Zug, in den sie ver-
laden werden sollten, einige hundert Meter
entfernt stand. Mit Gewehren und Holz-
knüppeln gingen die britischen Soldaten
auf die Kosaken los. Die Menge geriet in
Panik. Die Brücke an der Südseite des La-
gers wurde zum Fluchtweg. Bevor die
Engländer sie wirksam absperren konnten,
waren schon einige Kosaken darüber ent-
kommen. Ein Teil der britischen Soldaten,
welcher dort stand, verweigerte den Befehl
und ließ sie entwischen. Manche Kosaken
brachten sich um, indem sie in die reißen-
den Fluten der Drau sprangen. Frauen ris-
sen ihre Kinder mit in den Tod.
In Lienz verluden die Briten bis 11.30
Uhr 1.252 Personen, vorgesehen gewesen
waren 1.750. Im Drautal insgesamt wurden
an diesem Tag 6.500 Kosaken verladen.
Der Pfarrer von Dölsach ließ an diesem
Tage die Kirchenglocken läuten und hisste
auf dem Kirchturm eine schwarze Fahne.
Am Abend glich die Peggetz einem
Schlachtfeld. Menschen suchten nach
ihren Verwandten, am Boden lagen Tote
und Verletzte. Pferde irrten herrenlos
O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
70. Jahrgang – Nummer 6