Seite 4 - VP_2012_09

Basic HTML-Version

Frau Gartner, wie kamen Sie
auf dieses abgründige Thema?
Gartner:
„Ich habe an der
Uni Innsbruck (bei einem Essen
in der Mensa) vom letzten Hin-
gerichteten in Brixen gehört und
darüber, dass der Henker ständig
mit seiner Frau gestritten hat.
Ich war derart überrascht darü-
ber, dass die Henker verheiratet
waren, dass ich begann über
Henker zu lesen. Ich fand die
Interview: Martina Holzer
Thematik dann so faszinierend,
dass ich etwas darüber schreiben
wollte. Allerdings nicht in Form
eines Artikels, sondern als Buch.
Ich verfasste es ohne einen Ver-
lag zu haben, wohlwissend, dass
es unter Umständen schwierig
sein würde, überhaupt einen Ver-
lag zu finden. Ich habe es aber
trotzdem gemacht, weil es mir
ein Anliegen war.“
Was ist für Sie besonders
spannend an dem Thema?
Gartner:
„Vor allem die Dop-
pelmoral der Gesellschaft: Der
Henker war notwendig, damit
die Ordnung funktioniert,
gleichzeitig wurde er ausgesto-
ßen. Niemand durfte ihn berüh-
ren, ohne selbst unrein zu wer-
den. Da der Henker aber auch
ein guter Chiropraktiker war – er
musste nicht nur foltern, sondern
die Gefolterten anschließend
auch verarzten –, schlichen die
Leute nachts zu ihm, um sich
von ihm behandeln zu lassen,
vor allem bei Knochenbrüchen.
Ich habe dem Henker im Buch
bewusst einen Namen gegeben,
weil ich glaube, dass ein Henker
oder bestimmte Aspekte eines
Henkers in allen Menschen ste-
cken. Ich wollte ihn nicht stig-
matisieren, ihn als ‚den einen
Menschen’ hinstellen.“
Sie haben für das Buch
auch mehrere Wälzer Medi-
zingeschichte gelesen.
Mittlerweile habe ich auch
einen Erzählband über Südtirol
geschrieben und sitze gerade an
einer wahren Kriminalge-
schichte aus Ungarn. In jeder
freien Minute bin ich dabei. Das
ist für mich Erholung und Ent-
spannung wie für andere in der
Sonne liegen oder fernsehen.“
Sie sind auch alleinerzie-
hende Mutter.
Gartner:
„Ja. Ich habe eine
Tochter. Lea ist zwei Jahre alt.
Die Beziehung zu ihrem Vater
war von Anfang an schwierig
und ging während der Schwan-
gerschaft endgültig in die Brü-
che. Die erste Zeit mit Lea war
für mich ein Überlebenstraining
der besonderen Art. Ich sage
gern, als alleinerziehende Mutter
hat man sich zum Überlebens-
training für Fortgeschrittene an-
meldet, ohne überhaupt den
Grundkurs gemacht zu haben.
Ein Kind ist sicher die sinn-
vollste Aufgabe im Leben eines
Menschen, aber es ist auch die,
die einen sehr herausfordert.
Momentan helfen mir mein Vater
und meine Mutter sehr. Meine
Eltern leben getrennt. Ich habe
einen drei Jahre älteren Bruder,
der in einer Oberschule in Brun-
eck Mathematik unterrichtet.
Mein Vater war Oberschuldirek-
tor, meine Mutter Sekretärin.“
Leben Sie jetzt mit Lea fix in
Bruneck?
Gartner:
„Ja. Das fand ich
sehr interessant! Zu sehen, dass
jede Zeit dachte, die Welt, den
Körper verstanden zu haben und
künftige Generationen doch
immer wieder Neues ergänzt
bzw. viel Altes korrigiert haben.
Der modernen Medizin wird es
ähnlich gehen. Das ist das Inte-
ressante am Menschen, dass es
noch so viel zu begreifen gibt,
was wir nicht verstehen.“
Mittlerweile ist das Buch im
emons Verlag erschienen und
die Freude sehr groß.
Gartner:
„Ich schreibe Bü-
cher wirklich von Herzen gern.
Bettina Gartner (34) aus
Bruneck entdeckte ihre
große Leidenschaft im
Bücherschreiben. Die
freie Autorin – vor allem
für „bild der wissen-
schaft“ – brachte nun
ihren ersten Roman im
emons Verlag auf den
Markt: „Wie der Tod
das Lieben lernte“, eine
Geschichte über einen
Scharfrichter und über
Veränderung.
INTERVIEW
PUSTERTALER VOLLTREFFER
SEPTEMBER/OKTOBER 2012
4
Bettina Gartner mit ihrem Töchterchen Lea.
Gartner (hier bei der Euro-
science-Preisverleihung) wurde
bereits für ihre Texte ausge-
zeichnet.
Steckbrief:
Name:
Bettina Gartner
Alter:
34
aufgewachsen und wohn-
haft:
in Bruneck
Kind:
Tochter Lea (2)
Ausbildung:
Sprachengym-
nasium in Bruneck, Dokto-
ratsstudium an der Universi-
tät Salzburg, Fachbereich:
Geschichte sowie Magister-
studium an der Universität
Salzburg, Fachbereiche: Ge-
schichte und Kommunikati-
onswissenschaft, Erasmus-
Semester an der Universität
Verona (Zusatzprüfungen in
den Bereichen Soziologie und
Psychologie)
Bettina Gartner (34) aus
Bruneck ist leidenschaftliche
Journalistin und ging auch
unter die Schriftsteller.
„Der Henker war auch ein guter Chiro