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Nummer 6 – 70. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r
der Todesstrafe abgesehen werden.“
Die
Strafe sei in 22 Jahre Zuchthaus mit Front-
bewährung umgewandelt worden.
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Bis Ende Juli sitzen die beiden Brüder im
Gefängnis in Klagenfurt. Wiederholt wird
David Holzer Zeuge von Folter und Miss-
handlungen.
Im zweiten Stock war die
GESTAPO, da war auch das Verhör-
zimmer. Man hat Schreie gehört von Ge-
fangenen, von denen sie Geständnisse
herauszwingen wollten. Die haben ge-
schrieen und selbst ist man dann in so eine
Verfassung gekommen, da hätte ich alles
niedergeschossen rundherum, wenn die
Gelegenheit gewesen wäre, so ein Wider-
standswillen ist in einem heraufgewachsen.
Anfang August werden David und Alois
Holzer in Ketten gelegt und mit dem Zug
nach Wien transportiert. In Wien sehen sie
einen Judentransport.
Die haben die Juden
so miserabel behandelt, das war so
scheußlich, das hat man nicht ausgehalten.
David Holzer verliert seine Stimme, das
Sprechen kommt ihm abhanden und er
blickt uns an.
Wisst ihr wohl?
fragt er und
blickt uns an mit zusammengekniffenen
Augen. Was er gesehen hat, fällt ihm
schwer in Worte zu fassen. Wie später,
wenn er vom Leiden und der Ohnmacht im
Militärstraflager sprechen will, hat man den
Eindruck, das Geschehene erscheine ihm so
unfassbar, dass es den Zuhörern erst recht
schwer fallen müsse, seinen Worten zu
glauben. Ich habe den Eindruck, dass er mit
der Vergeblichkeit des Erzählens und Er-
innerns hadert.
Börgermoor, habt ihr eine
Ahnung davon?
Ja, erwidert mein Kollege,
das ist im Emsland. David Holzer schaut
verwundert auf und sein Gesicht hellt sich
auf.
Da schau her, der weiß das.
In Fern-
sehdokumentationen über den National-
sozialismus sei nie über
Börgermoor
be-
richtet worden, sagt David Holzer.
Er erzählt weiter. Nach einem elftägigen
Transport über Prag erreicht der Häft-
lingstransport seinen Zielbahnhof an der
Grenze zwischen Deutschland und den
Niederlanden. Die Nationalsozialisten
haben in der unwegsamen Moorregion dort
schon im Jahre 1933 begonnen, ein ganzes
Lagersystem einzurichten.
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Die Häftlinge
nannten es „die Hölle im Moor“.
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David
Holzer wird in das Lager I Börgermoor ge-
zwungen, Alois ins Lager II Aschaffen-
dorfermoor.
Ich erzähle Euch den ersten
Tag im Lager, so wie ich es mitgemacht
habe. Wir sind angekommen und haben
gleich einmal eine eiskalte Dusche bekom-
men, das war ein Schock. Dann beim Ba-
rackeneingang hat der Barackenälteste,
das war ein Sträfling, bereits mit einem
Brett gewartet und da hat man mit dem
Brett eines aufs Kreuz bekommen.
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Mit
einer weiteren „Spezialität“ des Lagers
macht David Holzer gleich danach Be-
kanntschaft. Der Bettenbau ist den Aufse-
hern beliebter Anlass für willkürliche De-
mütigungen der Gefangenen.
Man musste
Betten machen, der Strohsack musste eine
scharfe Kante haben, wie ein Diwan. Das
hat keiner geschafft. Da habe ich mir ge-
dacht, dir werde ich es zeigen. Sobald er
weg gewesen ist, habe ich aus dem Bett
zwei Bretter heraus getan unter dem Stroh-
sack und die Bretter auf der Seite aufge-
stellt und dann mit Stroh überdeckt und die
Decke drübergezogen.
David Holzer
lacht, seine Augen blitzen.
Der Baracken-
älteste hat es nicht kapiert! Er fragte: Wem
gehört das Bett? Das gehört mir. Genau so
müssen alle sein! Ich habe dann meine
Ruhe gehabt, soweit. Sobald er ver-
schwunden ist, habe ich die Bretter wieder
heraus getan. Da habe ich sie schon ein-
mal übertrickst.
David Holzer erhielt in der
Folge die Aufsicht über den Bettenbau.
Dabei konnte er vielen anderen Häftlingen
helfen.
Ich habe vielen geholfen, das ist
heute für mich direkt …, das freut mich. Da
waren viele dabei, die haben keine Decke
zusammen legen können, geschweige
denn ein Bett machen. Ich habe immer ge-
sagt, geh nur, das mache schon ich.
Neben der äußerst harten, täglich min-
destens zwölf Stunden langen Arbeit beim
Torfstechen litten die Häftlinge an Hunger,
der willkürlichen Brutalität und den grau-
samen Schikanen des Wachpersonals der
Waffen-SS und der Funktionshäftlinge.
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Die Zustände zehrten die Körper der Ge-
fangenen aus, die meisten starben dann an
Krankheiten, mangelhafter sanitärer Be-
treuung und Misshandlungen.
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David Holzer erzählt von einem Todes-
fall, der typisch für den Terror in den Ems-
landlagern ist.
In der Nacht haben sie
plötzlich einen herausgerissen. Man hat
nicht gewusst warum, keiner hat gewusst
warum. Das waren auch Sträflinge, die
sind so trainiert worden, die haben sich
müssen auf diese Art bewähren, damit sie
nachher wieder rauskommen, das waren
die Schlimmsten. Sie haben den Häftling
herausgeholt. Einer hat ihn am Kopf zwi-
schen die Füße geklemmt und die anderen
haben ihn mit ledernen Riemen auf den
Hintern geschlagen. Der hat sich nicht
rühren können und hat geweint. Ich habe
nur Grausen empfunden, das war in der
ersten Nacht. Man hat nur daran gedacht,
dass man auch einmal drankommen
kann. Sie haben ihm den Hintern total zer-
schlagen, alles ist angeschwollen und er
konnte nicht mehr auf den Abort gehen. Er
hat ein paar Tage gelitten, dann ist er ge-
storben. Und das war mehr oder weniger
Tagesordnung. Glaubhaft ist das nicht,
aber es war so.
Viel Glück, seine ursprünglich gute kör-
perliche Verfassung und eine gewisse
Härte hätten ihn überleben lassen, meint
er. Im November 1944 werden die Brüder
Holzer mit ungefähr 30 anderen Häftlin-
gen aussortiert und in das Wehrmachts-
gefängnis Torgau-Fort Zinna in Ost-
deutschland transportiert. Dort wurden sie
einer militärischen Ausbildung unterzo-
gen. Schließlich werden die Brüder dem
Bewährungsbataillon 500 zugeteilt. Auf
dem Weg an die Front gibt es eine
Zwischenstation in Olmütz. Dort wird
David Holzer Zeuge bei Exekutionen von
Deserteuren.
Wir haben zuschauen müs-
sen, als abschreckendes Beispiel. Der
Deserteur ist an einer Säule angebunden
worden. Da seitlich sind wir gestanden,
David Holzer zeichnet mit dem Finger auf
den Tisch die Szene nach,
und da ist das
Schusskommando gestanden. Der Deser-
teur hat noch einmal reden wollen. Was
das für geistesgegenwärtige Männer ge-
wesen sind! Die haben genau gewusst,
jetzt knallt es, aber die haben den Hitler
noch einmal zur Sau gemacht. Danach
war man schon einmal psychisch ruiniert.
Das Bewährungsbataillon kämpfte an
der Ostfront gegen die Rote Armee. Um
den Unterschied zu den vorangegangenen
Monaten zu verdeutlichen, zieht David
Holzer einen Vergleich.
Im Verhältnis zum
Lager ist man dort noch ein Mensch ge-
wesen. Man war zwar in einem Himmel-
fahrtskommando, aber Mensch warst du
noch. Im Lager warst Du kein Mensch.
Diese Aussage erinnert eklatant an den Be-
richt des bekannten italienischen Schrift-
stellers Primo Levi über das Jahr, das er in
Auschwitz verbrachte. Primo Levi fragt
schon im Titel seines Berichtes:
Ist das ein
Mensch?
Er gibt folgende Antwort:
Mensch ist wer tötet, Mensch ist, wer Un-
recht zufügt oder leidet; kein Mensch ist,
wer darauf wartet, dass sein Nachbar end-
lich stirbt, damit er ihm ein Viertel Brot
abnehmen kann. Das Menschsein ist ver-
Franz Stolzlechner wurde zum Tode verurteilt und am Militärschießplatz in Wien-
Kagran hingerichtet. Zu Allerheiligen fand an der ehemaligen Hinrichtungsstätte erst-
mals eine Gedenkveranstaltung statt.
Fotos: Peter Pirker/Hannes Metzler