Seite 8 - H_2004_02

Basic HTML-Version

des 6./7. Jahrhunderts und eine Ansfreda
fürs beginnende 9. Jahrhundert im Pariser
Raum.
17
Der Frauenname war also im Frän-
kischen Reich bekannt. Ansfreda dürfte eine
fromme Jungfrau gewesen sein, die in
einem bestimmten Gebiet (Nordfrank-
reich?) verehrt wurde, ohne dass die Kirche
ihren Kult approbiert hätte. Das Volk schuf
sich im Mittelalter seine eigenen Seligen
und Heiligen (zwischen 1215 und 1334 an
die 500) und verehrte sie ohne kirchliche
Billigung,
18
wobei es zu den merkwürdigs-
ten Erscheinungen kam.
Im Gebiet der Gemeinde Sandrans bei
Lyon erschlug ein Edelmann irrtümlich sei-
nen Windhund, der sein Kind vor einer
Schlange gerettet hatte. Die nahen Bauern
und Bäuerinnen verehrten die Stätte, wo der
treue Hund begraben lag, und gaben ihm
bald den Namen des Märtyrers Guinefort,
der zu Zeiten der Kaiser Diokletian und Ma-
ximian gelebt haben soll. Vom 13. bis zum
19. Jahrhundert war die Gedenkstätte des
Windhundes eine Wallfahrt zur Heilung
kranker und schwächlicher Kinder.
19
Um
ähnliche abstruse Kulte und überhaupt die
Eigenmächtigkeit des Volkes, nach Belieben
neue Heilige zu kreieren, zu unterbinden,
schuf die Kirche 1631 die Seligsprechung,
für die zwei oder drei Wunder nachzuweisen
sind, als Vorstufe zur Kanonisierung.
20
Von besonderem Interesse ist im Weihe-
bericht die Erwähnung eines Seitenaltars zu
Ehren des heiligen Oswald. Oswald,
König von Northumbrien, der die Grün-
dung des berühmten Klosters Lindisfarne
ermöglichte, fiel 642 in einer Schlacht
gegen den heidnischen König Penda von
Mercien. Angelsächsische Missionare
verbreiteten seit dem 7. Jahrhundert seinen
Kult auf dem Kontinent, der vor allem im
11. Jahrhundert in Flandern aufblühte.
21
Seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhun-
derts wurde St. Oswald auch in Tirol ver-
ehrt, nachdrücklich gefördert von den
Welfen. Als erstes Tiroler Gotteshaus mit
seinem Patronat wird zu 1234 die Kirche zu
St. Oswald unterhalb Kastelruth erwähnt.
Unter Einfluss der Erzdiözese Salzburg
drang der Oswaldkult auch in den Brixner
Raum vor. Im Osttiroler Pustertal gilt die
1360 geweihte Kirche zu St. Oswald (Gde.
Kartitsch) als die „älteste des Kartitscher
Tales und des ganzen oberen Gailtales über-
haupt“. Ein Einfluss Salzburgs auf den Os-
waldkult in Osttirol sei nicht anzunehmen.
An diesen Feststellungen von Masser und
Siller
22
sind aufgrund der Weihenotiz
kleine Korrekturen anzubringen. Zwar
wurde 1204 nur ein Altar zu Ehren St. Os-
walds in Lienz geweiht, aber dieses Ereig-
nis liegt immerhin 30 Jahre vor der Erst-
erwähnung einer Oswaldkirche in Tirol und
ist zudem der früheste Nachweis einer Ver-
ehrung des angelsächsischen Königs in
Osttirol. Nicht erst eine ganze Kirche, son-
dern schon ein Altar darf als Zeichen für
einen einsetzenden Kult gelten. Wenn man
bedenkt, dass um 1200 der Erzbischof von
Salzburg dem Patriarchen von Aquileia
bereits die Lienzer Pfarrkirche entwunden
hatte oder im Begriff war, sie ihm zu ent-
fremden, wird man sehr wohl, wie für den
Brixner Raum, einen Einfluss Salzburgs
auf die Oswaldverehrung in Osttirol ins
Auge fassen müssen.
O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
72. Jahrgang – Nummer 2
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren
verantwortlich.
Autoren dieser Nummer: Stadtpfarrer Cons.
Edi Niederwieser, A-9900 Lienz, Pfarrwidum
St. Andrä, Pfarrgasse 4, – Ao. Univ.-Prof. Dr.
Robert Büchner, A-6020 Innsbruck, Tschigg-
freystraße 27, – Meinrad Pizzinini.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimat-
blätter“ sind einzusenden an die Redaktion
des „Osttiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad Piz-
zinini, A-6176 Völs, Albertistraße 2a.
Schmiedeeisernes romanisches Kreuz am
westlichen Giebel von St. Andrä; Auf-
nahme 30. September 1968.
Anmerkungen:
1 Pfarrarchiv Lienz, Urkunde Nr. XX, 1. Alle Abkür-
zungen, bis auf die der Zahlen, wurden aufgelöst, der
Gebrauch von u und v wurde normalisiert.
2 Josef Stadlhuber, Geschichte der Pfarre Lienz, Ostti-
roler Heimatblätter 20 (1952) Nr. 2 bietet eine kurze In-
haltsangabe samt Kommentar zur Weihenotiz. Indik-
tion (15-jähriger [Steuer-]Zyklus), Epakte (Mondalter
eines Jahres) und Konkurrenten (Bestimmung des Wo-
chentags) waren damals übliche Datierungshilfen. –
Magister Dyonisius begegnet 1287 als Pfarrer von St.
Andrä, wurde aber vor 1294 wegen eines Streits um die
Rechte des Pfarrers über die Lienzer Dominikanerinnen
abgesetzt (Stadlhuber, a.a.O.).
3 Vgl. zum Folgenden Arnold Angenendt, Heilige und
Reliquien, München 1994, bes. 149-166; ders., Reli-
quien, Lexikon für Theologie und Kirche 8 (
2
1999)
1091-1094; Stephan Beissel, Die Verehrung der Heili-
gen und ihre Reliquien in Deutschland im Mittelalter, 2
Teile in 1 Bd., Nachdr. Darmstadt 1988, bes. I, 128-145
u. II, 132-133; Ronald C. Finucane, Miracles and Pil-
grims, London etc. 1977, bes. 25-38; Klaus Schreiner,
„Discrimen veri ac falsi“. Ansätze und Formen der Kri-
tik in der Heiligen- und Reliquienverehrung des Mittel-
alters, Archiv für Kulturgeschichte 48 (1966) 1-53.
4 Tiroler Landesarchiv Innsbruck, Stift Hall, Akten XVII
27a.
5 Zum Reliquienschwindel vgl. die Literatur zu Anmer-
kung 3, ferner Hermann Fillitz, Die Insignien und Klei-
nodien des Heiligen Römischen Reiches, Wien-Mün-
chen 1954, 54 ff. (Reliquien unter den Reichsklein-
odien) u. Jules Henocque, Histoire de l’abbaye et de la
ville de St-Riquier. 3 vols. (Mémoires de la société des
antiquaires de Picardie C 9-11). Amiens 1880-1888.
6 Schreiner, Discrimen, a.a.O.; Angenendt, Heilige, 162-
166 u. 233-235; Beissel, Verehrung, I, 129-134.
7 Ina Willi-Plein, Sacharja/Sacharjabuch, Theolog. Rea-
lenzyklopädie 29 (1998) 539-540 u. 543.
8 Karl der Große soll einen Bergkristall mit einge-
schlossenen Marienhaaren als Talisman getragen haben
(Angenendt, 158).
9 Bernt Schwineköper, Reliquien, Handwörterbuch zur
deutschen Rechtsgeschichte 4 (1990) 886 u. Ange-
nendt, Heilige, 214-217 (Jesusreliquien) u. 224-225
(Mariareliquien).
10 Angenendt, 215.
11 Schreiner, Discrimen, 37-38.
12 Bibliotheca hagiographica latina antiqua et mediae ae-
tatis (Subsidia hagiographica 12). Brüssel 1898-1911.
Novum Supplementum, hg. v. Henricus Fros (Subsidia
hagiographica 70). Brüssel 1986.
13 Bibliotheca Sanctorum. 12 Bde. und Index. Rom 1961-
1970. Die beiden umfangreichen Ergänzungsbände
(Prima appendice, Rom 1987 und Seconda appendice,
Rom 2000) konnten nicht eingesehen werden.
14 Wilfried Seibicke, Historisches Deutsches Vornamen-
buch, Bd.1: A-E, Berlin-New York 1996, 167-170 u.
Otto Wimmer/Hartmann Melzer, Lexikon der Namen
und Heiligen. Bearb. u. ergänzt von Josef Gelmi, Inns-
bruck-Wien
6
1988, 137-138.
15 Wimmer/Melzer, 137-138 u. Seibicke, 169.
16 Er war Benediktiner und von 995-1010 Bischof von
Utrecht, stand in Diensten der Kaiser Ottos III. und Hein-
richs II., dessen bevorzugter Ratgeber er wurde. 1010 ist
Ansfrid gestorben, sein Fest wird am 3. Mai begangen
(A. Bayol, Anfroi, Ansfrid ou Aufrid, Dictonnaire d’-
histoire et de géographie ecclésiastiques 3 [1924] 3).
17 Ernst Förstemann, Altdeutsches Namenbuch, 1. Bd.:
Personennamen, Bonn
2
1900, 125. Henning Kaufmann
erklärt im „Ergänzungsband“ zu Förstemanns Perso-
nennamen germ. *ans mit „(heidnischer) Gott“ (Mün-
chen-Hildesheim 1968, 35).
18 Angenendt, Heilige, 182.
19 Jean-Claude Schmitt, Der heilige Windhund. Die Ge-
schichte eines unheiligen Kults. Stuttgart 1982.
20 Angenendt, Heilige, 243.
21 David W. Rollason, (hl.) Oswald, Lexikon des Mittel-
alters 6 (1993) 1549-1550; Erhard Gorys, Lexikon der
Heiligen (dtv 32507), München 1997, 233; Achim
Masser/Max Siller, Der Kult des hl. Oswald in Tirol
und die „Hirschjagd“ der Burgkapelle von Hocheppan,
Der Schlern 57 (1983) 57.
22 Kult, S. 57-58 u. Anmerkung 78.
23 Rudolf Pesch, (hl. Apostel) Andreas, Lexikon für The-
ologie und Kirche 1 (
3
1993) 625-626; Erich Wimmer,
(Apostel) Andreas, Lexikon des Mittelalters 1 (1980)
600; Martin Lechner, (Apostel) Andreas, Lexikon der
christlichen Ikonographie 5 (1973) 138-152.
Alle Aufnahmen Meinrad Pizzinini
Abschließend noch ein Blick auf die An-
dreasreliquien. Der Apostel Andreas, ein
Fischer, Bruder des Simon Petrus, war zu-
erst ein Jünger Johannes‘ des Täufers,
wandte sich aber bald Jesus zu und wurde
einer seiner frühesten und engsten Ver-
trauten. Andreas soll südlich und östlich
des Schwarzen Meers, dann an der unteren
Donau und in Griechenland missioniert
haben, wo er zu Patras (Achaia) der Über-
lieferung nach am 30. November 60 den
Martertod am Kreuz erlitt.
Seine Gebeine wurden 357 in die Apos-
telkirche nach Konstantinopel übertragen.
Die Stadt ließ ihm besondere Verehrung
zuteil werden und feierte ihn in Rivalität
zu den römischen Apostelfürsten Petrus
und Paulus als Erstberufenen des Herrn.
Nach der Eroberung von Byzanz durch die
Lateiner, durch die abendländischen
Kreuzfahrer (1204) übertrug der Kardinal
Petrus von Capua, aus Amalfi gebürtig,
1208 die Gebeine des hl. Andreas in seine
Heimatstadt. Doch sind schon vorher
Reliquien des Apostels in z. B. Ravenna,
Mailand, Nola, Brescia, Trier (Sandale des
hl. Andreas) nachzuweisen. Die Transla-
tion des Andreas-Hauptes 1462 unter Pius
II. nach Rom gab der Verehrung des
Apostels neue Impulse. Papst Paul VI. gab
den Kopf 1964 an Patras zurück. Das an-
gebliche Andreaskreuz befindet sich seit
1250 in der Abtei St-Victor. Teile des
Kreuzes kamen 1438 in die Brüsseler
Palastkapelle der burgundischen Herzöge.
23
Wenn in der Weihenotiz von 1204 eine
Partikel vom Kreuz des Apostels Andreas
als Reliquie angeführt wird, so muss man
dagegen dieselben Bedenken erheben
wie gegen die angeblichen Splitter vom
Kreuz Christi. Die weiteren Heiltümer, die
in diesem Bericht genannt werden, sind
nicht auffällig und dürften im Laufe der
Zeit aus verschiedenen Gegenden zu-
sammengekommen sein.