Seite 8 - H_2007_03-04

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Alte sich um Unterarme, Brust und Ober-
arme Seile schnürten und schwere Steine,
Säulen und Karren zogen, „dass selbst
Frauen von edler Geburt ihre stolzen
Häupter gebeugt und gleich Zugtieren sich
an Karren gespannt haben, um Wein, Ge-
treide, Öl, Kalk, Steine, Holz den Werk-
leuten einer Kirche zuzuführen“.
Wer da glaubt, das sei einmaliger religiö-
ser Überschwang des Hochmittelalters ge-
wesen, irrt sich. Als im 15. Jahrhundert die
Stiftskirche zu Xanten durch einen goti-
schen Neubau ersetzt wurde, fanden sich
viele Einwohner der Stadt, besonders die
Stiftsschüler, zu kostenloser Hilfe bereit. Sie
entluden die Frachtwagen im Kirchenbezirk
und die Schiffe am Rhein, die Steine aus
dem 100 km entfernten Steinbruch transpor-
tierten. Es ist durchaus möglich, dass eine
ähnlich unentgeltliche Hilfe für St. Johan-
nes von den Lienzern geleistet wurde, ohne
dass sie aktenkundig geworden ist.
Der Graf von Görz, der St. Johannes
seine Steinbrüche zu Ainet und Tristach,
den Kalksteinbruch, wohl zu Leisach, und
seinen Wald zum Holzeinschlag kostenlos
zur Verfügung stellte, überließ einige Male
umsonst seine Knechte samt Gespannen
und Wagen für Fuhren. Das taten auch
einige Lienzer, weshalb die Transporte
unter den Kosten nur moderate 17 bis 18
Mark ausmachten. Im Rechnungsbuch
fehlen ferner die Ausgaben für Glas und
das Einsetzen der Fenster, die sich fast nur
auf der Südseite der Kirche befanden.
Einträge zu verschiedenen Jahren lassen
vermuten, dass die Handwerker und Hilfs-
arbeiter, auch die Steinbrecher zu Ainet und
Tristach, von der einheimischen Bevölke-
rung auf deren Kosten gespeist wurden, wie
oft, lässt sich nicht sagen. Wenn die Wirte
den Zechmeistern pro Mahl für die Bauleute
nur einen Groschen (Kreuzer) verrechneten,
dann setzten sie bei einem solchen Preis zu,
mochte es sich auch nur um Brot, Wein,
Käse, vielleicht auch Speck handeln oder,
bei einer warmen Mahlzeit, um Brei, mit
oder ohne Beigaben. Schon eine Morgen-
suppe kostete z. B. um 1550 in Rattenberg
sechs Kreuzer, ein Maß Wein drei Kreuzer.
Die Baumeister erhielten in der Regel
ein eher kleineres Grundgehalt, eine
Jahresprovision, daneben einen Wochen-
oder Tageslohn, wenn sie tatsächlich auf
der Baustelle tätig waren. Berühmte
Meister wurden zusätzlich mit Prämien,
Stiefeln, Handschuhen, Kleidung oder Le-
bensmitteln geehrt. Das Jahresgehalt hing
vom Ansehen des Architekten ab. Die
Baumeister der St. Sebald- und der St. Lo-
renzkirche in Nürnberg hatten im 15. Jahr-
hundert durchschnittlich 40 Gulden Jah-
reseinkommen, Meister Heinzelmann von
1445 bis 1449 gar 88 Gulden und weitere
acht Gulden Hauszins jährlich.
Damit konnte Hans Hueber nicht kon-
kurrieren. Er bekam von den Zechmeistern
zu St. Johannes zwei Mark (= vier Gulden)
Jahresprovision, zusätzlich wurden ihm die
Aufenthaltskosten erstattet, wenn er wie
1485 und 1490 in Lienz war. Nach dem
Rechnungsbuch hat er nur 1468 und 1469
die volle, 1475 die halbe Provision erhal-
ten, 1467 ein Handgeld von einem Gulden
und 1490 noch einmal einen Gulden. Da
Hueber bis zur Beendigung der Arbeiten
für den Bau zuständig war – 1484, 1485
und 1490 ritten die Poliere bzw. der Zech-
meister Zischg zu ihm nach Sigmundskron
und Kaltern, um Bauzeichnungen und An-
weisungen zu holen –, ist anzunehmen,
dass ihm das Grundgehalt bis zum Schluss
zustand. Da bleibt die Frage, wer es ihm
sonst gezahlt hat, vermögende Bürger, der
Graf von Görz? Hueber wird wohl nicht
darauf verzichtet haben.
Fasst man alle unentgeltlichen Leistun-
gen und alle Ausgaben, die nicht ihren Weg
ins Rechnungsbuch gefunden haben, zu-
sammen, dann ist es wahrscheinlich, dass
der Bau von St. Johannes nicht nur 380,
sondern mindestens 450 bis 500 Mark, also
900 bis 1.000 Gulden gekostet hat. Damit
war die Errichtung des neuen Gotteshauses
immer noch vergleichsweise billig, auch
wenn man berücksichtigt, dass der alte
Turm und vermutlich auch Teile der Nord-
wand übernommen werden konnten. So
beliefen sich die Baukosten für die Wasser-
kirche auf der Limmatbrücke in Zürich auf
6.000 Gulden, wozu noch später der Helm
mit 1.500 Gulden kam. Gemessen an höfi-
schen Ausgaben war auch das nicht über-
mäßig hoch. Als König Maximilian 1494
mit seiner jungen Gemahlin Bianca Maria
in die Niederlande reiste, kaufte er ihr
soeben einmal in Füssen Kleinodien um
3.000 Gulden, also um so viel wie die
halbe Wasserkirche (ohne Helm). 1505 er-
warb der Monarch für 10.000 Gulden zwei
Diamanten. 900 bis 1.000 Gulden, das war
nicht mehr als das Jahresbudget einer klei-
nen Stadt wie Rattenberg zu Beginn des
16. Jahrhunderts.
Den Betrachtern der St. Johanneskirche
bot sich 1491 kein hoch aufragender goti-
scher Prachtbau dar, sondern eher eine
schlichte Filialkirche, klein, aber fein und
mein werden alle jene Gläubigen gesagt
haben, die irgendwie zum gelungenen Werk
beigetragen hatten und die sich augen-
scheinlich in St. Johannes wohler fühlten
als in der größeren Pfarrkirche St. Andrä.
* Kurzfassung (mit kleinen Zusätzen) aus meinem Buch:
Bauen zum Lobe Gottes und zum Heil der Seele. Der Neu-
bau der St. Johanneskirche zu Lienz im 15. Jahrhundert
(mit einer Edition des Rechnungsbuches 1467-1491). Mit
einem historischen Abriss von Meinrad Pizzinini (Medium
Aevum Quotidianum. Sonderband. 17). Krems 2006.
OSTTIROLER
NUMMER 3-4/2007
8
HEIMATBLÄTTER
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzi-
nini. Für den Inhalt der Beiträge sind die
Autoren verantwortlich.
Anschrift der Autoren dieser Nummer:
Ao. Univ.-Prof. Dr. Robert Büchner, A-6020
Innsbruck, Tschiggfreystraße 27 – Meinrad
Pizzinini.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimat-
blätter“ sind einzusenden an die Redaktion
des „Osttiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad
Pizzinini, A-6176 Völs, Albertistraße 2 a.
Stangengerüst mit Laufschräge, Galgenkran mit zwei Rollen
und Haspel.
Steinmetzen bei der Arbeit auf dem Werkplatz; Galgenkran
mit Haspel und Steinzange.