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Friedensschluss 1809“ (1902; Belvedere
Wien als Leihgabe im Museum Schloss
Bruck) mit den plastischen Körpern der
Bauern im „Totentanz“ vergleicht. Beide
Male ist es das Fortschreiten, einmal in
Richtung Heimat, also Rückkehr, das an-
dere Mal in Richtung Tod, aus dessen Reich
es keine Wiederkehr gibt. Wehmütig blickt
im
Totentanz
der junge Bauer als Letzter in
der Reihe zurück in sein ehemaliges Leben,
doch er wird von den anderen in eine unbe-
stimmte Zukunft, nein, in die Bestimmtheit
des Todes mitgezogen.
Im Kreis des Spätwerks von Egger-
Lienz stehen die beiden Gedankenbilder
Die Blinden
(1919; Museum Schloss
Bruck) und die
Lachende Bäuerin
(1918/19; Privatbesitz), eine Studie zu den
„Generationen“ (1919; Privatbesitz), dann
folgt das zentrale Werk der Ausstellung:
die
Kriegsfrauen
(1918/22; Museum
Schloss Bruck).
Die Blinden
zeugen von
der Tragik des Krieges, vom Schicksal der
in Mitleidenschaft gezogenen Männer, die
jeweils auf den anderen vertrauen, ja ver-
trauen müssen, um im Leben wenigstens
weiter dahin vegetieren zu können, doch
sie sind durch ihre verschlossenen Augen
orientierungslos, ohne Zukunft, wohl auch
ohne Hoffnung. Hier möchte man einen
Blick auf das malerische Werk von Henk
Chabot lenken, der in seinem Gemälde
„Flucht über das Stoppelfeld“ (1943) viel-
leicht auch den Nachhall von Kriegswirren
im Sinn hatte, wie er die beiden im Gleich-
klang schreitenden Männer, Bauern, am
Betrachter vorbeiziehen lässt. Die Mah-
nung an die Nöte der Zeit wird aktuell an-
gesprochen. Ulrich Krempel notiert im
Katalog „Henk Chabot. Ein Expressionist
aus Holland, 1894 bis 1949“ der Ausstel-
lung im Sprengel Museum Hannover
2009: „Wenn wir uns die ,Flucht durch das
Stoppelfeld‘ von 1943 anschauen, treten
wir fast aus der Zeit; Bilder von menschli-
cher höchster Not, von Bedrohung gewin-
nen eine überzeitliche Bedeutung, gerade
weil sie auf jede detaillierte Beschreibung
verzichten.“ Das Aus-der-Zeit-Treten, also
die Tendenz zumAllgemeingültigen, liegt
beiden Werken zu Grunde. Man ist der
Wahrhaftigkeit nahe und spürt die Grund-
tendenz der späten „Gedankenbilder“ bei
Albin Egger-Lienz, wie Heinrich Hammer
diese Werkgruppe in seiner Egger-Lienz-
Monografie 1930 nannte.
Da wirkt die
Lachende
Bäuerin
fast als Trost des
Lebens: eigentlich selt-
sam im Werk von Egger-
Lienz, in dem kaum Mo-
tive mit Frohmut existie-
ren. Vielleicht ist auch
keine Fröhlichkeit gemeint,
die aus dem Antlitz der
Bäuerin tritt. Vielleicht ist
es ein letztes Verzweifeln ob
der Trostlosigkeit im Rei-
gen der Familienmitglieder,
denen das Motiv der „Gene-
rationen“ gewidmet ist.
Schließlich wird Begeg-
nung mit dem Gemälde der
Kriegsfrauen
, das im „piano
nobile“ des Chabot Muse-
ums die Meisterschaft von
Egger-Lienz exemplarisch
vor Augen führt, zu einem
beeindruckenden Erlebnis:
Eine Anklage gegen den
Krieg, die Isolation der
Frauen, das Eingebunden-
sein in das ausweglose
Schicksal, die innere Verarmung an Kom-
munikation, also das stille Innehalten
ohne Kontakt zu den anderen Frauen; fern
die Männer und Söhne,
die im Feld geblieben
sind und nicht mehr das
Geschehen in der Familie
begleiten, geschweige lei-
ten können. Dieses Ge-
mälde zählt wohl zu den
ernsthaften Botschaften
Eggers an die Nachwelt.
Und mit welch sensiblem Ge-
schick hat hier die Direktorin
des Chabot Museums agiert,
in dem sie zwei Skulpturen in
Holz des niederländischen Bild-
hauers und Malers Henk Chabot
dem Gemälde zur Seite stellt, in
Demut an die Seite der Kriegs-
frauen, aber mit voller Ab-
sicht: Links der Bauer aus
dem Jahre 1934, rechts
der weibliche Akt von
1933. In diesen Holzskulp-
turen Chabots werden
ebenso wie in den
Kriegs-
frauen
die Tragik des Da-
seins und die herben Ent-
täuschungen des Lebens
spürbar. Auch Chabot ist
ein eindringlicher Schilderer der menschli-
chen Schicksale. In der expressiven Kom-
paktheit des Volumens überzeichnet er die
Realität der Figuration. Seine sprachlosen
Gesichter nehmen wie selbstverständlich
Bezug auf die introvertierten Gesichter der
Kriegsfrauen. Auch die fast kubistisch an-
gehauchte Formung ist beiden Menschen-
typen ähnlich. In der Malerei versucht
Chabot mit expressiver Farbigkeit auf die-
sen Lebenskreis aufmerksam zu machen,
lautstark und nicht verhalten wie Egger-
Lienz, aber im Gleichklang mit dessen
Intentionen.
So gewinnt dieses Zusammentreffen von
Albin Egger-Lienz und Henk Chabot eine
neue Dimension in der Wahrnehmung der
Werke beider Künstler. Es wäre reizvoll,
diese Positionen auch den später entstande-
nen malerisch expressiven Menschenmoti-
ven von Werner Berg in Kärnten und Werner
Scholz in Tirol gegenüber zu setzen. Ihnen
allen ist nämlich die Tragödie des menschli-
chen Daseins ein zentrales Anliegen. Doch
das wäre ein anderes Ausstellungsthema.
Die kursiv gesetzten Werke von Egger-Lienz sind in
der Ausstellung im Chabot Museum in Rotterdam
ausgestellt.
OSTTIROLER
NUMMER 1-2/2010
8
HEIMATBLÄTTER
Henk Chabot, Flucht durch das Stoppelfeld,
1943; Chabot Museum, Rotterdam.
Albin Egger-Lienz, Kriegsfrauen, 1918/22; Museum Schloss
Bruck, Lienz.
Ausstellungsraum mit Henk Chabots Bauer, 1934, und Albin
Egger-Lienz‘ Kriegsfrauen, 1918/22. Foto: Gert Ammann
Henk Chabot, Bauernkopf, 1943;
Privatbesitz.