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OSTTIROLER
NUMMER 1-2/2010
6
HEIMATBLÄTTER
Albin Egger-Lienz, Die Familie oder der Bauer, 1925/26;
Museum Schloss Bruck, Lienz.
Albin Egger-Lienz, Vorfrühling, 1917; Museum Schloss Bruck, Lienz.
renden Bewegung im „Kreuz“ ein diago-
nales Kompositionsschema, das noch
mehr Bewegung und Dynamik vermittelte.
Dieses Diagonalkonzept legte er dann sei-
nen großformatigen „Antikriegsmotiven“
wie „Den Namenlosen 1914“ (1914;
Heeresgeschichtliches Museum Wien)
oder „Nordfrankreich“ (1917, Privatbesitz)
zu Grunde. Für sein Formengut war sicher-
lich die Begegnung mit den Werken des
französischen Bildhauers Auguste Rodin
und vor allem des belgischen Bildhauers
Constantin Meunier ausschlaggebend.
Diese Erfahrung spürt man in der Figur
des Jungen im Gemälde
Vorfrühling
(1917; Museum Schloss Bruck), dessen
Kopfbildung ganz dem „Puddler“ von
Meunier entspricht. Im landschaftlichen
Prospekt mit der vom Rauchkofel herab
donnernden Lawine zog Egger-Lienz den
Landschaftshorizont hoch ins Bildfeld
hinauf, doch diesmal schob er auch jene
Szene in den Vordergrund, welche symbo-
lisch das Leben verdeutlicht: Den Hausbau
als Grundlage für das Dasein, für das Wer-
den schlechthin. Die arbeitenden Men-
schen sind ähnlich den Halbfigurenmoti-
ven im Gemälde „Das Leben“ (1912; Bel-
vedere Wien) komponiert. Auch der
blühende Baum weist auf den Frühling
und das Leben hin.
In der Rotterdamer Ausstellung er-
schließt sich nun das Genre des bäuerlichen
Menschen, womit auch evident wird, wie
sehr sich Egger-Lienz mit der Erarbeitung
von Menschenbildern im Detail auseinan-
dergesetzt hat. Immer orientierte er sich am
Menschen; Mitmenschen, meist Bauern
und Bäuerinnen, bewog er, ihm Modell zu
stehen. Daher erscheinen die Akteure in sei-
nen Bildern so lebensnah, auch wenn er in
der Konzeption von der Realität abstrahie-
rende Formen bildete. Da leuchtet nun die
zweite Fassung des Motivs
Zwei Berg-
mäher
(1913; Museum Schloss Bruck) in
den hellen Ausstellungsräumen den Besu-
chern entgegen: Das Kolorit und der fast
impressionistische Malauftrag wirken
direkt feierlich. Man kann nur vermuten,
dass für Egger-Lienz die arbeitenden
Bauern Beispiele seines Bemühens waren,
dem Menschenbild eine plastische Form zu
verleihen und nicht sosehr dem bäuerlichen
Stand zu huldigen. Es stimmt schon, wenn
Egger-Lienz formulierte: „Ich male keine
Bauern, ich male Formen.“ Das geht so-
weit, dass Egger-Lienz in seinem Spätwerk
Die Familie
oder
Der Bauer
(1925/26;
Museum Schloss Bruck) eine monumentale
Dimension der Körperlichkeit vorlegte, das
Gesicht des Bauern nur vage angedeutet
hat, die Farbe monochrom in Schwarz und
dumpfem Gelb hielt und das Sujet schein-
bar unvollendet ließ. Und trotzdem hat man
das Empfinden, dass Egger-Lienz hier eine
letzte gültige Form des menschlichen Da-
seins gefunden hat, bevor die Isolation oder
Einsamkeit des Menschen im Tod dann im
Toten Christus
(1926; Museum Schloss
Bruck) signifikant evident wird. In diesem
Gemälde hat er die letzte Station des Da-
seins festgehalten, in einer dramatischen
Prägnanz der Form und stark reduzierter,
fahler Farbe, in einer Eindringlichkeit, der
man sich nicht entziehen kann, in einer
Albin Egger-Lienz, Toter Christus, 1926;
Museum Schloss Bruck, Lienz.
Albin Egger-Lienz, Die Quelle, 1923; Leopold Museum, Wien.
Albin Egger-Lienz, Zwei Bergmäher, 1913; Museum Schloss
Bruck, Lienz.