Ein Blick Nr. 48

BLICK Ein 30 Kultur Der biblische Schöpfungsbericht zeigt die schöpferische Kraft der Sprache, indem Gott dem Menschen die gesamte Schöp- fung vorführt und er jedem Teil einen Namen gibt. Die geistige Erfassung der Welt durch Sprache ist eine kreative Leis- tung, die sich durch die Geschichte der Menschheit fortsetzt. Jede Erforschung erfordert die Übersetzung des Erkannten in Worte. Die Sprache ermöglicht es uns, verschiedene Bereiche des Lebens zu verstehen und je intensiver wir uns damit beschäftigen, desto reicher wird unser Wortschatz. Auch bei der geistigen Erfas- sung einer Landschaft spielt die Sprache eine kreative Rolle. Während Touristen nur wenige Ortsnamen kennen, haben Menschen, die in einem Gebiet leben und arbeiten, Namen für alle Geländeteile. Je intensiver ein Gebiet genutzt wird, desto vielfältiger ist sein Wortschatz. Die Sied- ler in den Tälern haben im Laufe der Zeit Namen für die erschlossenen Teile ihres Siedlungsgebiets geprägt. Da sie ver- schiedenen Sprachvölkern angehörten, bestehen die Namen aus vordeutscher Zeit aus verschiedenen Sprachen. Die geographischen Namen sind Zeugnisse der Siedlungs- und Sprachgeschichte einer Landschaft. Sie sind oft die einzi- ge Quelle für die Erforschung der Früh- geschichte. Die ältesten geographischen Namen in Mitteleuropa sind Flussnamen, die der indogermanischen Sprachfami- lie zugeordnet werden. Die Flussnamen Rienz und Drau im Pustertal haben eine vordeutsche Herkunft. Viele vordeutsche Namen sind alpenromanisch und ent- standen durch die Vermischung kelti- scher und vulgärlateinischer Idiome. Die Untersuchung der Namenauswahl ergibt folgende Erkenntnisse: 1. Die Haupttalzone des Pustertales von Welsberg bis Anras, nämlich das Ge- biet, das dem im Jahre 769 als Außen- stelle der Grundherrschaft von Freising gegründeten Kloster Innichen über- geben wurde, war im 8. Jahrhundert durch Auswirkungen der Völkerwande- rung nahezu gänzlich unbesiedelt; es lebten hier zumindest nur mehr so we- nige Alpenromanen, dass eine Weiter- gabe des vordeutschen Namengutes an die bairischen Siedler nicht mehr möglich war. 2. Mit der Gründung Innichens begann in diesem Gebiet unter der Leitung der Grundherrschaft von Freising/Innichen die Schaffung einer deutschen Kultur- landschaft, und zwar durch eine inten- sive Rodungs- und Siedlungstätigkeit bairischer Bauern. Das Namennetz im Haupttal und am sonnseitigen Talhang besteht deshalb zur Gänze aus deut- schem Sprachstoff. 3. Im Zuge der hochmittelalterlichen Bin- nenkolonisation erstreckte sich die bairische Siedlungstätigkeit seit der Jahrtausendwende auch in die Neben- täler und abgelegenen Gelände, in de- nen noch letzte Reste der alpenroma- nischen Bevölkerung lebten, die aber rasch im deutschen Siedlerstrom auf- gingen, sodass das alpenromanische Sprachleben auch dort bis spätestens um 1200 gänzlich erlosch. 4. Da die bairischen Siedler in den ab- gelegenen Gebieten vorübergehend gemeinsam mit Alpenromanen lebten, lernten sie auch das dort bestehende vordeutsche Namengut kennen und übernahmen es. In der Form, die al- penromanische Namen im deutschen Munde lautgesetzlich bekamen, kann die Zeit ihrer Eindeutschung festge- stellt werden. Der Wortbedeutung die- ser Namen kann entnommen werden, dass die Alpenromanen vornehmlich Viehwirtschaft betrieben (Almwirt- schaft). Vom Möster, Peißer und Pumserle – unsere Flur-, Hof- und Hausnamen am Sillianer Talboden Wie bereits angegeben wurde, blieb der Talboden bis zur Regulierung der Drau weithin ein teils sumpfiges Feuchtgebiet, an das die Bezeichnung Möser (mundartl. Möiso) erinnert. Der Name Aue für das an den Bachlauf angrenzende Gelände gilt heute noch für den Sillianer Ortsteil, der auf diesem Gelände erst in einer späteren Siedlungszeit entstand. Für er- tragreiche Felder in Ortsnähe findet sich, wie in vielen anderen Gebieten, die alte deutsche Bezeichnung Anger (mundartl. Ongo, Mehrzahl Ango) und die Ableitung im Angern (mundartl. in Ongon). Dem Namen Kohlanger ist zu entnehmen, dass in diesem Anger einst Holzkohlen für die Schmiede hergestellt wurden. Für ein in Hausnähe gelegenes Feld gibt es die Bezeichnung Painte oder Pointe, Mehr- Sprachliche Schätze der Vergangenheit: Eine Entdeckungsreise durch die Flur-, Hof- und Ortsnamen von Sillian In seinem Beitrag „Flur-, Hof- und Ortsnamen als Denkmäler der Siedlungs- und Sprachgeschichte des Gemeindegebietes von Sillian“ für das 2014 publizierte Sillianer Gemeindebuch widmete sich der Innichner Historiker und Sprachwissenschaftler Dr. Egon Kühebacher ausführlich dieser Thematik. Der Einblick bringt in seinen nächsten Ausgaben auszugsweise eine Zusammenfassung dieses umfangreichen Beitrages in mehreren Teilen. „Ursprung der Trab [= Drau]“ westlich von Sillian und Innichen; Ausschnitt aus der Tirol- Karte von Matthias Burgklechner, 1611.

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