Koflkurier Nr. 54

20 Die Odyssee der Fam. Kolodzieczyk Juni 2023 A ls im September 1938 die deutsche Wehrmacht in Polen einmarschierte, hatte Schlesien schon eine bewegte Vergangenheit hinter sich. Die Landesherren waren abwech- selnd polnische und böhmische Könige, Habsburger, Preußen und das Deutsche Reich. Nach dem ersten Weltkrieg kam Oberschlesien mit der Hauptstadt Kat- towitz wieder zu Polen. In Groß Gurek war Helmut Kolodzieczyk mit seiner Fa- milie Gutsverwalter eines 200 Morgen großen Anwesens (ein preußischer Mor- gen war 1945 ca. 25,5 Ar). Wie eine Windel Schicksal spielte Herr Geir aus Lienz war als Feld- gendarm in Kattowitz stationiert und bekam Besuch von seiner Frau mit dem einige Monate alten Sohn. Bei dem Spaziergang machte das Kind in die Windel. Nachdem Frau Geir keine fri- sche Windel mithatte, suchte sie nach einem Haus mit einem Kleinkind. So kam sie zu Familie Kolodzieczyk und konnte das Baby trockenlegen. Aus dieser Begegnung erwuchs eine lebens- lange Freundschaft. Frau Geir bot der Familie Kolodzieczyk an, für sie eine Unterkunft in Lienz zu besorgen, sollte es zur Flucht kommen. Die Flucht Als das Anrücken der Roten Armee unüberhörbar wurde, entschloss sich die Familie Kolodzieczyk zur Flucht. Die Mutter floh mit ihren Kindern, der vier- jährigen Heidi und dem fünfmonatigen Ulrich per Eisenbahn zuerst zu einer Bekannten bis Bautzen. Herr Kolodzie- czk versuchte, Vieh und Hausrat seines Gutsherrn zu retten und zog mit einem Treck bis Prag. Dort musste er alles zu- rücklassen, um vor den nachrückenden russischen Truppen zu fliehen und kam am 14. Feber 1945 nach Bautzen, wo Frau und Kinder auf ihn warteten. Am nächsten Tag trat die Familie ge- meinsam mit der Familie von Frau Pohl (Schwester der Mutter mit Mann und Kind) die Flucht mit dem Zug nach Lienz an. Nach ca. 60 km war die Fahrt vorerst in Dresden zu Ende. Die Fahrgäste wurden auf- gefordert, den Zug zu verlassen und in den Luftschutzkellern Si- cherheit zu suchen. Im panischen Durchein- ander wurde Heidi am Bahnsteig „vergessen“. Als im Keller ihr Fehlen mit Schrecken bemerkt wurde, wurde nach ihr gesucht. Glücklicher- weise hatte sie sich nicht in der Men- schenmenge verlaufen. Die heillos von Flüchtlingen und Kriegsgefangenen überfüllte Stadt war zwei Tage vorher durch ein infernali- sches Bombardement schwer zerstört worden. Die Weiterfahrt nach Lienz war noch mit weiteren Schwierigkeiten verbunden, denn erst am 22. Februar kamen sie in Lienz an. In den folgenden Wochen versuchte Herr Kolodzieczyk, mehrmals zurück- reisend, Hab und Gut zu retten - ver- gebens. Ein gewagtes Unternehmen, denn der Krieg war noch voll im Gange. Die Zeit in Lavant Familie Kolodzieczyk fand zuerst bei Wachtlechner und dann bei Familie Bacher in Lavant Quartier. Zwei ältere Tanten, die Nanni und die Moidl, zwei gute Seelen, steckten den Heimatlosen oft heimlich Lebensmittel zu. Die Zeit in Lavant behielten die Erwachsenen in guter Erinnerung. Sie hatten sich schnell integriert. Herr Ko- lodzieczyk machte Reparaturen, schnitt den Leuten die Haare, radelte jeden Tag nach Amlach, um im Amlacherhof die Pferde der Engländer zu betreuen. Frau Kolodzieczyk. beteiligte sich bei der Ar- beit in Haus und Hof. Familie Pohl war in Jungbrunn un- tergekommen. Dort traf man sich gelegent- lich auch mit ande- ren Flüchtlingen. Die Stimmung war gut, der Krieg war aus, man konnte für ein paar Stunden das Vergange- ne vergessen; es konn- te nur besser werden. Das Gemeindeamt für Lavant war in Tristach. Dort beantragte Herr Kolodzieczyk Bezugs- scheine für Kinderbet- ten. Ausweisung nach Deutschland 1946 verfügte die englische Be- satzungsmacht die Ausweisung der deutschsprachigen Flüchtlinge nach Deutschland. So kam die Familie am 24. Mai 1946 mit einem Eisenbahn- Flüchtlingstransport über Salzburg, Freilassing, München bis Warburg. Dann landete sie nach einer Odys- see über mehrere Lager quer durch Deutschland am 21. Juni im Lager El- Die Odyssee der Fam. Kolodzieczyk (Kolb) Herkunftsfamilie von Heidi Rojko Familie Kolb (Lavant 1945) Heidi Rojko

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