Virger Zeitung Nr. 92

58 Dorfleben – Menschen Virger Zeitung Jahren zuvor durch den unzulängli- chen Unterricht versäumt hatten. Weiterführende Schulen waren für uns schwer zu erreichen. Eine Haupt- schule befand sich nur in Lienz, und dorthin gab es schlechte Busverbin- dungen. Damals mussten sowohl die Schulen als auch alle Schulsachen noch selbst bezahlt werden. Für uns Volksschüler mussten die Eltern pro Jahr und Kind eine bestimmte Zahl Holzscheiter, ofengerecht gehackt, zur Schule bringen; wenn ich mich recht erinnere, waren es 50 Stück. Damit heizte der Schulwart den in jeder Klasse stehenden Holzofen, und somit wurden sozusagen die Heizkosten auf die Eltern aufgeteilt. Wurde für einen Luftangriff geübt, mussten alle Schüler schnell in Panzl’s Bierkeller laufen, der im Schlossner Bichl eingebaut war. Heute steht die Wetterstation da- rüber. Unser neuntes Pflichtschuljahr, die sogenannte „Pfinstigschüle“, fand nur donnerstags statt, und da waren wir von den Buben getrennt. Der Unterricht dieser Schule gab uns viel Praktisches für das tägliche Leben mit und brachte auch „ver- spätete Aufklärung“. Religion und Kirche Wir besaßen ein Buch namens „Katechismus“, in dem viele Fragen standen. Die Antworten darauf mussten genau im Kopf sitzen, weil man sie wortwörtlich hersagen sollte. Dann hatten wir noch zwei- tes, das hieß „Biblische Geschich- ten“, aber daraus musste man nur dem Sinn nach erzählen können. In der Kirche saßen alle nach Ge- schlecht getrennt. Links vorne die Mädchen mit einer Lehrerin als Auf- sichtsperson und dahinter die Frauen. Rechts vorne die Buben mit einer Lehrerin und dahinter auch wieder Frauen. Die Männer saßen auf beiden Seiten hinten und auf der Empore, ohne Frauen. Kriegszeit 1942 kam der Strom nach Virgen und damit auch das Radio. Ein aus- ländischer Sender durfte aber nicht gehört werden. Bevor am Abend das Licht aufgedreht wurde, mussten wir die Fenster ganz dicht mit schwarzem Papier abdunkeln, damit die „feind- lichen Flieger“ uns nicht entdeckten. In unserem Haus befand sich die öf- fentliche Fernsprechstelle; war nach vielem Kurbeln eine Verbindung her- gestellt, konnte es passieren, dass man in ein fremdes Gespräch „hin- einplatzte“ – oder auch gleicherma- ßen selber abgehört wurde. Deswe- gen hing neben dem Telefon ein Pla- kat mit großer Schrift an der Wand: ACHTUNG ! FEIND HÖRT MIT ! Im Februar 1944 erlebte ich die schrecklichste Zeit. Damals erhielten wir die Nachricht, dass unser Vater gefallen ist. Er hatte das Pech, im Zweiten Weltkrieg zweimal ein- rücken zu müssen. 1939 wurde er, zu- sammen mit zwei fast Gleichaltrigen, eingezogen. Alle drei stammten aus den 1890er-Jahren, sie waren schon im Ersten Weltkrieg im Einsatz und hatten somit die Ausbildung hinter sich, weshalb sie 1939 bald wieder zurückkamen. Ende 1943 wurden aber viele ältere Soldaten nochmals eingezogen. Im Ersten Weltkrieg war mein Vater ein junger Soldat, im Zweiten ein alter. Solche Fälle gab es mehrere in unserer Gemeinde. Jugend Es begann unsere Jugendzeit und die Jahre des Wiederaufbaus. Gegenseitige Hilfe stand an erster Stelle, und so wurde jede Menge geleistet. Vielerorts fehlten kriegsbedingt die männlichen Arbeits- kräfte, sie ersetzte man, so gut es ging, durch Nachbarschaftshilfe. Robot- Schichten (im Dialekt „Rewot tün“), das heißt verpflichtende Arbeitstage ohne Bezahlung, waren nebenbei zu leisten. Zum Beispiel wurde das „neue Schul- haus“, heute Vereinshaus, mit viel Robot- Arbeit gebaut. Sogar Frauen arbeiteten dort mit. Aber nicht nur da – Frauen roboteten auch beim Bau der Güterwege, stellten Gemeinschafts-Zäune auf und halfen in den Wäldern bei der Auffors- tung. Wie viel jede Familie an Robot zu leisten hatte, ist mir allerdings nicht be- kannt; war Besitzgröße, Kinderzahl, oder sonst etwas ausschlaggebend? Es kam die Lehrzeit, die damals noch von den Eltern zu bezahlen war. Mädchen konnten ein Hand- werk (Schneiderei, Köchin …) erler- nen oder die Handelsschule in Lienz bzw. auch weiterführende Schulen außerhalb des Bezirks besuchen. Arbeitswelt Ich hatte das Glück, dass meine Tante eine Schneiderin war und mich als Lehrling aufnahm. Sie wohnte in Prägraten und ging haupt- sächlich dort auf die Stör („Stea“), Nähmaschine mit „Handantrieb“.

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