Virger Zeitung Nr. 92

57 Dorfleben – Menschen Virger Zeitung Diesen Aufsatz schrieb Anna Jestl, vlg. Jaggler Nanne, im Jahr 2019 für die „Virger Heimatblätter“. Durch die Corona-Pandemie verursachte Umstände verhinderten dann den Druck dieser Ausgabe, sodass die Nanne ihre „Erinnerungen“ nicht mehr veröffentlicht sehen konnte – sie starb im Juli 2020. Kindheit Geboren wurde ich 1930 als Älteste von sieben Geschwistern. Bis unser „Nesthäkchen“ zur Welt kam, war ich das einzige Mädchen im Haus. Die Kindheit verlief eigentlich schön und beschwerdefrei. Wenn ich heute nachdenke, bereiteten wir unseren Eltern nicht immer nur sorgenlose Freude, sondern wir hatten auch so manchen Blödsinn im Kopf. Einmal gingen mein Bruder und ich dem Vater imWald verloren. Er war Förster und nahm uns mit zwei gleichaltrigen Wiener Kindern mit. Auf dem Heimweg wollten wir dann schneller sein und eine Abkürzung nehmen, was jedoch gehörig da- neben ging. Wir verirrten uns auf schlecht deutsch sprach. Das alles widerspiegelte sich in einem sehr mangelhaften Unterricht. Die Schü- lermessen fielen weg, genauso wie das morgendliche Schulgebet. Statt- dessen mussten wir vor dem Unter- richt im Chor und ganz laut einen Hitlervers sprechen, der wöchentlich wechselte. Auch der Religionsunter- richt wurde aus der Schule verbannt, den erhielten wir dann heimlich in der Kirche, über dem Neugebäude. Spätere Schulzeit Wir hatten das Glück, dass in unse- ren letzten drei Schuljahren der aus Virgen (Gries) stammende „Blusner- Lehrer“ hierher zurückkehrte. Er brachte uns Vieles bei, was wir in den Anna Jestl: Erinnerungen Lang, lang ist‘s her – frühere Begebenheiten die „Riese“ *) und gingen wieder, als wir uns nicht mehr auskannten, zu- rück zu einer Almhütte, wo uns die Sennerin aufnahm. Dieser Irrtum löste eine große, nächtliche Such- aktion mit vielen Helfern aus, die letzten Endes glimpflich ausging. *) „Riese“ war ein steiler Weg, den die Bauern zum Ziehen der Heufuder benutzten. Erste Schuljahre Während der ersten Schuljahre be- gann die Hitlerzeit mit großen Um- stellungen: Lehrer mussten zum Militär einrücken, Osttirol wurde Teil vom Gau Kärnten, sodass wir keine Tiroler mehr waren. Es kamen blutjunge Kärntner Lehrerinnen mit Schnellausbildung zu uns, und später eine Lehrerin aus Jugoslawien, die Nanne (ganz rechts) als „Kindsdirn“ mit ein paar Brüdern und Nachbarskindern. Jahr unbekannt

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