Virger Zeitung Nr. 91

Virger Zeitung 63 Dorfleben – Menschen noch in das Christbaumkreuz einge- passt werden. Mein Vater und ich hatten schon die Rorate um 6.00 Uhr am Morgen be- sucht, und Papa ging auch noch zum Hauptamt um 9.00 Uhr, es war ja der 4. Adventsonntag. Ich schwänzte diese heilige Messe und ging mit Papas Hacke, die immer im Holz- stock auf der unteren Labe einge- hackt war, hinunter zur Isel und von dort auf dem tief verschneiten Weg in Richtung „Kåtzenloata“. Obwohl schon eine Stunde unterwegs, konnte ich einfach keinen halbwegs schönen Christbaum finden. Vom Abschütteln der jungen Fichten, Tan- nen gab‘s im Virger Wald keine, war ich bis zum Hosenbund platschnass. Als Papa gegen Viertel nach zehn Uhr von der Messe heimkam, mich rief, aber keine Antwort bekam und schließlich das Fehlen der Hacke be- merkte, ahnte er Fürchterliches: „Der Lausbua isch an Christbam holn.“ Welche Schande, der Bua vom Pos- tenkommandanten ein Waldfrevler, ein Christbaumdieb! So schnell er konnte ging er zur Tratte hinunter, sah bei der Iselbrücke eine frische Schuhspur im Schnee und folgte ihr bis zur Kåtzenloata. Ich hatte noch immer keinen halb- wegs schönen Christbaum gefunden und überlegte schon, wie ich den einen oder anderen fehlenden Ast in den dünnen Stamm einsetzen werde. Da hörte ich Schreien … ja, ganz si- cher, da schreit jemand Ku-ort, Ku- ort, Ku-ort! Um Himmelswillen, der Papa! durchfuhr es mich. Papa konnte nämlich bloß „Kurt“ nicht laut rufen, er musste das „o“ ein- fügen – Ku-ort – um meinen Namen zu schreien. „So, hetz meg i zsåmm- påckn und Gott sei Dank hob i no koan Chrischtbam.“ Als ich Papa traf, war auch er bis auf die Knie plat- schnass, denn er hatte sich nicht die Zeit genommen, ein winterfestes Ge- wand anzuziehen, musste er doch sei- nen Buam von dem bevorstehenden Waldfrevel abhalten. Ich versicherte ihm hoch und heilig, dass ich noch keinen Christbaum umgehackt habe, worauf sich seine strenge, strafende Miene etwas erhellte. Die folgenden belehrenden und gesetzeskundigen Worte verfehlten ihre Wirkung nicht, und bis wir beim Postenhaus ankamen, war das Vater-Sohn-Ver- hältnis wieder in Ordnung. Ein Gutes hatte der sonntägliche Christbaumausflug in den Virger Wald doch. Am nächsten Tag gegen Abend stand ein Christbaum, in meinen Augen zwar kein allzu schö- ner, im Keller – geliefert vom Ge- meindeförster „Kesslas Tonig“. Es ist in der ersten Folge dieser Geschichtchen schon angeklun- gen, dass in der Anfangszeit des Alpinismus die Schutzhütten nicht bewirtschaftet waren. Daher musste der Proviant von dem „Bergführer“ mitgetragen werden. Als nun ein Führer aus Prägraten mit seinem Gast gegen Mittag beim Defreggerhaus (1887 er- baut) angekommen war, begann er einen Schmarren zu kochen und machte sich nebenbei auf die Suche nach einem Esszeug – das Besteck ist nämlich beim Packen des Korbes vergessen worden. Endlich kam in einem Winkel der Küche ein völlig verschmutzter Löf- fel zum Vorschein, der vor dem Ge- brauch dringend einer Reinigung bedurfte. Also spuckte unser „Koch“ einmal kräftig darauf, wischte ihn am Ärmel seines auch nicht ganz sauberen Hemdes ab und meinte dann: „So, Herr, iatz tuat‘s.“ o – O – o Ein anderer Führer hatte am Abend vor der Tour etwas schwer Verdauli- ches gegessen. Als er am nächsten Morgen mit seiner Kundschaft über den Gletscher zum Großvenediger aufstieg, wehten dem hinter ihm am Seil gehenden Gast des Öfteren nicht gerade Rosendüfte um die Nase. „Was riecht denn da so übel?“ em- pörte sich der Herr. „Der Gletscher“, war die schlagfertige Antwort. Quelle: Osttiroler Heimatblätter, 1932 Bergführer-Geschichten (2) Eppas zan Schmunzeln

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