Virger Zeitung Nr. 90

63 Dorfleben – Menschen Virger Zeitung Tücher und mit einer Wärmflasche dabei, sodass das „Frühchen“ – es war ja einen Monat zu früh auf die Welt gekommen – immer die gleiche Wärme hätte. Nach einer wohlverdienten Jause ver- abschiedete sich der Doktor mit vie- len Wünschen und nochmaligen guten Ratschlägen. Bis zu seinem Motorrad hatte er eine halbe Stunde Fußmarsch vor sich. Die Hebamme ist noch bis zum späten Nachmittag geblieben, dann musste auch sie wie- der ins Tal, wo noch andere Wöchne- rinnen auf ihre Betreuung warteten. Deshalb konnte sie auch nicht jeden Tag den weiten Weg zu unserer Alm machen, und wir mussten nun das Baby und die Mutter allein pflegen, so gut wir konnten. Weil es für Mama die dreizehnte Geburt war, und ihre Gesundheit trotz überstandener Angst und Schmerzen nicht gelitten hatte, war sie im Stande, uns ganz gut Anweisungen zu geben. Eine Woche lang bekam das Baby nur die ver- dünnte Kuhmilch und den Kamillen- tee, anschließend fütterten wir PUM zu. PUM war selbst erzeugtes Weizen- mehl. Es wurde portionsweise ganz leicht angebräunt und mit verdünn- ter Milch und Zucker zu einem Brei verkocht. Jedes Fläschchen musste neu zubereitet werden. Die Heb- amme besuchte uns nach drei Tagen, dann aber erst wieder nach drei Wo- chen. Da brachte sie auch eine Waage mit und siehe – unser Kindlein hatte schon 120 Gramm zugenommen und alles war in bester Ordnung. Um das Fest der Kreuzerhöhung (14. September) kam der Vater mit einem großen Korb, um das Kind und die Mama heimzuholen. Wir machten ein weiches Bettchen im Korb und legten die Kleine hinein. Über den Korb wurde ein luftdurch- lässiges Tuch gebunden, und so wan- derten wir langsam talwärts, Vater mit der kostbaren Last auf dem Rücken. Mein älterer Bruder, das Wiener Ehepaar und ich mussten noch auf der Alm bleiben, um das Vieh zu versorgen. Aber nach 14 Tagen wurde es auch für uns zu kalt und das Futter ging zu Ende. Also packten wir „oben“ ab und zogen nach Hause ins Tal. Das Schwesterchen hatte schon gleich nach der Geburt auf der Alm die Nottaufe erhalten, wie es damals üblich war, wenn man Angst um das Neugeborene haben musste. Nach zwei weiteren Wochen zu Hause wurde sie aber noch einmal feierlich in der Kirche getauft. Sinnigerweise bekam unser Nesthäkchen den Namen der Wiener Tante – Floren- tine! In der ganzen Gegend gab es kein Mädchen, das so hieß. Florentine entwickelte sich zu unserer großen Freude weiterhin prächtig und war der Sonnenschein im Haus. Schon in ihrem dritten oder vierten Lebensjahr stellten wir fest, dass die Kleine musikalisches Talent und eine gute Stimme hat. So haben wir Ge- schwister viel mit ihr gesungen: im Haus, auf dem Feld … wo sich halt eine Gelegenheit dazu bot. Und wenn der Vater dabei war, hat er immer die zweite Stimme gesungen. Heute erinnert sich Florentine gerne, wie ich ihr viele Lieder beigebracht habe – ich rührte die Butter, und sie saß auf dem Butterkübel. Später hat sie Klavier- und Orgelspielen gelernt und dirigiert heute den Schwestern- chor an ihrer Wirkungsstätte. Als Er- wachsene ist sie nämlich in ein Klos- ter eingetreten und wurde dort zur Krankenschwester ausgebildet. Nun leitet sie die Wochenstation ihres Ordenskrankenhauses in Oberöster- reich. Den Urlaub verbringt sie am liebsten dort, wo ihre Geburt so viel Aufregung verursachte – auf unserer Alm, die man heute natürlich mit dem Auto erreichen kann. Suchaufruf – Gemälde von Werner Gsaller Der Virger Künstler Werner Gsal- ler, vlg. „Peters Werner“ (verst. 2007 in Linz) hat eine Kopie des abgebildeten berühmten Gemäldes von Delacroix angefertigt. Die Fa- milie Gsaller ist nun auf der Suche nach diesem Werk. Das ca. 50 x 70 cm große Bild wurde vermutlich in den späten 70er- oder Anfang der 80er-Jahre vom Künstler ver- kauft. Sollte jemand im Besitz des Bildes sein, oder wissen, wo es sich befindet, möge er bitte Kontakt mit der Familie Gsaller aufnehmen: Harald Gsaller, Braunschweigg. 5/10, 1130 Wien, Tel. 0699- 10719790; www.haraldgsaller.at „VomMeer aufsteigende Pferde“ – im Original von Eugene Delacroix.

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