Virger Zeitung Nr. 90

62 Dorfleben – Menschen Virger Zeitung Das Nesthäkchen mit seinen Eltern. sich der Aufgabe einer Hausgeburt nicht mehr gewachsen. Am frühen Nachmittag trafen dann sechs Männer, Nachbarn im Dorf, bei unserer Almhütte ein. Sie wollten die Wöchnerin auf einer provisori- schen Bahre ins Tal tragen. Es gab ja zur damaligen Zeit noch keine Berg- rettung und schon gar nicht einen Hubschrauber. Die Tragbahre stand schon in der Küche und man war dabei, eine wei- che Unterlage in Form von Kleidern und Decken zu richten. Gerade wollte sich Mama auf das vorbereitete Lager begeben, als es passierte – sie erlitt einen Blutsturz, sodass die Heb- amme das ganze Vorhaben augen- blicklich abbrechen musste. Nun rannte einer der Helfer ins Tal, um den Arzt zu holen. Die Bestürzung und Verzagtheit aller Anwesenden war sehr groß. Vorsichtig wurde die Mutter wieder in ihr Bett gebracht. Ich durfte ihr später etwas zum Trin- ken in die Kammer bringen, wo sie sehr blass und mit geschlossenen Augen im Bett lag. Die Hebamme saß mit gefalteten Händen betend da- neben. Das brachte mir den Ernst der Lage noch mehr zum Bewusstsein. In der Küche standen ein großer und ein kleiner Topf mit Wasser auf dem Herd. Im kleineren wurden die Ins- trumente der Hebamme mit kochen- dem Wasser sterilisiert. Die Tante eilte geschäftig hin und her, um die Anweisungen der Nanne zu befolgen. Als sie nach einiger Zeit wieder in die Küche kam und ich nach der Mutter fragte, antwortete sie mir, dass soeben ein ganz kleines Mädchen angekom- men sei, aber leider gleich wieder „fortgegangen“ ist. In diesem Mo- ment begriff ich gar nicht, was die Tante mir da sagen wollte, denn im gleichen Augenblick kam der Arzt zur Tür hereingestürmt und verschwand sofort in Mamas Kammer. Ganz still ist es geworden … und ich denke heute noch, dass damals viele Schutzengel anwesend waren und allen, angefangen bei der Mutter, dem Baby, der Hebamme, dem Arzt, dem Vater, der Tante und nicht zu- letzt uns Kindern beigestanden sind. Der Arzt war gerade noch rechtzeitig gekommen! Er gab dem leblosen Kind eine Spritze, und nach einigen Wiederbelebungsversuchen begann das schon totgeglaubte Neugeborene endlich zu atmen. Als ich dann zu Mama hineingehen durfte, sah ich ein winziges Wesen neben ihr im Bett liegen. Es wog nur 1.800 Gramm. Das Gesichtchen schien rosig, aber mit einem leidenden Ausdruck. So habe ich es in Erinnerung. Von Zeit zu Zeit wimmerte es mit einem Stimmchen, das kaum zu unterschei- den war vom Piepsen der jungen Schwalben in dem Nest oben an der Zimmerdecke. Der Arzt gab uns Anweisungen für die Pflege von Mutter und Kind. So sollten wir die Milch 1:1 mit abge- kochtem Wasser verdünnen, zwi- schendurch Kamillentee einflößen, und zwar immer wieder, sooft die Kleine sich meldet. Weiters sollte sie immer neben der Mutter im Bett lie- gen, zusätzlich eingehüllt in warme Ort des dramatischen Geschehens: Die Bloshütte, heute eine gut ausge- baute Jausenstation.

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