Koflkurier Nr. 50

Juni 2022 Aus der „guten, alten Zeit“ 23 B ei uns daheim, beim „Bi- chele“ wurden im Sommer immer alle Kräfte für die Arbeit am Hof gebraucht. Im Winter durften wir Mädchen „auf Saison“ gehen, et- was verdienen und etwas lernen. Ich besuchte gemeinsam mit meiner Freundin, der Brunner Ida, bei den Do- minikanerinnen im Klösterle einen Näh- kurs. Die Ida aus Ainet war Magd bei uns und beim „Trattn“. Eine Nonne wies uns darauf hin, dass im Sanatorium in Innsbruck Mäd- chen für die Küche gesucht werden. So entschlossen wir uns, die Ida und ich, nach Innsbruck zu gehen. Uns wurden in der Küche des Sanatoriums „niedere“ Arbeiten zugewiesen: Salat waschen, Karotten schälen, Obst und Gemüse schneiden und raffeln und putzen, put- zen, putzen. Zum Erdäpfel schälen gab es schon eine Maschine. Kuchen wurden damals schon aus einer fertigen Back- masse angerührt. Gelernt habe ich dabei fast nichts. Nur durch Zuschauen habe ich mir das eine oder andere angeeignet. Beim Osterputz kam es zu einem dramatischen Unfall. Ich musste die große Wanne putzen, die zum Warmhal- ten der Speisen diente. Dabei kam ich auf freiliegende Kabel und geriet in den Stromkreis und konnte mich nicht mehr davon lösen. Ich schrie wie am Spieß. Mein einziger Gedanke war: Jetzt verliert die Mame wieder eine Tochter. Meine Schwester Adelheid war 1947 bei einer Bergtour in den Lienzer Dolomiten töd- lich verunglückt. Endlich drehte eine Schwester die Sicherung heraus. Ich erlitt Verbrennun- gen an der Hand und bekam einen Ver- band. Es wurde kein Arzt zu Hilfe geholt und keine Untersuchung gemacht. Nach der Zimmerstunde musste ich wieder ar- beiten. Es gab keinen Krankenstand und den ganzen Winter keinen freien Tag. Im Jahr darauf arbeitete ich im Haushalt eines Rechtsanwalts in Inns- bruck. Die Frau des Anwaltes war schwer depressiv und blieb manchmal mehrere Tage im Bett. Die Kinder waren vier und neun Jahre alt. Ich versorgte den ganzen Haushalt: putzen, wa- schen, bügeln und wenn die Frau nicht aufstand, musste ich auch ko- chen. Ich kaufte mir ein Kochbuch und wurde vom Hausherrn für mei- ne Kochkünste gelobt. Am Abend gab es immer Aufschnitt. Ich aß immer nur Butter- brot, weil ich mich nicht getraute, von der Kalten Platte zu nehmen. Ich wurde auch nie dazu aufgefordert. Nur einmal war es ganz anders. Die Familie der Frau kam aus Deutschland zu Besuch. Beim Abendessen legte mir der Bruder der Frau Wurst auf den Teller. Mir war es peinlich, meinen Arbeitgebern aber scheinbar nicht, denn es blieb bei dem einen Mal. Weil ich oft richtig Hunger hatte, kaufte ich mir manchmal einen wei- ßen Wecken und schloss ihn in mei- nem Schrank ein und aß dann heimlich. Sonntags hatte ich frei, die Familie fuhr immer weg. Da machte ich mir Palat- schinken oder ein Spiegelei und aß et- was von meinem „Strutzen“ dazu. Freitags fuhr ich mit der Hallerbahn nach Rum zu einem Rechtsanwalt- Kompagnon meines Chefs zum Putzen. Heute würde man das Leiharbeit nen- nen. Dort bekam ich ein Abendessen. Aus dem Kompost habe ich Äpfel her- ausgefischt und die faulen Stellen weg- geschnitten. Eine Geschichte aus der „guten, al- ten Zeit“? Burgl Kofler Aus der „guten, alten Zeit“ Irma Brunner erzählt Irma mit Franz † bei der Goldenen Hochzeit Irma als Marketenderin Irma ganz links, daneben ihre Freundin Ida und weitere Osttirolerinnen vor dem Sanatorium beim Osttiroler Lesen

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