GZ_Kals_2022_04

Bunt gemischt Fodn Nr. 80 88 Kalser Gemeindezeitung 89 negative Faktoren sprachen dann für den Weiterweg. Nach einer längeren Diskussion entschieden wir uns für den Rückweg am nächsten Tag. Mit langen Ge- sichtern, verständlicherweise, erreichten wir am Nachmittag wieder El Chalten. Als erstes checkten wir nochmals das Wetter. Es soll- te noch zwei Tage schön bleiben, dann der Regen und ein paar Tage später der Rückflug nach Hause. Einen Plan C, um zu dritt wieder auszurücken, hatten wir nicht, bzw. wir hatten keine Alternative, um mit Gabriel auf die Schnelle was anderes zu machen. Wir besprachen die Lage, und am nächsten Tag starte- ten Motz und ich für eine schnelle Aktion ins Tor- re Tal, Richtung Aguja Standhardt. Die letzten zwei Tage hingen uns nicht nur in den Schultern, sondern auch in den Beinen, doch schönes Wetter sitzt man nicht im Tal aus, in Patagonien erst recht nicht. Am Lago Torre angelangt, wunderten wir uns über den deutlich verschlechterten Zustand der zu querenden Moräne. Viel steiler und gefährlicher als die letzten Jahre. Wir überlegten, ob es wohl gescheit wäre, in zwei Tagen bei vollem Regen über diese steile Mo- räne wieder zurückzugehen. Nach langem hin und her siegte die Vernunft, und wir entschieden uns für ein anderes Ziel, wo wir sicher am nächsten Tag bei schönem Wetter wieder nach El Chalten zurückge- hen konnten. Doch hatten wir diesmal keinen Alter- nativplan. Wir saßen auf einem großen Stein an der Moräne und schauten in die Gegend. Am südlichen Ende der Adelagruppe ragte ein Berg in die Höhe, der wie eine Pyramide etwas alleinstehend herausstach. Der würde es werden! Wir schauten uns von der Ent- fernung noch den möglich leichtesten Weg an und auch den Platz, wo wir unser Zelt für die Nacht auf- stellen könnten. Ein Berg mit westalpinem Charakter hatten wir auf dem ersten Blick gemeint, doch nach einem langem sehr scharfen Schnee- und Eisgrat hatten wir uns fast getäuscht am nächsten Tag. Mit müden Beinen standen wir auf einem für uns neuen patagonischen Gipfel. Supercool, dass das noch ge- klappt hatte! Wir beide standen das erste Mal auf einem Berg, von dem wir nicht wussten, wie er heißt ;-) Nach dem langen Rückweg wieder in El Chalten angelangt, erfuhren wir, dass es sich um den „Cerro Grande“ gehandelt hatte. Ja klar, wer kennt ihn nicht! Kurz vor unserem Rückflugwurde ein 6-Tage-Schön- wetterfenster gemeldet. Das durfte nicht wahr sein. Am nächsten Tag probierten wir beim Reisebüro al- les, um unseren Rückflug um eine Woche nach hin- ten zu verschieben. Anfänglich stand es schlecht um unser Wunsch – Weihnachtszeit, wegen Corona we- niger Flüge, usw. Doch Evelyn vom Reisebüro setzte sich voll ein und fand für uns alle einen verspäteten Rückflug am 21. Dezember. Das Christkind wäre somit so oder so gerettet. Doch die endgültige Entschei- dung fiel am ersten Schönwettertag in der Früh. Wir hatten alles gepackt und machten uns bereit, als ob wir zurückfahren würden. Um 6:30 Uhr bekamen wir das OK vom Reisebüro, und um 7:00 Uhr starteten wir unser letztes Abenteuer in Richtung Cerro Tor- re. Mit dabei war diesmal auch ein junger argentini- scher Bergsteiger, der uns helfen sollte, das Material von Gabriel auf den Paso Marconi zu tragen, damit sich Gabriel komplett auf sich konzentrieren konnte. Deutlich besser lief der Zustiegstag zum Paso Mar- coni, und am späten Nachmittag erreichten wir un- seren Zeltplatz in der Nähe des Passes. Es war sehr windig, und wir fanden einen guten Biwakplatz im Schutz einer Gletscherschliffwand. Die Nacht ver- lief klar, aber es wurde nicht allzu kalt. Zudem hatte es in den vergangenen Tagen bis in höheren Lagen viel geregt, deswegen bildete sich der gewünschte tragfähige Harschdeckel nicht. Immer wieder bra- chen wir ein, und der lange Marsch zum „Circo de los Altares“, dem Gletscheramphiteater am Fuße der Cerro Torre Westwand, wurde zusehends zur Qual. Zu Mittag brannte die Sonne herunter, und wir stellten uns die Frage, ob es sinnvoll wäre, über den Hang hinaufzugehen. Dadurch, dass 2013 Isidor Poppeller und ich die Route bei besten Verhältnissen schon klettern konnten, war uns aus meiner Erfahrung be- wusst, dass wir an diesem Tag noch bis unter dem Col Esperanza hinaufmussten, um eine realistische Gip- felchance zu haben. Somit ging es weiter, nach dem Motto „schauma’s uns un“. Der Schnee wurde weich, aber nicht gefährlich. Wir erreichten am Nachmittag den Sporn, der vom obersten Kessel hinunterzieht. Drei Seillängen im vierten Grad mussten wir noch mit den schweren Rucksäcken hinauf, dann noch ein letzter Hang zwischen Eistürmen und großen Spal- ten, und endlich erreichten wir unser Zeltplatz in einem sicheren Windkolch am Fuße der Cerro Torre Westwand. Seit anderthalb Jahren war wegen Coro- na keiner mehr hier, und man spürte die Einsamkeit und die Abgeschiedenheit dieses Platzes. Kruscht würde am nächsten Morgen hierbleiben, damit wir uns schnellstmöglich am Berg bewegen könnten. Die Nacht verlief klar und windstill, doch richtig schlafen konnte keiner. Zeitig um 4:00 Uhr brachen wir auf. Das erste Stück war relativ leicht (60°-70° steile Eis- flanken) und ließ sich gut im Dunklen klettern. Doch am „Elmo“ brauchten wir Licht. Das Wetter war alles andere als schön – der Nebel hing im Berg und es wehte stürmischer Wind. Als wir die erste schwierige Seillänge am „Elmo“ erreichten, war es hell. Man er- kannte deutlich, dass schon lange keiner mehr hier gewesen war, und die Seillänge kostete viel Zeit. Loser Schnee und der Wind, der einem alles in die Augen blies, erschwerte die bereits fast senkrech- te Seillänge. Nach einem etwas leichteren Grat er- reichten wir das Mixedgelände. Nicht allzu schwierig, aber fordernd, ging es die Fels- und Eispassagen bis zur sogenannten „Headwall“ hinauf. Eine senkrech- te, strukturlose Gletschereis-Länge. Obwohl sie steil und anstrengend war, ließ sie sich gut absichern, und wir kamen gut voran. Einer von uns stieg immer vor, der zweite stieg nach, baute alle Sicherungen aus und kletterte immer vor Gabriel, um ihm die Kletterrichtung und die Kletterpassagen anzusagen. Das Wetter besserte sich, doch der Wind blies immer noch stark. Nun ging es zwei Seillängen schräg nach links weiter, steiler als ich im Kopf hatte, um fast in die Nordwand hinüberzuklettern. Ein Schauspiel der Natur stand vor uns: es hatten sich drei senkrechte 1,5 Meter breite Tunnel im Schnee und Eis gebildet, die nun zur letzten Seillänge hinaufführten. Oben angelangt schaute die Sache ernst aus. Normaler- weise bildeten sich auch in der letzten Seillänge tun- nelartige Gebilde, in denen man sich hinaufspreizen konnte und wo es nicht so tragisch war, wenn kei- ne guten Sicherungen unterzubringen waren. Doch diesmal war alles mit weichem Schnee angepatzt. Einzig links ging ein schmaler Tunnel hinauf, der in der Mitte endete, dann eine steile Schneewand nach links, und man würde wieder in den alten guten Tun- nel rechts oben gelangen. Den Anfang machte ich und grub mich den Tunnel hinauf. In der Mitte ange- langt, fing ich an, ein Loch zu graben, um nach rechts zu kommen. Mir waren die Sicherungen zu schlecht und nach fast einer Stunde graben, bat ich Motz um einen Wechsel. Zwei weitere Stunden und einen Schnee-Techno-Krimi später standen wir um 16:30 Uhr am Gipfel des Cerro Torre. Es war windstill. Wir konnten es kaum glauben! Mega, es war geschafft! Nach so vielen Fragezeichen, Anstrengungen und Mühen waren wir überglücklich, oben zu stehen. Wir saßen eine Weile, genossen die so seltene Aussicht und schauten über die Weiten, die wir bereits gegan- gen waren. Jetzt hieß es aber aufpassen, denn der Rückweg über die gleiche Route war noch lang und nicht ganz ohne, denn an die 20 Abseiler mussten noch fehlerfrei gemeistert werden. Anfänglich war es schwer, gutes Eis für Eisuhren zu finden, dann in der Headwall angelangt ging es deutlich schneller, da die Stände meist im Fels waren. Im Mixedgelände versuchten wir so schnell wie möglich abzuseilen, da die nachmittägliche Sonne nun kleine Eisbrocken runterfallen ließ. Als die Dunkelheit hereinbrach, machten wir den letzten Abseiler, und Kruscht kam uns von unseren Zelten schon entgegen. Endlich da! Er hatte uns die ganze Zeit leider nicht ausfindig ma- chen können und hatte sich gesorgt, ob es uns wohl gut ginge. Mit vollem Elan kochte er uns auf und schmolz durchgehend Schnee. Eine Wohltat nach so einem Tag! Am nächsten Tag mussten wir uns noch gut konzentrieren, um bis zum Circo de los Altares abzusteigen bzw. abzuseilen, das wir am späten Vor- mittag erreichen. Dann hieß es für alle, Augen zu und durch! Dass noch mühevolle 1,5 Tage „rausspazieren“ vor uns standen, konnte uns die Gipfelfreude auch nicht mehr nehmen. Letztendlich an der Straße an- gelangt wurden wir von meiner Familie und unseren Vermietern empfangen und konnten dann gemein- sam am Abend noch beim Konzert der heimischen Band „Siete Venas from del Monte“ unsere gelunge- ne Tour feiern. Ein überaus passender Abschluss und Abschied von Patagonien! Es bleibt nur mehr, den Hut vor Gabriel zu ziehen, der immer voll motiviert bei der Sache war und kei- ne Sekunde an uns gezweifelt hat, der alles gegeben und wirklich alles bekommen hat. Mit Motz gemein- sam bilden wir ein super Team, das ist das, was uns stark macht und ohne ihn wäre es gar nicht zustande gekommen bzw. möglich gewesen. Danke an Kruscht fürs Begleiten, Fotografieren, Filmen und Tragen helfen, der ein unheimlich wichtiges Backup für uns bei jeder Tour war. Bedanken möchte ich mich aber vor allem bei meiner Frau und meinen Kindern für die Geduld, das Essen und für die wichtigen Wetter- checks in El Chalten. Noch wertvoller hätte die Reise nicht sein können! Zuallerletzt gehen meine Gedanken an die Berg- steiger Robert Grassegger und Corrado Pesce, die in letzten paar Wochen ihr Leben in den Bergen Pa- tagoniens gelassen haben. Ihre tragischen Unfälle und das damit verbundene Leid in den Familien soll unser egoistisches Handeln am Berg vergegenwärti- gen und uns für die Zukunft bescheidener und rück- sichtsvoller machen.

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